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Interview mit Serge Brammertz, dem Chefankläger des Haager Tribunals

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Berichte Serbien
Seit etwas mehr als zwei Jahren ist Serge Brammertz nun Chefankläger des Haager Tribunals. Seine erste große internationale juristische Bewährungsprobe bestand er 2006 als UNO-Sonderbeauftragter für die Ermittlungen im Mord an dem ehemaligen libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri. Im Gegensatz zu seiner Vorgängerin Carla Del Ponte ist der 49-jährige Brammertz medial sehr zurückhaltend. Große Abkündigungen macht der Jurist selten, und eher selten sind auch seine Interviews. Eines hat er nun exklusiv unserem Balkan-Korrespondenten Christian Wehrschütz gegeben, und zwar auf Deutsch, weil Brammertz der deutschen Volksgruppe in Belgien angehört. In dem Gespräch bekräftigt der Chefankläger des Haager Tribunals die Überzeugung, dass der ehemalige General der bosnischen, Ratko Mladic, nach wie vor in Serbien ist. Gesucht wegen des Massakers an mehr als 7.000 Bosniaken in Srebrenica ist Mladic seit mehr als zehn Jahren auf der Flucht, seit vier Jahren fehlt von ihm jede Spur; warum Mladic trotzdem in Serbien sein dürfte, begründet Serge Brammertz so:

SB: "Wir gehen in der Tat seit Jahren davon aus, dass das der Fall ist; um von General Mladic zu sprechen. einige Jahre lang hat er sich kaum versteckt, auch nachdem der internationale Haftbefehl schon bestand Ende der 90iger Jahre; Anfang 2000 ist er dann von der Bildfläche verschwunden, aber er wurde noch immer regelmäßig gesehen, und wir wissen, dass 2006 zum letzten Mal die Gelegenheit verpasst wurde, wir denken wissentlich, um ihn festzunehmen. Insofern gehen wir davon aus, dass - wenn man sich 13 Jahre lang erfolgreich in einer bestimmten Region versteckt hat - man das dann mit 69 Jahren nicht mehr ändert."

CW: Aber es gibt nicht den direkten, schlagenden Bewies, dass Mladic in Serbien oder in der Region sein muss?

SB: "Sie werden verstehen, dass ich keine Details über die operativen Aktivitäten geben kann. Aber es ist natürlich ganz klar, dass unsere Kontaktpersonen und Dienste in Serbien auf einer Reihe von Ebenen arbeiten; und das ist natürlich auf Grund von Verhalten Personen, von denen man annehmen könnte, dass sie vielleicht zu dem Netz von Unterstützern gehören. Und es gibt schon eine Reihe von Anhaltspunkten; aber auf jeden Fall sind wir uns ganz sicher, dass der Schlüssel zur Festnahme und zu den Informationen, die zur Festnahme führen können, sich in Serbien und Belgrad befindet."

CW Was können Sie uns über seine Helfershelfer sagen? Gehen Sie von einem großen oder kleinen Netzwerk aus? Wer sind diese Helfershelfer?

SB: "Heute gehen wir davon aus, dass es sich um eine ganz begrenzte Anzahl von Personen handelt, Getreue. Wenn Sie schauen, welche Personen 2006 festgenommen oder gegen die Ermittlungen eingeleitet wurden, nachdem Mladic ja dann doch wieder kurzfristig das Weite gesucht hat, dann geht es schon um Personen, die dem militärischen Umfeld von Mladic zugehören. Hier muss ich natürlich sagen, dass die neun Personen, die 2006 identifiziert wurden und Gegenstand von Ermittlungen waren, jetzt im Dezember vergangenen Jahres alle freigesprochen worden sind, was ja auch wieder eine Reihe von Fragen aufwirft. Wenn wir in Belgrad sind, dann wiederhole ich es jedes Mal, dass es sehr wichtig ist, dass man nicht nur aktiv die Flüchtigen sucht, sondern natürlich auch die strafrechtlich zur Verantwortung zieht, die in der Vergangenheit Mladic und andere Flüchtig geschützt haben. Und bis heute ist es so, dass niemals jemand verurteilt wurde."

Ratko Mladic hat am 12. März seinen 69. Geburtstag gefeiert. Was können Sie uns eigentlich über seinen möglichen körperlichen und geistigen Zustand sagen? Das Haager Tribunal besitzt ja die Krankenakte aus seiner Militärzeit und etwaige gesundheitliche Probleme wie eine Niereninsuffizienz von der immer die Rede ist, müssten ja auch für die Fahndung wichtig sein?

SB: "Auch da ist es schwierig eine vollständige Antwort zu geben. Natürlich wissen wir, dass es gesundheitlich einige Fragen gibt; natürlich ist das ein Element, das im Bereich der Ermittlungen immer wieder berücksichtigt wird. Aber offensichtlich ist er fit genug, um regelmäßig seine Plätz, wo er sich versteckt, zu ändern und erfolgreich den Diensten zu entfliehen."

