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Serbien und seine neue Regierung

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Serbien hat seit dieser Woche eine neue Regierung. Sie ist eine Koalition aus zehn Parteien unter dem Ministerpräsidenten und Wirtschaftsexperten Mirko Cvetkovic. Sein Kabinett verbindet zum ersten Mal Parteien, die bis zum Sturz von Slobodan Milosevic vor acht Jahren buchstäblich auf der jeweils anderen Seite der Barrikade gestanden haben. Stärkste Kraft der Koalitionsregierung ist die DS, die Demokratische Partei von Staatspräsident Boris Tadic. Sein Vorgänger als Parteivorsitzender war Ministerpräsident Zoran Djindjic. Djindjic lieferte Slobodan Milosevic im Juni 2001 an das Haager Tribunal aus, wo Milosevic im März 2006 starb. Dessen Sozialistische Partei ist nun Juniorpartner in der neuen serbischen Regierung, ein Umstand den die Anhänger beider Parteien erst verdauen müssen. Ob diese Regierung funktionieren und wie lange sie halten kann, dieser Frage ist in Belgrad unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz nachgegangen, der den folgenden Beitrag auch gestaltet hat:

Regierungen haben in Serbien eine durchschnittliche Lebensdauer von 18 Monaten. So ist das neue Kabinett das 11. seit der Einführung des Mehrparteiensystems vor 17 Jahren. Diese Instabilität hinterließ tiefe Spuren, auch in den vergangenen zwei Jahren, die ständige Wahlkämpfe prägten. Die Reformen wurden vernachlässigt, Wahlkampfzuckerl waren sehr kostspielig, die Inflationsrate ist zweistellig und Konsumgüter sind zum Teil teurer als in Österreich, obwohl der Durchschnittslohn nur 400 Euro beträgt. Hinzu kam die Unabhängigkeit des Kosovo, die nach nur zehn Monaten zum Sturz der Regierung führte. Sie zerbrach an der Frage, ob Serbien den EU-Kurs fortsetzen soll, obwohl die Mehrheit der EU den Kosovo anerkannt hat. Diese Frage ist nun geklärt; und unter dem Bekenntnis zur EU kam eine Koalition zwischen ehemals erbitterten Gegnern zustande. Dessen ist sich auch die sozialistische Parlamentspräsidentin Slavica Djukic-Dejanovic bewusst:

„Die parlamentarische Mehrheit wurde von Parteien gebildet, die vor acht Jahren politisch völlig entgegengesetzt waren; doch wir haben uns auf ein Programm für Serbien mit folgenden Prioritäten geeinigt: diese sind ein stärkerer Staat, ein Serbien auf dem Weg Richtung EU-Integration mit starker wirtschaftlicher Entwicklung und ein sozial gerechteres Serbien. Mir scheint, dass diese parlamentarische Mehrheit bereits funktioniert.“

Den Regierungseintritt der Sozialisten begründet Slavica Djukic-Dejanovic so:

„Als Politiker haben wir nicht mehr das Recht, dass uns die Vergangenheit die Gegenwart und die Zukunft zerstört. Die Geschichte wird ihr Urteil über all das sprechen, was in der Vergangenheit gewesen ist; daher haben wir uns dort gefunden, wo wir viele gemeinsame Berührungspunkte haben; das sind Gegenwart und Zukunft und wir haben vereinbart, dass wir im Namen eines Serbien, das sich stabilisieren und erstarken muss, die Vergangenheit den Historikern überlassen.“

Dieser Wunsch der sozialistischen Führung ist verständlich; sowohl die Parlamentspräsidentin als auch Parteivorsitzender Ivica Dacic spielten in der Ära Milosevic eine bedeutende Rolle. Von der Koalition mit der Demokratischen Partei erwarten sie die Sozialisten neben der überproportionalen Teilhabe an der Macht zwei Vorteile: die Profilierung als Partei der Arbeiter und Pensionisten in Serbien, und die Aufnahme in die Sozialistische Internationale, der die Demokratische Partei schon angehört. Deren Vorsitzender, Staatspräsident Boris Tadic, unterstützt die Transformation der Sozialisten. Er bekennt sich klar zur Aussöhnung; bei der Sitzung des Parteivorstandes verlangte Tadic diese Bereitschaft auch von seinen Funktionären:

„Vergesst frühere Konflikte, reicht denen die Hand, mit denen ihr in den 90iger Jahren Konflikte ausgetragen habt, und sagt einander, wie ihr eure Zukunft auf lokaler Ebene seht, und wie ihr zur allgemeinen Zukunft beitragen könnt. Das verlange ich von Euch; wenn ihr das nicht tut, dann werdet ihr ein Problem mit mir haben.“

Im Hinblick auf die verstorbenen Vorsitzenden Slobodan Milosevic und Zoran Djindjic zog Tadic folgende Parallele:

