× Logo Mobil

Religionsunterricht in Serbien

Radio
Praxis
Berichte Serbien
Vor neun Jahren hat Serbien den Religionsunterricht an den Schulen wieder eingeführt. Diese Maßnahme war damals in Serbien durchaus umstritten, obwohl gleichzeitig auch die Staatsbürgerkunde eingeführt wurde. Zwischen beiden Fächern können die Kinder wählen. Neun Jahre später gibt es keine Debatten um den Religionsunterricht mehr, und die Zahl der Anmeldungen steigt von Jahr zu Jahr leicht aber stetig an. In Belgrad hat unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz eine Religionsstunde besucht und darüber folgenden Bericht gestaltet:

Mit dem „Vater Unser“ beginnt die Religionsstunde in dieser dritten Klasse einer Grundschule in Belgrad. Die Kinder der gemischten Klasse sind neun Jahre alt, der Religionslehrer, Nikola Soldatovic, ein orthodoxer Diakon, 30 Jahre. Soldatovic ist einer von drei orthodoxen Religionslehrern an dieser Schule. Mit 1600 Schülern zählt sie zu den großen Schulen Belgrads. Etwa 60 Prozent der Schüler besuchen den Religionsunterricht, der Rest hat Staatsbürgerkunde gewählt. Zu dieser Verteilung sagt Nikola Soldatovic:

„Diese Zahl ist nur bedingt aussagekräftig, weil viele Eltern ihre Kinder aus Gründen der Tradition in den Religionsunterricht einschreiben. Andererseits schreiben Eltern ihre Kinder auch zur Staatsbürgerkunde ein, weil sie der Ansicht sind, dass ihre Kinder zu Hause ausreichend religiöse Bildung erhalten. Der Besuch der Staatsbürgerkunde wird von diesen Eltern als Art Ausgleich empfunden. Jedenfalls sehen wir viele Kinder am Sonntag in der Kirche, die Staatsbürgerkunde besuchen, und das ist für uns das wichtigste.“

Pro Klasse und Woche steht eine Stunde Religion am Lehrplan. Religion und Staatsbürgerkünde sind sogenannte Wahlpflichtfächer; die Benotung ist schriftlich, wird aber nicht für den Schulerfolg mitgezählt, und ab der neunten Klasse dürfen die Kinder selbst wählen, sollten sie eine weiterführende Schule besuchen. In der dritten Klasse der Belgrader Schule lernen die Kinder heute etwas über Ikonen; dabei kommen Internet und Videobeamer zum Einsatz, die an den besseren Schulen Serbiens bereits vorhanden sind. Die Ikonen werden an die Wand projiziert, und in einem Frage-Antwort-Spiel lernen die Schüler etwas über Bedeutung und Symbolik der Ikonen. Den Sinn des Religionsunterrichts beschreibt Nikola Soldatovic so:

„Das Ziel des Religionsunterrichts ist es nicht, die Kinder über den Glauben zu informieren, damit sie grundsätzliche Glaubenswahrheiten kennen. Vielmehr geht es darum, die Kinder in die liturgische Gemeinschaft zu führen, damit sie ein Teil der lebendigen Kirche werden. Auf diese Weise sollen sie das kirchliche Leben auch leben, damit der Religionsunterricht ein grundlegender Bestandteil ihres Lebens wird und nicht nur ein Unterrichtsfach ist.“

Doch natürlich lernen die Kinder etwas über Liturgie, Taufe und lesen in höheren Klassen auch die Bibel. Wenig Beachtung finden im Unterricht bisher die anderen sechs staatlich anerkannten Religionen, von der Katholischen Kirche über den Islam bis zum Judentum. Diese kleineren Religionen sind oft auch die Religionen nationaler Minderheiten, und Religionsunterricht gibt es etwa auch in den Sprachen Rumänisch, Albanisch und Ungarisch. Trotzdem melden Angehörige nationaler Minderheiten ihre Kinder in den Schulen oft nicht zum Religionsunterricht an, weil sie sich nicht als Minderheit deklarieren wollen. Religiöse Erziehung erhalten diese Kinder dann entweder zu Haus oder in der Kirche. Dazu erzählt der Religionslehrer Nikola Soldatovic aus der Praxis seiner Schule in Belgrad:

„Zum katholischen Religionsunterricht haben sich zunächst zwei oder drei Kinder angemeldet. Doch wenn die Eltern sehen, dass die Kinder in der Minderheit sind, dann melden sie die Kinder meistens zur Staatsbürgerkunde an.“

Denn der Religionsunterricht für die kleineren Religionsgemeinschaften ist auch ein logistisches Problem; sieht man von den kompakten Siedlungsgebieten der Minderheiten ab, gibt es an einzelnen Schulen oft zu wenige Kinder, und eine Zusammenführung mehrerer Schulen zu einzelnen Klassen zu kompliziert ist. Eindeutig dominant ist in Serbien die orthodoxe Kirche, der etwa 90 Prozent der Bevölkerung angehören. Diese Dominanz zeigt sich auch an den Religionslehrern, erläutert der Universitätsprofessor für Theologie Ljubomir Stojanovic:

„Derzeit gibt es insgesamt etwa 2.500 Religionslehrer; die meisten von ihnen, 1.700, sind orthodoxe Religionslehrer, gefolgt von 500 der islamischen Glaubensgemeinschaft und 300 katholischen Religionslehrern. Die übrigen gehören kleineren Glaubensgemeinschaften an. Den Religionsunterricht besuchen 450.000 Schüler, das sind etwa 50 Prozent der gesamten Schüler in Serbien.“

Stojanovic leitet die staatliche Kommission zum Religionsunterricht, in der alle Kirchen vertreten sind. Sie schlagen auch die Lehrpläne und die Religionslehrer vor. Bezahlt werden die Lehrer vom Staat; doch derzeit gibt es für Religionslehrer nur befristete Arbeitsverträge, während die Lehrer für Staatsbürgerkunde fest angestellt sind. Die Kirchen wünschen sich hier eine Gleichstellung; und Ljubomir Stojanovic räumt auch ein, dass im Unterricht stärker auf kleinere Religionsgemeinschaften eingegangen werden müsste, um das Verständnis der Mehrheit für die Minderheit zu vertiefen.

Facebook Facebook