CW: Gehen sie davon aus, dass heute die serbische Justiz, die politische Elite aber auch die Geheimdienste, die Geheimpolizei, tatsächlich Ratko Mladic und Goran Hadzic finden wollen?

SB: "Also ich gehe davon aus, dass sicherlich ein Teil der politischen und operativen Elite sicherlich für eine Festnahme ist. Ob diese Leute jetzt wirklich ihre eigenen Dienste zu hundert Prozent kontrollieren und wirklich wissen, was da manches Mal abgeht, da habe ich natürlich manches Mal meine Zweifel."

CW: Wie zufrieden sind Sie generell mit der Kooperation Serbiens mit dem Haager Tribunal, auch abgesehen von Mladic?

SB: "Wir unterscheiden wirklich zwischen zwei Aspekten der Zusammenarbeit. Die Priorität heute ist natürlich die Festnahme der zwei verbliebenen Flüchtigen, wo wir kritisch sind. Was die andere Zusammenarbeit betrifft, Zugang zu Archiven, Zeugenschutz, Dokumente, die wir anfragen, sind wir durchaus mit der Zusammenarbeit zufrieden. Aber im Bereich der Flüchtigen, sind wir der Meinung, dass die Dienste mehr tun müssen und tun können."

CW: In der EU gibt es starke Strömungen, Serbien im Dezember auch dann den Status eines Beitrittskandidaten zu gewähren, wenn Mladic noch nicht gefasst sein sollte. Damit soll eine konstruktivere Haltung gegenüber dem Kosovo honoriert werden. Wie stehen Sie dazu?

SB: "Das sind natürlich politische Entscheidungen, die in Brüssel und den Hauptstädten getroffen werden, und nicht hier. Was ich hierzu sagen kann, ist folgendes: Wenn es in den letzten Jahren zu zahlreichen Festnahmen gekommen ist, dann ist das zu einem sehr großen Teil darauf zurückzuführen, dass die internationale Gemeinschaft im allgemeinen und die EU im besonderen Druck ausgeübt hat, auf Serbien und auf die anderen Länder. Und was hat am besten funktioniert in Bezug auf Druck - das ist die Konditionalität, die also diese Verbindung schaffte zwischen EU-Erweiterung und vollständiger Zusammenarbeit. Vergangenen Oktober haben die europäischen Außenminister sehr klar gesagt, dass die vollständige Zusammenarbeit weiterhin eine Vorbedingung zur EU-Erweiterung ist. Ich hoffe, dass das in der Praxis auch umgesetzt wird. Sollte man jetzt sagen, voila, die Realpolitik in der Region, die EU-Erweiterung sind wichtiger als die Festnahme von Mladic und Hadzic, dann fände ich das persönlich ein sehr großes Problem. Würde man jetzt sagen, das ist alles nicht mehr so wichtig, dann denke ich, wäre das ein Armutszeugnis für die EU."

CW: Das Haager Tribunal soll 2014 seine Arbeit beenden und seine Pforten schließen. Selbst wenn Mladic und Hadzic demnächst gefasst werden, soll ihnen dann noch vor dem Tribunal der Prozess gemacht werden? Wie sieht der Plan B aus, wenn beide oder einer, sagen wir bis 2012 oder 2013, in Freiheit bleiben?

SB: "Die einzige Lösung, die uns wirklich zufrieden stellen würde, dass die Festnahme der beiden unmittelbar jetzt in den kommenden Wochen oder Monaten erfolgt. In diesem Fall würden die Verfahren noch vor dem Gericht hier abgeurteilt, selbst wenn das über das Jahr 2014 hinausgehen würde. Für den Fall, dass die Festnahmen sehr spät erfolgen, hat der UNO-Sicherheitsrat im Dezember eine Resolution verabschiedet, die einen sogenannten residuellen Mechanismus schafft - was ist das? Das ist eine Nachfolgeorganisation für das Jugoslawien-Tribunal, das sich auf der einen Seite mit dem verbleibenden Zeugenschutz, vorzeitigen Entlassungen, Rechtshilfe befasst, das aber auch eine Gerichtskomponente haben wird, mit Richtern und Staatsanwälten, die nur dann aktiviert würden, wenn eine Festnahme erfolgt. Das heißt, das politische Signal aus New York ist zumindestens klar, dass, wann und wo auch immer eine Festnahme erfolgt, selbst wenn das in fünf oder zehn Jahren ist, es kann ein Verfahren geben. Das ist wirklich Plan B, die einige gute Lösung ist die Festnahme sofort."

Herr Brammertz, wir danken für das Gespräch!

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