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Der neue Patriarch und die Orthodoxie

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Im November 2009 verstarb der serbische Patriarch Pavle. Zwei Jahre hatte er in einem Militärkrankenhaus in Belgrad verbracht, so dass die serbisch orthodoxe Kirche weitgehend ohne klare Führung war. Nun hat die Orthodoxie am vergangenen Freitag sogar erstaunlich schnell einen Nachfolger für Pavle gewählt. Es ist dies der Bischof von Nis, Irinej. Trotz seiner fast 80 Jahre gilt er als rüstig und trotz klarer konservativer Ansichten zum Dialog bereit. Auch dem Besuch des Pastes in Serbien steht Irinej positiv gegenüber, wobei der neue Patriarch eine große Zahl an innerkirchlichen Problemen und Herausforderungen geerbt hat. Sie reichen von der Frage der europäischen Integration und dem Kosovo bis hin zur Liturgiereform und zur territorialen Reform der Diözesen. In Belgrad hat unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz ein Bild der Orthodoxen Kirchen und ihres neuen Patriarchen für die Praxis gezeichnet.

Die Inthronisierung des neuen Patriarchen war in Belgrad nicht nur ein religiöses und kirchenpolitisches, sondern ein staatspolitisches Ereignis. Neben allen Religionsgemeinschaften waren der serbische Regierungschef und andere führende Politiker vertreten. 85 Prozent der Bewohner Serbiens sind orthodox, unter den Serben sind es sogar mehr als 97 Prozent. Die Orthodoxie ist der Träger der serbischen Identität, eine Rolle die in Zeiten der Krise besonders wichtig ist. Der neue Patriarch, der 79jährige Irinej, hat daher großes politisches Gewicht. Durch das apostolische Los aus einem Dreiervorschlag von einem Mönch gezogen, gilt er als Mann des Ausgleichs, der auch für Neuerungen offen ist. So gab Irinej sogar eine Pressekonferenz, die erste, die je ein Patriarch nach seiner Wahl abgehalten hat. Sollte tatsächlich nur der Heilige Geist die Hand des Mönchs geführt haben, so hat er wohl die beste Wahl getroffen. Denn Irinej könnte in der Lage sein, zwischen sehr konservativen und reformbereiteren Strömungen zu vermitteln; sie sollen die beiden anderen Kandidaten repräsentiert haben. In diesem Sinne betont Irinej seine Rolle als erster unter gleichberechtigten Bischöfen:

„Ich vermag und will nichts an der Kirche vorbei tun. Wir haben erstens die Bischofskonferenz, das ist der Ort für Vereinbarungen und für das Gespräch über alles, was in der Kirche geschieht. Dann haben wir den Synod, der in allen Fragen unmittelbar mit dem Patriarchen zusammenarbeitet. Mehrere Augen sehen die Probleme sicher besser und finden die angemessenste Lösung.“

In Serbien sind Kirche und Staat formell getrennt, doch der Staat unterstützt die Orthodoxie auch indirekt finanziell, in dem er etwa die Sozialversicherung für Mönche bezahlt. Andererseits braucht die politische Führung die moralische Unterstützung der Kirche. Die Beziehungen sind eng, und ein erstes Treffen zwischen Irinej und Staatspräsident Boris Tadic fand bereits statt. Dabei kamen der Kosovo und ein Besuch des Papstes zur Sprache. Serbien hat die Unabhängigkeit des albanisch dominierten Kosovo nicht anerkannt; diese Position deckt sich völlig mit der Orthodoxie, deren größte kirchliche Heiligtümer im Kosovo liegen. Bei seiner Inthronisierung bezeichnete Irinej den Kosovo als serbisches Jerusalem und sagte:

„Wir haben viele Aufgaben; doch einer der heiligsten ist, dass wir als Kirche unser heiliges, märtyrerhaft-leidgeprüftes Kosovo bewahren. Hier müssen wir unserem Staat helfen, der alles tut, um den Kosovo vor jenen zu verteidigen, die ihn an sich reißen wollen. Dabei muss die Kirche helfen, ohne über Mühen zu klagen; sie muss bereit sein, wenn nötig, auch zu leiden.“

