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Neuwahl des Patriarchen

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Berichte Serbien
In Belgrad ist heute die Führung der Orthodoxen Kirche zusammengetreten, um einen neuen Patriarchen zu wählen. Der bisherige Amtsinhaber, Patriarch Pavle, ist Mitte November verstorben, daher wurde die Wahl notwendig. Anders als der Papst in der Katholischen Kirche hat der serbische Patriarch nur wenige Vollmachten, vielmehr ist er der erste unter gleichberechtigten Bischöfen. Trotzdem ist die Wahl nicht nur von kirchenpolitischer Bedeutung, weil die orthodoxe Kirche in Serbien hohes Ansehen genießt. Die Haltung des Patriarchen zur EU oder zum Kosovo beeinflusst daher auch das gesellschaftliche Klima in Serbien. Aus Belgrad berichtet unser Korrespondent Christian Wehrschütz

Die serbische Kirche ist wie alle Orthodoxien eine Nationalkirche; doch Serben leben weit verstreut in der Welt von Australien bis Österreich, und so wirkt etwa nur ein Drittel der Bischöfe in Serbien selbst. Obwohl die Zahl der Kinder kontinuierlich steigt, die in den Schulen den Religionsunterricht besucht, ist die Zahl der aktiven Kirchgänger auch in Serbien gering. Trotzdem spielt die Kirche gerade in Zeiten der Krise eine identitätsstiftende Rolle. Sie beschreibt der Journalist Zivica Tucic so:

„Einer der wichtigsten Faktoren der serbischen Identität ist die Orthodoxie, und zwar unabhängig davon, ob jemand gläubig ist oder nicht. So kann man sagen, dass es in Serbien auch orthodoxe Atheisten gibt. Wenn man jemanden fragt, ob er orthodox ist, ist das für ihn gleichbedeutend mit der Frage, ob er Serbe ist.“

Daher ist in Serbien das Interesse an der Wahl des Patriarchen ausgesprochen hoch. Das Recht, den Patriarchen zu wählen, haben alle 45 Bischöfe der serbischen Orthodoxie. Zum Patriarch gewählt werden kann aber nur, wer bereits seit fünf Jahren eine Diözese führt. Das reduziert die Zahl der Kandidaten auf 34. Gewählt wird zunächst ein Dreier-Vorschlag, wobei jeder der drei Bewerber die absolute Mehrheit und somit 23 Stimmen benötigt. Die drei Namen werden dann in je einen Briefumschlag gesteckt. Diese Umschläge werden gemischt und in die Bibel gelegt. Daraus zieht ein alter Mönch einen Umschlag und wählt so den Patriarchen. Der Wahlmodus stammt noch aus kommunistischer Zeit; er sollte den Einfluss des Staates auf die Wahl einschränken. Doch auch die nunmehr demokratische Führung hat ein großes Interesse an der Wahl, denn die Kirche hat bisher etwa zur EU-Integration noch nicht klar Stellung bezogen. Dazu sagt der Journalist Zivica Tucic:

„Unter den Bischöfen herrscht eine gewisse Skepsis der EU gegenüber. So konnte man von einigen Bischöfen auch jüngst hören, dass Europa gottlos sei. Andererseits wünscht sich sicher auch Staatspräsident Boris Tadic, dass die Kirche der EU offener gegenüber steht; damit die Kirche, wenn sie schon nicht hilft, dann wenigstens nicht hinderlich ist durch derartige Aussagen.“

Wichtig für die politische Führung in Serbien wird auch die Frage sein, wie die Kirche der Zusammenarbeit mit der internationalen Gemeinschaft im Kosovo gegenübersteht. Darüber hinaus warten auf den neuen Patriarchen viele interne Herausforderungen, von der Territorialreform bis zur Liturgiereform. All diese Probleme haben sich angehäuft, weil der im Alter von 95 Jahren verstorbene Patriarch Pavle die letzten zwei Jahre seiner Amtszeit im Krankenhaus verbrachte, und die Kirche in Serbien de facto führungslos gewesen ist.

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