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Serbien und Russland zwischen Mythos und Kosovo

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Am 20. Oktober besucht der russische Präsident Dimitri Medwedjew Belgrad. Offizieller Anlass ist der 65. Jahrestag der Befreiung der serbischen Hauptstadt von den deutschen Besatzern. Tatsächlich geht es jedoch um die Stärkung der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen, reist Medwedjew doch mit einer Delegation von fast 200 Personen an. Russland hat den Widerstand Serbiens gegen die Unabhängigkeit des Kosovo und die gespaltene Haltung der EU in dieser Frage ausgenutzt, um in Serbien wieder stärker Fuß zu fassen. So verkaufte Serbien den Energiekonzern NIS an die russische Gazprom. Im Gegenzug wird ein Teil der Gasleitung „South Stream“ auch über serbisches Territorium laufen. Generell nutzt Russland seine Energiepolitik, um am Balkan insgesamt wieder stärker Fuß zu fassen. In Serbien wird dabei auch auf die Stereotypen von den zwei historischen Brudervölkern zurück gegriffen. Das Verhältnis zwischen diesen beiden Völkern hat unserer Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz in Belgrad hinterfragt und den folgenden Beitrag gestaltet:

„Katjuscha“ ist ein in Serbien sehr bekanntes russisches Volkslied, das natürlich auch der Chor der russischen Schule in Belgrad beherrscht. Ihre Geschichte reicht bis in das Jahr 1920 zurück. Nach der kommunistischen Oktober Revolution fanden etwa 35.000 Russen Aufnahme in Jugoslawien, darunter 3.000 Kinder. Das erste russische Gymnasium bestand bis April 1941. Nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Bruch zwischen Tito und Stalin dauerte es bis zum Jahre 1970 ehe in Belgrad wieder eine russische Schule ihre Arbeit aufnehmen konnte. Finanziert werden die 29 Lehrer vom russischen Staat, 12 Professoren sind Russen, die nach Serbien entsandt wurden. Für Bürger Russlands ist die Schule kostenlos, alle anderen haben zwischen 2000 und 2500 Dollar pro Jahr zu bezahlen. Die Unterrichtssprache ist in allen Fächern und allen elf Schulstufen Russisch. Von den 200 Schülern sind 100 Russen, 70 Serben, der Rest entfällt auf andere Nationalitäten. Die Motivation serbischer Kinder, diese Schule zu besuchen ist vielfältig. So sagt die 17-jährige Belgraderin Jelena Stevanovic:

„Mir gefällt die gesamte klassische russische Literatur. Mir gefallen Tolstoi, Dostojewskij, Puschkin, und ich kann mich für keinen konkret als Lieblingsautor entscheiden, weil alle ihre Werke schön sind.“

Stevanovic will in Russland Chemie studieren; der 18-jährige Nikola Kosovic will dagegen in Serbien bleiben:

„Ich möchte Politikwissenschaft studieren und Diplomat werden. Dabei kann mir die Russische Sprache helfen, wenn ich irgendwann ein Mal in Russland arbeiten oder mit Russland andere Beziehungen haben werde.“

Der wachsende Einfluss Russlands in Serbien zeigt sich auch am zunehmenden Interesse, wieder Russische zu lernen, obwohl im Schulwesen natürlich Englisch unangefochten dominiert. Trotzdem haben sich im Russischen Kulturzentrum in Belgrad, dem ebenfalls von Emigranten geründeten „Ruski Dom“, heuer mehr als 250 Personen zu Sprachkursen angemeldet; das entspricht einer Zunahme von 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die wiederentdeckte Liebe zu Russland hat auch jene Stereotypen wiederbelebt, die dieses Verhältnis beschreiben sollen. Dazu sagt etwa der Direktor des „Ruski Dom“, Wladimir Wasiljewitsch Kutirin

„Im Grund sind die Beziehungen nicht nur freundschaftlich, sondern ich würde fast sagen brüderlich. Sie halten uns für ihren älteren Bruder; und das freut uns natürlich.“

Der Direktor der russischen Schule in Belgrad, Sergej Aleksandrowitsch Leppik, sieht abgesehen von der sprachlichen Nähe folgende Gründe für die Affinität:

„Das ist vor allem die Einheit der Tradition und der Kultur der Orthodoxie. Im Geiste steht Serbien Russland sehr nahe; warum, weil die Orthodoxie der Bewahrer dieser Tradition ist, von der Liturgie bis hin zur familiären Tradition. In Serbien ist das sogar noch etwas ausgeprägter als in Russland, weil bei uns eine lange Periode der Gottlosigkeit herrschte als das geistige Erbe vernichtet wurde. Zum Glück ist diese Zeit vorbei.“

Historisch-politische Gründe führt dagegen der serbische Professor für Slawistik, Predrag Piper ins Treffen:

„Russland hat in der Geschichte niemals Serbien angegriffen. Andererseits gibt es kaum ein Volk in Europa, dass Serbien nicht ein Mal angegriffen hätte. Das muss man berücksichtigen, zumal Russland Serbien auch oft verteidigt hat. Allein im Zweiten Weltkrieg fielen mehr als 1000 sowjetische Soldaten bei der Befreiung Belgrads.“

Dieser sowjetische Beitrag änderte nichts daran, dass nach dem Bruch zwischen Tito und Stalin in Belgrad die Straße der Roten Armee in die Straße der Revolution umbenannt wurde. Und in den 90iger Jahren mussten General Stanow und Marschall Tolbuchin den historischen Straßennamen in Belgrad weichen. Nun sollen diese sowjetischen Offiziere wieder Straßennamen erhalten; denn es gilt dem positiven Image Russlands zu entsprechen, das der Meinungsforscher Srdjan Bogosavljevic so erläutert:

„Als Serbien bombardiert wurde, waren die Russen auf unserer Seite, als es die Sanktionen gab, waren die Russen dagegen; und als es um den Status des Kosovo ging, waren die Russen die Einzigen, die Serbien vorbehaltlos dabei unterstützt haben, dass der Kosovo Teil Serbiens ist. So wurde Russland in den Medien als sehr wichtig dargestellt. Das überträgt sich auch auf die Wirtschaft. Wenn wir danach fragen, ob Russland oder Amerika mehr in Serbien investiert, dann heißt die Antwort Russland, obwohl es genau umgekehrt ist, und diese Zahlen öffentlich zugänglich sind.“

Der Stärkung des wirtschaftlichen Einflusses soll auch der Besuch von Präsident Medwedew dienen. Bisher hat Russland nur als Energielieferant Bedeutung. Nur vier Prozent der serbischen Exporte entfallen auf den russischen Markt, wobei sich das Handelsvolumen durch die Krise heuer sogar halbiert hat. Außerdem käme kein Serbe auf die Idee, statt in Euro in Rubel zu sparen. Zarko Korac, ehemaliger politische Weggefährte des ermordeten Ministerpräsidenten Zoran Djindjic, verweist daher darauf, dass die Modernisierung Serbiens nur aus der EU kommen kann, die der wichtigste Geldgeber Serbiens ist. Zarko Korac:

„Wir bauen ein wirtschaftliches und politisches System auf, das nicht mit dem russischen, sondern mit dem westeuropäischen System kompatibel ist. So hat die derzeitige Anlehnung an Russland zwar einige historische Wurzeln; doch sie ist leider Ausdruck einer nicht realistischen Außenpolitik. Serbien hat als kleines und armes Land nicht die Kraft, die Außenpolitik zu führen, die es führt; daher muss es sich an eine Großmacht anlehnen, und das ist Russland, das helfen soll.“

Denn Serbien hätte weder die Macht den Kosovo zu halten noch die Finanzkraft den Kosovo zu entwickeln. Trotzdem dominiert der Kosovo in gewisser Weise noch immer die serbische Außenpolitik, und das kritisiert der frühere serbische Außenminister Vuk Draskovic so:

„Einerseits sagt man, dass wir die Souveränität über den Kosovo bewahren müssen; das ist ein unseriöser und autistischer Standpunkt. Denn ein Staat kann nicht die Verpflichtung übernehmen etwas zu bewahren, das nicht besteht. Nach dem Krieg mit der NATO hat Milosevic die Souveränität über den Kosovo verloren; seit damals gibt es keine serbische Staatsmacht mehr im Kosovo.“

Trotzdem versucht Serbien weiter, die Festigung des kosovarischen Staatswesens zu untergraben und dessen regionale Integration zu blockieren. Indirekt ermutigt wird Serbien dazu durch die Uneinigkeit der EU in der Frage der internationalen Anerkennung. Erschwert wird dadurch auch der Weg des Kosovo Richtung EU, und das schade Serbien selbst, betont Vuk Draskovic:

„Wenn wir der EU beitreten wollen, dann müssen anerkennen, dass die gesamte Region europäisiert wird. Dann dürfen wir kein Argument liefern, das die bestehenden Ängste in Europa schürt, dass wir Träger eines Virus sind, der zu Balkanisierung oder Kosovovisierung der Region führt.“

Dieses Risiko gilt nicht für Russland, das den Kosovo und seine Energiepolitik nutzt, um den Einfluss der USA in Serbien zu begrenzen und seine eigene Rolle zu stärken. Diesem Zweck dient auch der Mythos der serbisch-russischen Freundschaft. Dieser Mythos hält der historischen und politischen Realität nicht stand; trotzdem wird er beim bevorstehenden Besuch von Präsident Medwedew wieder ausgiebig beschworen werden.

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