Vorbehalte gibt es in der Orthodoxie gegen den Papst-Besuch, während Präsident Boris Tadic Papst Benedikt. bereits nach Serbien eingeladen hat. Diese Widerstände hängen nicht nur mit der Kirchenspaltung zusammen, erläutert in Belgrad der Publizist Zivica Tucic:

„Bei Katholiken denkt der Serbe zuerst an den Kroaten, und dann kommen alle historischen Gegensätze hervor, die bestanden haben. Doch auch in der orthodoxen Kirche wird wahrgenommen, dass Widerstände gegen den Papst-Besuch sinnlos sind. In Serbien gibt es fünf Prozent Katholiken, und die haben das Rechts, dass sie ihr Oberhaupt besucht.“

In drei Jahren könnte es soweit sein. Denn 2013 jährt sich die Erlassung des sogenannten Mailänder Toleranzedikts zum 1700. Mal. In diesem Edikt gewährte der römische Kaiser Konstantin auch dem Christentum religiöse Gleichberechtigung. Konstantin wurde in Nis geboren, wo Irinej bisher als Bischof wirkte. In Nis soll dieses Edikts groß gedacht werden, und an diesen Feiern könnte der Papst teilnehmen, betont Irinej:

„Das wäre eine Gelegenheit, dass die Vertreter der Kirchen zu jener Periode zurückkehren, in der dieses Edikt erlassen wurde. Da können erste Kontakte geknüpft werden, die dann mit Glück fortgesetzt werden, um das, was sich in der Geschichte ereignet hat, durch einen neuen christlichen Weg zu korrigieren. Doch das muss aufrichtig sein, und vom Wunsch getragen werden, eine Kirche Christi und eine Herde Christi sein zu wollen.“

Ein Papstbesuch aus Anlass des Mailänder Toleranzedikts wäre auch für orthodoxe Gegner akzeptabel, erläutert der Publizist Zivica Tucic:

„Ein besonderer Besuch Serbiens wird damit nicht verbunden sein. Wahrscheinlich ist es auch besser, dass der erste Besuch auf serbischen Boden durch einen römischen Pontifex im Rahmen eines internationalen Treffens stattfindet.“

Vorbehalte haben orthodoxe Bischöfe und Priester auch gegen die EU, die als gottloses Europa kritisiert wird. Doch die EU-Integration ist das wichtigste politische Ziel Serbiens. Auch in dieser Frage signalisiert Patriarch Irinej Kompromissbereitschaft:

„Wir sind der Ansicht, dass wir während unserer gesamten Geschichte Europa angehört haben. Sicherlich wollen wir auch Teil dieser Gemeinschaft der Völkerfamilie. Wir werden daher alles akzeptieren, was unserer kulturellen und historischen Identität nicht schadet. Ich hoffe, dass Europa auch unsere Identität, unsere Kultur und unseren orthodoxen Glauben achten wird. Wenn dem so ist, werden wir uns vor der Europäischen Union nicht scheuen.“

Weniger diplomatisch war Irinej in seinen Aussagen zum Islam. In einem Zeitungsinterview warf er mit Blick auf dem Kosovo dem Islam mangelnde Toleranz vor, sobald er in einer Bevölkerung in der Mehrheit sei. Diese Aussage unter der islamischen Geistlichkeit in Serbien massive Kritik aus. In seiner Pressekonferenz sagt Irinej zum Islam:

„Unsere Kirche war immer tolerant und hat jede Religion geachtet. Das ist ihr Glaube, und warum sollten wir uns da einmischen und irgendeine Meinung abgeben. Wir achten sie als religiöse Gemeinschaft, und das haben wir immer getan.“

In Bosnien sehen das die Moslems kaum so, hat doch die serbische Orthodoxie während der Zerfallskriege im ehemaligen Jugoslawien eine durchaus anfechtbare Rolle gespielt. Eine Aufarbeitung ihrer nationalistischen Verirrungen ist auch unter Patriarch Irinej nicht zu erwarten. Doch der Weg zur Vergangenheitsbewältigung ist mühsam, nicht nur am Balkan und nicht nur in der Orthodoxie, die ihren Beitrag zur Aussöhnung noch zu leisten haben wird.

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