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Serbien zehn Jahre nach Milosevic

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Am 5. Oktober vor zehn Jahren endete in Serbien durch den Sturm auf das Bundesparlament und auf das Staatsfernsehen in Belgrad die Herrschaft des Autokraten Slobodan Milosevic. Hinweg gefegt wurde er von einem Aufstand der Bevölkerung, die einen neuerlichen Wahlbetrug von Milosevic nicht mehr hinnehmen wollte. Denn bei den Wahlen am 24. September hatte die Mehrheit für den oppositionellen Kandidaten Vojislav Kostunica gestimmt, der dann am 7. Oktober auch als Präsident Rest-Jugoslawiens vereidigt wurde. Bereits damals aus Belgrad berichtet hat unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz. Über die Reformerfolge, die Versäumnisse und über die Lage in Serbien zehn Jahre später er nun den folgenden Beitrag für das Europajournal gezeichnet:

In der Nacht des 6. Oktober 2000 herrschte in Belgrad eine unbeschreibliche Euphorie. Einen Tag nach seinem Sturz hatte Slobodan Milosevic die Niederlage bei der Wahl eingestanden. Die Angelobung von Vojislav Kostunica, zum neuen Präsidenten Rest-Jugoslawiens war bereits für den 7. Oktober fixiert. Den feiernden Serben verkündete der neue Hoffnungsträger Kostunica die Wende so:

"Das Leben in einem normalen und demokratischen Serbien hat begonnen. Und noch etwas: in diesem Moment haben wir bereits das Versprechen von höchster Stelle aus der EU, dass am Montag die Sanktionen Vergangenheit sein werden."

Die internationalen Sanktionen wurden tatsächlich sehr rasch aufgehoben, doch das Ziel eines normalen Lebens ist bis heute nicht erreicht. Auf diesem Weg wurde sofort zu viel Zeit verloren. Bis zur Wende in Serbien selbst vergingen noch vier Monate, denn nach den Wahlen Ende Dezember wurde Zoran Djindjic erst Ende Jänner 2001 als serbischer Ministerpräsident angelobt. Nun konnten die Reformen beginnen, doch Milosevics Erblast war enorm. Serbien war de facto bankrott, die Wirtschaft ruiniert und kriminalisiert. Wie groß das Desaster war, beschreibt Radovan Jelasic, von 2004 bis März 2010 Präsident der serbischen Nationalbank, so:

„Es ist schwierig, sich heute daran zu erinnern, wie war die Lage vor 10 Jahren. Serbische Bürger haben insgesamt nur 50 Millionen Euro Einlagen in den Banken. Derzeit haben wir 6,5 Milliarden. Wenn man Auslandsreserven anschaut, wir haben damals die Staatskasse übernommen, Nationalbankreserven haben wir ungefähr 150-200 gehabt, derzeit sind wir noch immer über 10 Milliarden. Wir müssen auch uns daran erinnern, wir haben sogar keine diplomatische Verhältnisse damals mit Deutschland und vielen anderen Mächten, also wir haben wirklich sehr, sehr viel gemacht, die Frage ist natürlich: könnte man schon viel mehr machen müssen. Ich glaube, die Antwort ist schon: Ja.

Ein Grund für die vielen Versäumnisse war die Heterogenität der Milosevic-Gegner. Sie charakterisiert der ehemalige jugoslawische Außenminister Goran Svilanovic so:

„Damit der 5. Oktober möglich wurde, damit davor Vojislav Kostunica die Wahlen gewinnen konnte, mussten folgende Gruppen zusammenstehen: das waren jene Serben, die von Anfang bis zum Ende überzeugte Gegner der nationalen Politik Milosevics waren. Hinzu kamen jene, die dachten, dass seine Politik ab einem gewissen Zeitpunkt zu teuer geworden war. Drittens zählten dazu die Personen, die nur verstanden hatten, dass Milosevic seine Ziele nicht mehr erreichen konnten. Erst diese drei Gruppen gemeinsam ermöglichten die Mehrheit von 50 Prozent plus einer Stimme. Es war daher zu vereinfacht, die Lage in Serbien so zu sehen, dass das ganze Volk gegen Milosevic war. Das war nicht richtig.“

Die Auslieferung von Slobodan Milosevic an das Haager Tribunal am 28. Juni 2001 durch Zoran Djindjic führte denn auch zum Zerfall des Reformbündnisses. Trotzdem war das Reformtempo zunächst groß; noch größer waren die Hoffnungen. Bis 2007 wollte man so weit sein, um gemeinsam mit Kroatien an das Tor der EU klopfen zu können. Der Traum vom großen Sprung vorwärts endete am 12. März 2003. Um die Mittagszeit wurde Zoran Djindjic im Hof des Regierungsgebäudes in Belgrad ermordet. …

Beim Staatsbegräbnis drei Tage später gaben Hunderttausende Djindjic das letzte Geleit. Wenige Monate später musste seine Partei, die DS, nach vorgezogenen Parlamentswahlen in die Opposition. Neuer Regierungschef wurde Kostunica, die Ultranationalisten wurden stärkste Kraft im Parlament, der nationalistische Rückschlag war da, und die größten politischen Herausforderungen blieben weiter ungelöst. Dazu zählt das Haager Tribunal. Goran Hadzic und vor allem General Ratko Mladic, der für das Massaker in Srebrenica verantwortlich gemacht wird, sind noch nicht gefasst. Nur das Ende Rest-Jugoslawiens durch die Unabhängigkeit Montenegros ging 2006 friedlich vor sich. Die politischen Probleme, wie der Status des Kosovo, belasteten natürlich die Reformen, betont Radovan Jelasic:

„Das hat sicher unseres Leben schwer gemacht, wir haben hier 3 Themen, womit wir uns schon von Anfang an beschäftigt haben, als einmal war das Haag, zweitens war das Montenegro und drittens diese ganze Kosovo-Geschichte. Haag: da sind noch zwei Knaben, die wir eigentlich noch schnappen müssen, ich glaube vor 10 Jahren wir haben ganz genau gewusst, wo die sind und was die machen, dann wollten wir das nicht. Ich glaube heute, es sieht ganz anders aus, wir möchten die schnappen, aber wir haben keine Ahnung wo die sind. Montenegro: man muss nochmals daran denken, Serbien ist so wieder unabhängig geworden, nach fast 90 Jahren, dass uns Montenegro verlassen hat, wir haben gesagt: OK, jetzt sind wir auch alleine. Uns hat der kleine Bruder verlassen. Was die dritte Herausforderung betrifft, sie sehen das auch heute, auch in den letzten ein paar Monaten, das beherrschen noch immer nicht nur Politik, sondern teilweise auch Wirtschaft, das hindert natürlich den Reformprozess. Ich kann Sie nur daran erinnern, dass kein Politiker weniger populär war als Zoran Djindjic mit seinen Reformen und das zeigt, wie viele Reformen werden heutzutage gemacht.“

Im Februar 2008 erklärte der Kosovo seine Unabhängigkeit. Daran zerbrach die Koalition, die mittlerweile Vojislav Kostunica und Djindjics Nachfolger als DS-Parteivorsitzender, Staatspräsident Boris Tadic, gebildet hatten. Seit Mitte 2008 regiert die DS eine breite Koalition, in der auch die halbherzig erneuerten Milosevic-Sozialisten vertreten sind. Doch auch diese sogenannte prowestliche Regierung und Boris Tadic tun sich sehr schwer, nun einen modus vivendi mit dem Kosovo zu finden.

Und wie ist nun - zehn Jahre später - die Bilanz Serbiens? Die größten politischen Erfolge sind die Visa-Liberalisierung in den Schengen-Raum und das Stabilisierungs- und Assoziationsabkommen mit der EU, dessen Ratifizierung aber erst begonnen hat. Negativ sind der massive Zeitverlust und das Fehlen einer ernsthaften Vergangenheitsbewältigung. Dieses Manko zeigt das Beispiel Slobodan Milosevic, der im März 2006 in einer Zelle des Haager Tribunals verstarb. Den Wandel des Milosevic Bildes in Serbien beschreibt der Meinungsforscher Srdjan Bogosavljevic:

„Heute sind wir Zeugen, dass Milosevic sein Image des schlimmsten Verbrechers langsam verliert. Vielmehr sagt man: damals war es schrecklich, doch wir haben nichts Besseres bekommen. Die Menschen erinnern sich nur sehr schwach an die schrecklichsten Elemente der Karriere von Milosevic – das waren die Kriege, Menschen, die umgekommen sind und die Inflation, die nicht so leicht mit Milosevic verbunden wird. Die höchste Inflationsrate gab es 1993/94 als sie vier Prozent pro Stunde betrug. So wurde Milosevic nun zum Indikator der Unzufriedenheit mit der gegenwärtigen Regierung. Je größer die Unzufriedenheit, desto mehr sagen, auch Milosevic war nicht schlecht.“

Wirtschaftlich stehen auf der Habenseite die Reform des Bankensektors und so manche erfolgreiche Privatisierungen. Negativ zu bewerten sind mangelnde Wettbewerbsfähigkeit, hohe Arbeitslosigkeit und Schattenwirtschaft sowie die Dominanz der serbischen Tycoons etwa im Einzelhandel. Daher bezahlen die Serben oft überhöhte Preise; das ärgert den ehemaligen Nationalbankpräsidenten Radovan Jelasic nach wie vor:

„Es ist hier kein Geheimnis, dass ich in Ungarn geboren bin und aufgewachsen bin und ich habe hier kaum in den letzten 6 Jahren, obwohl ich Gouverneur dieses Landes war wie viel ich hier eingekauft habe, ich erinnere mich immer an die sehr schöne Werbungen von Mediamarkt, es heißt: Ich bin doch nicht blöd. Also es heißt, wenn man hier auf der Straße läuft, fühlt man sich ein bisschen blöd, wenn man sich hier die Preise anguckt. Das hat auch sehr, sehr viel damit zu tun, dass bei uns, insbesondere Handelssektor nicht für die Ausländer noch eröffnet ist. Also, Handelsketten, wie Mediamarkt, die sind überall vertreten, in Serbien aber, die sind hier immer noch nicht gekommen. Für uns ist es noch immer billiger auf der Kärntner Straße in Wien einkaufen, oder in der Vaci utca in Budapest, als in der Knez Mihajlova hier in Belgrad.“

Und wo sieht Radovan Jelasic Serbien in fünf Jahren, am 5. Oktober 2015:

„Ich hoffe, dass wir die wichtigste politische Herausforderung endlich gelöst haben, und das ist die Frage: wie werden wir mit Realität leben und das ist ein unabhängiges Staat Kosovo? Wir können sogar wirtschaftlich sehr, sehr viel davon profitieren. Ich sehe Serbien als ein Land, was die Wirtschaft betrifft, wo wir endlich uns für Marktwirtschaft verpflichtet haben und ich sehe Serbien als ein Land hier auf dem Balkan, das eigentlich dieses ganze Region hier in die EU pusht und ich glaube, wir haben gute Chancen bis 2015, spätestens bis 2020, das auch zu schaffen.“

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