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Serbiens Probleme mit der Aufarbeitung der Vergangenheit

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Berichte Serbien
In Serbien hat das Parlament Dienstagnacht nach jahrelangen Debatten eine Resolution verabschiedet, mit der das Massaker von Srebrenica verurteilt wird. Bei dieser Greueltat ermordeten bosnische Serben im Jahre 1995 etwa 8.000 Bosnjaken. Bis zur Verurteilung des Massakers durch das Parlament in Belgrad brauchte es 15 Jahre; dennoch konnte sich Serbien nicht dazu durchringen, das Wort „Völkermord“ in die Resolution aufzunehmen. Trotz dieser Einschränkung ist die Resolution in Serben höchst umstritten, und verabschiedet wurde sie im Parlament schließlich nur mit den Stimmen der proeuropäischen Regierungsparteien. In Belgrad ist unser Balkan-Korrespondent der Frage nachgegangen, warum es Serbien so schwer fällt, sich seiner Vergangenheit zu stellen; hier sein Bericht:

Bei der Aufarbeitung der Vergangenheit gilt es in Serbien zwei Ebenen zu unterscheiden: die juristische Seite und die sogenannte Vergangenheitsbewältigung an sich. Juristisch hat Serbien bereits sehr viel getan; 44 Personen und mehr als hunderttausend Seiten an Dokumenten wurden an das Haager Tribunal ausgeliefert. Hinzu kommt der Gerichtshof für Kriegsverbrechen in Belgrad, der bereits hohe Haftstrafen ausgesprochen hat. Doch der mediale Niederschlag derartiger Urteile ist in Serbien eher gering. Umfragen zeigen daher, dass das Wissen über Verbrechen zunehmend schwindet. Hinzu kommt ein psychologischer Faktor, den in Belgrad der Meinungsforscher Srdjan Bogosavljevic so erläutert:

„Alle Verbrechen, an die sich die Serben erinnern, werden mit der Skepsis bedacht, ob sie sich tatsächlich ereignet haben. Denn man sagt sich; ich bin ein Serbe und hätte nie etwas Derartiges getan; und daher zweifelt man daran, dass Serben etwas Derartiges getan haben. Anderseits leben die Serben mit Opfern, die fliehen mussten. Doch sie kennen keinen, der im serbischen Namen Verbrechen begangen hat, weil sich von diesen Mördern keiner seiner Taten gerühmt hat.“

Weitgehend unbestritten ist jedoch, dass das Massaker von Srebrenica ein Verbrechen war. Höchst umstritten sind jedoch die Zahl der Opfer und die Bewertung als Völkermord, denn die Botschaften der politischen und intellektuellen Eliten dazu sind widersprüchlich. Diese Spaltung zeigt sich an der Person von General Ratko Mladic; der flüchtige Mladic gilt als hauptverantwortlich für das Massaker. Zur Person Mladic sagt Bogosavljevic:

„30 Prozent sagen, Mladic hat etwas Schreckliches getan und müsste sofort ins Gefängnis; weitere dreißig Prozent sagen, Mladic hat überhaupt nichts verbrochen und ist vielleicht sogar ein Held. Beim Rest der Befragten hängt das von den Medien ab. Als wir die Frage stellten, nachdem die Bilder von den Erschießungen gezeigt wurden, haben viel mehr Mladic beschuldigt. Jetzt, viele Jahre später, sehen viel weniger Menschen Mladic als schuldig an. Für sie war das der Vollstrecker einer Politik, oder jemand, der sich im Krieg befand, und das war eben etwas, was sich im Krieg ereignet.“

Doch weder die kommerziellen Medien noch das Staatsfernsehen widmen dem Thema Vergangenheitsbewältigung breiteren Raum. Das Staatsfernsehen sei dabei ein Spiegelbild der Politik, betont Srdjan Bogosavljevic:

„Für den Staat ist das keine Priorität; und das hat einen einfachen Grund. Nach dem Jahre 2000 waren alle Regierungen sehr breite Koalitionen. Und heute sind die Sozialisten in der Regierung, deren früherer Präsident Slobodan Milosevic in Den Haag war. Eine derartige Regierung ist zu sehr großen Kompromissen gezwungen; und diese Kompromisse führen dazu, dass die Vergangenheit einer vertretenen Partei nicht angegriffen wird. Doch Vergangenheitsbewältigung heißt gerade auch die Vergangenheit eines Koalitionspartners angreifen zu müssen.“

Daher ist es ein positives Zeichen, dass auch die Sozialisten für die Srebrenica-Resolution stimmten, obwohl unter diesen Bedingungen die Aussöhnung am Balkan noch sehr lange dauern wird.

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