„Beide Parteien haben ihre Überzeugung und ihre Geschichte und haben ihre Führer. Beide Parteien sind mit der Tatsache konfrontiert, dass einige unserer Führer nicht mehr unter uns sind; beide Parteien haben ihre Versuchungen und ihre Schmerzen und tragen ihr Unglück in sich. Doch sie sind bereit, eine richtige Lösung zu finden, die das Glück für die gesamte Gesellschaft sicherstellt.“

Doch Djindjic starb als Reformer von Mörderhand in Belgrad, Milosevic als Angeklagter in Den Haag; Tadics Vergleich stieß daher unter prowestlichen Intellektuellen auch auf massive Ablehnung; sie befürchten, dass nun eine Zeit des kollektiven Vergessens und Verdrängens einsetzen könnte. Einer dieser Intelektuellen, Dusan Janjic, sieht gar keine Voraussetzung für eine nationale Aussöhnung:

„Aussöhnung setzt voraus, dass beide Seiten einander die Wahrheit sagen und sich anschließend aussöhnen. Doch hier ist das unmöglich, weil wir alle durch eine schwere Zeit gegangen sind. Vielleicht können sich Boris Tadic und der sozialistische Vorsitzende Ivica Dacic aussöhnen, aber sich nicht mit mir. Denn ich gehöre zu dieser nicht geringen Zahl von Menschen, die an Europa und die Demokratie glauben, und die keinen einzigen Tag mit Milosevic gehen wollten. Tadics Aussöhnung mit Dacic kann nicht bedeuten, dass es zuvor nicht die Schreckensherrschaft von Milosevic gegeben hat.“

Dagegen bewertet der konservative Politologe Slobodan Antonic die Aussöhnung positiv:

„Die Rede ist von einer Art Waffenstillstand zwischen zwei Parteien in der Hoffnung, dass sich dieser Waffenstillstand auf die Wählerschaft ausdehnt. Wenn man das nationale Aussöhnung nennt und darunter versteht, dass nun ein Bürgerkrieg mit Worten beendet wird, dann ist das für sich selbst schon genug. Ich glaubt nicht, dass das eine wahrliche nationale Aussöhnung darstellt; trotzdem ist das ein sehr guter Schritt, angesichts der tiefen politischen Kluft, die in Serbien besteht.“

Eine Voraussetzung für eine stabile Regierung wird somit gerade geschaffen; ihr Erfolg hängt vor allem von Staatspräsident Boris Tadic ab; er ist gleichzeitig Vorsitzender der Demokratischen Partei, während Ministerpräsident Mirko Cvetkovic zwar als Wirtschaftsexperte gilt, in der Partei aber ohne Einfluss ist. In seiner Regierungserklärung kam das Wort Haager Tribunal nicht vor; ob dies ein Zugeständnis an die Sozialisten war ist offen. Der liberale Oppositionspolitiker Cedomir Jovanovic kritisierte das Fehlen klarer Worte jedenfalls so:

„Das ist die erste Regierung, die nicht die Kraft hat, Den Haag auch als Den Haag zu bezeichnen; vielmehr verbirgt sie die Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal hinter der Formulierung, dass die Prinzipien des internationalen Rechts geachtet werden. Das ist auch eine Regierung, die nicht die Kraft hat, die Realität zu akzeptieren und den Kurs zu wechseln. Diese Verweigerung der Realität besteht in der –Nicht-Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo.“

Doch gerade zum Kosovo fiel die Regierungserklärung sehr moderat aus; erwartet wird in Belgrad, dass das neue Kabinett eine pragmatische Kosovo-Politik entwickelt, obwohl es die Unabhängigkeit natürlich nicht anerkennen wird. Auch die Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal und vor allem die Suche nach dem mutmaßlichen Kriegsverbrecher Ratko Mladic, sollten keine größeren Probleme bereiten, betont der Politologe Slobodan Antonic:

„Der gesamte Fall Mladic ist ein grundlegender Bestandteil für die Fortsetzung der EU-Integration. Daher glaube ich, dass die Sozialisten auch hier keine Probleme machen werden; natürlich werden sie sich nicht gerne daran beteiligen, doch sicherlich werden sie die Koalition wegen Mladic nicht zu Fall bringen.“

Antonic ist der Ansicht, dass die Regierung vier Jahre halten kann, obwohl sie mit 128 Mandaten nur über eine knappe absolute Mehrheit im Parlament verfügt, das 250 Sitze zählt. Diese Einschätzung hat viel für sich; die Sozialisten und die zwei größeren proeuropäischen Parteien brauchen Erfolge; und die Kleinparteien haben weit mehr Posten erhalten als es ihrer Stärke entspricht. Hinzu kommt, dass in den nächsten vier Jahren keine Wahlen bevorstehen, und die nationalistische Opposition mit vielen internen Problemen zu kämpfen hat. Die neue Regierung hat somit die historische Chance, sich auf innere Reformen konzentrieren zu können, denn auch der Status des Kosovo ist nun de facto geklärt.

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