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Präsident Tadic zu Haag und zur EU am Balkan

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Berichte Serbien


Kann Serbien bis Jahresende den Status eines EU-Beitrittskandidaten erhalten? Diese Frage hängt vor allem an der völligen Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal, sprich vor allem an der Verhaftung des mutmaßlichen Kriegsverbrechers Ratko Mladic; er wird für das Massaker an mehr als 7.000 Bosniaken in Srebrenica verantwortlich gemacht. Über den Stand der Fahndung nach Mladic informierte sich gestern auch der Chefankläger des Haager Tribunals, Serge Brammertz, in Belgrad. Ebenfalls in Belgrad war auch eine Politiker-Delegation aus den Niederlanden; sie wollen Serbien nur dann grünes Licht geben, wenn auch der Bericht von Brammertz im Juni vor der UNO positiv ausfällt. Über die Lage Serbiens hat unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz mit Staatspräsident Boris Tadic in Belgrad gesprochen, hier sein Bericht:

Zuckerbrot und Peitsche – dieses Sprichwort kennzeichnet die wechselvolle Beziehung zwischen Serbien, dem Haager Tribunal und der EU. Wegen mangelhafter Zusammenarbeit mit Den Haag verlor Belgrad bereits so manches Jahr auf dem Weg Richtung Brüssel. Und auch nun droht wieder Zeitverlust, sollte der Bericht des Chefanklägers Serge Brammertz Anfang Juni negativ ausfallen, weil die beiden letzten Angeklagten noch nicht gefasst sind. Diese Politik der EU kommentiert Staatspräsident Boris Tadic so:

„Serbien braucht keine Peitsche, um mit dem Haager Tribunal zusammenzuarbeiten. Ununterbrochen höre ich aus den europäischen Institutionen, dass nur Druck und das Verknüpfen der weiteren EU-Integration zu einer Verbesserung der Zusammenarbeit mit dem Tribunal und zu einer Verhaftung von Ratko Mladic und Goran Hadzic führen können. Selbst wenn das Haager Tribunal die Verhaftung nicht mehr verlangen sollte, würde Serbien weiter nach ihnen suchen und einen Prozess organisieren, denn das ist unsere moralische und gesetzliche Verpflichtung. Ich bin tief davon überzeugt, dass diese Personen vor Gericht gestellt werden müssen, und das glauben alle zuständigen Institutionen.“

Ob dieser Glaube tatsächlich in allen serbischen Institutionen vorhanden ist, darüber gibt es beträchtliche Zweifel nicht nur beim Haager Tribunal. Hinzu kommt eine massive Erweiterungsmüdigkeit in der EU, die derzeit auch mit vielen hausgemachten Problemen zu kämpfen hat. Das weiß Boris Tadic, der daher auch die Bedeutung der Erweiterung betont:

„Es ist außerordentlich wichtig, dass die EU versteht, dass die Integration des gesamten Westbalkan in ihrem vitalen Eigeninteresse liegt. Denn der Preis wäre sehr hoch, den die Bürger der EU längerfristig zahlen müssten, sollte es nicht zu dieser Integration kommen. Die Erfahrungen aus den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien, die erst ein Jahrzehnt her sind, sind das beste Indiz dafür, dass der Preis unvergleichlich niedriger gewesen wäre, hätte die EU rechtzeitig vorbeugend reagiert und wenn es im ehemaligen Jugoslawien vernünftigere Politiker gegeben hätte. Dann wäre das ehemalige Jugoslawien heute in der EU integriert und ein stabiler Faktor der EU.“

Doch Erweiterung setzt auch regionale Zusammenarbeit und Aussöhnung voraus. Derzeit verhandeln etwa Serbien und der Kosovo über die Lösung praktischer Probleme – vom Grundbuch bis zur Stromversorgung. Zwar will Serbien auch weiterhin die Unabhängigkeit des Kosovo nicht anerkennen, doch eine schrittweise Aussöhnung zwischen Serben und Albanern hält Boris Tadic trotzdem für möglich:

„Vor allem geht das nur dann, wenn Verbrechen untersucht werden. So müssen Serben angeklagt und verurteilt werden, die Verbrechen an Albanern begangen haben; gleiches gilt für Albaner, die Verbrechen begangen haben. Zeugen dürfen nicht zurückgehalten oder ermordet werden; außerdem muss der Dialog beginnen, der bereits während der Statusverhandlungen begonnen hatte. Damals hatte ich Gespräche mit allen legitimen albanischen Vertretern des Kosovo. Dazu bin ich auch weiter bereit, wenn wir irgendein konkretes Ergebnis haben können.“

Wie dieses Ergebnis aussehen könnte ist noch offen. Doch immerhin verhandeln beide Seiten und daher gibt es in der EU viele Staaten, die diese pragmatischere Haltung Serbiens honorieren wollen. Der Status eines EU-Beitrittskandidaten mit Jahresende auch ohne Ratko Mladic in Den Haag ist daher nicht völlig auszuschließen und entspräche auch der inkonsequenten Linie, die die EU am Balkan bereits wiederholt gezeigt hat.

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