× Logo Mobil

Die Sozialisten zwischen Milosevic und Sozialistischer Internationale

Radio
Europajournal
Berichte Serbien
In Serbien hat die Parlamentswahl am Sonntag dem proeuropäischen Block eine große, aber keine absolute Mehrheit gebracht. Doch der bisherige Koalitionspartner, die Nationalkonservativen unter Ministerpräsident Vojislav Kostunica , lehnen jede weitere Zusammenarbeit ab. Für sie ist eine weitere EU-Annäherung nicht annehmbar, seit die Mehrheit der EU-Staaten den Kosovo anerkannt hat; gleiches gilt für die nationalistische Radikale Partei, die zweitstärkste Fraktion im Parlament. Damit bleiben den proeuropäischen Kräften nur die Milosevic-Sozialisten als potentieller Partner übrig. Diese Kombination ist in Serbien und auch für die EU – zwei Jahre nach Milosevics Tod – nicht mehr so undenkbar, wie das auf den ersten Blick erscheint. Denn unter ihrem 42-jährigen Vorsitzenden, Ivica Dacic, haben die Sozialisten mit dem mühsamen Weg begonnen, sich von der nationalistischen Erblast der Ära Milosevic zu befreien und zu einer Linkspartei zu wandeln. Dieser Prozess steht noch am Beginn, ob er weit genug gediehen ist, um die Emanzipation von Milosevic und eine Koalition mit den proeuropäischen Kräften zu wagen, ist in Serbien umstritten. Dort ist auch unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz dieser Frage nachgegangen. Er hat den folgenden Beitrag über die Milosevic-Sozialisten auf der Suche nach einer neuen politischen Identität gestaltet:

Das Begräbnis vor zwei Jahren war das letzte Mal, dass Slobodan Milosevic in Serbien Massen bewegen konnte. Aus dem täglichen Leben und aus den Medien ist er verschwunden. Präsent war er jedoch im Wahlkampf bei Großveranstaltungen seiner Sozialistischen Partei, und zwar nicht nur durch Bilder. Auf einer Videowand wurde seine Rede, drei Tage vor seinem Sturz am 5. Oktober 2000 gezeigt; darin warnte Milosevic vor falschen Versprechungen seiner Gegner, die Lage in Serbien werde sich rasch bessern. Begrüßt wurde bei der Kundgebung auch seine Schwägerin; denn Witwe und Sohn leben im russischen Exil, geschützt vor dem Haftbefehl, der auf sie in Serbien ausgestellt. Ist. Zur Standardforderung der Sozialisten zählt daher die Aufhebung des Haftbefehls; doch Milosevic dient auch dazu, den eigenen Funktionären Mut zu machen:

„Sie haben uns unterschätzt und versucht, uns zu vernichten; sie versuchten uns physisch zu beseitigen; unseren Präsidenten Slobodan Milosevic haben sie ermordet, sowohl in Belgrad als auch im Haager Tribunal. Doch sie haben es nicht geschafft, die Sozialistische Partei Serbiens und die Ideen der Linken in Serbien zu liquidieren.“

… beschwört Ivica Dacic, der Vorsitzende der Sozialisten. die Heldenlegende seiner Partei. Zu seinem Standardrepertoire zählt das Nein zum Haager Tribunal und zur Unabhängigkeit des Kosovo. Doch den Schwerpunkt bilden soziale Themen. Mit einem gehörigen Schuss Populismus forderten die Sozialisten im Wahlkampf alles was gut und vor allem teuer ist für Familien, Pensionisten und Arbeiter. Nach der Wahl, als klar war, dass die Sozialisten mit knapp acht Prozent der Königsmacher sein würden, sagte Dacic zur Koalitionsfrage:

„Uns interessiert die Macht nicht um jeden Preis; Uns interessiert die Verteidigung der nationalen und staatlichen Interessen und die soziale Gerechtigkeit; das bedeutet die Änderung der Gesetze über die Arbeit, die Pensionen, über Privatisierung und Beschäftigung sowie die Einführung des kostenlosen Schul- und Gesundheitswesens.“

So offensiv Dacic bei sozialen Forderungen ist, so zurückhaltend ist er in der Frage nach einer Aufarbeitung der Ära-Milosevic durch die eigene Partei:

“Das, was schlecht war, muss natürlich in der Vergangenheit bleiben; doch es ist nicht unsere Politik, in die Vergangenheit zurückzukehren. Unsere Politik ist es, die Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen, dass sich etwas nicht wiederholt, was nicht Bestand hat. Doch ungeachtet dessen, wie jemand von außen auf diese Politik schaut, waren viele damalige Fehler weit geringer als jene, die sich nach 2000 ereignet haben.“

Und wie steht Dacic zur Forderung der EU nach Auslieferung des mutmaßlichen Kriegsverbrechers Ratko Mladic an das Haager Tribunal?

„Das war früher; ich denke, dass ihn jetzt niemand mehr erwähnen wird. Jetzt werden alle wollen, dass Serbien so früh wie möglich in die EU kommt, um damit ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen, dass wegen des Kosovo besteht.“

Die Anerkennung des Kosovo durch die Mehrheit der EU war es, die in Serbien zum Sturz der Koalition führte. Während die proeuropäischen Parteien trotzdem auf dem EU-Kurs beharrten, waren die Nationalkonservativen strikt dagegen. Die Ratifizierung eines Vertrages über die EU-Annäherung durch das Parlament, wäre ein Prüfstein für eine proeuropäische Koalition unter allfälliger Beteiligung der Sozialisten. Dazu sagt Ivica Dacic:

„Der Vertrag ist nicht die Schlüsselfrage. Wir sind für Gespräche mit der EU und für die Fortsetzung dieses Prozesses, doch die Position der EU muss definiert werden. Es ist nicht möglich, dass Kosovo und Serbien zur selben Zeit Mitglieder der EU sind, denn damit würde Serbien die Unabhängigkeit des Kosovo anerkennen.“

Diese Bedingung für den EU-Kurs klingt weit flexibler als das strikte Nein der Nationalkonservativen zur Ratifizierung des Vertrages. Flexibel war Dacic auch, als Milosevic noch von Den Haag aus versuchte, die Sozialisten zu führen. Schrittweise gelang es dem 42-jährigen, kleinen, stämmigen Politikwissenschaftler Ivica Dacic, Milosevic-Getreue zu entmachten, und im Dezember 2006 die Partei zu übernehmen. Übernommen hat Dacic dabei eine Klientel, die sein Wahlkampfmotto, „Serbien steh auf!“ eher vermessen erscheinen ließ:

„Die Wählerschaft der Sozialisten ist ziemlich alt und lebt in der Provinz. Das sind Personen, die in kleinen Städten leben, das sind keine nationalistischen Wähler, sondern sie sind sehr stark für Slobodan Milosevic. Dazu zählen viele alte Kommunisten und Offiziere niedriger Dienstgrade in Pension.“

… analysiert der Meinungsforscher Srdjan Bogosavljevic. Denn der große Teil der Stammwähler ist zur nationalistischen Radikalen Partei abgewandert, die sich als soziale Protestpartei profiliert hat. Eine Koalition mit den Radikalen und mit den Nationalkonservativen wäre zwar für die sozialistische Wählerschaft weltanschaulich leichter zu verkraften, brächte mittelfristig aber massive Nachteile, erläutert die Belgrader Intellektuelle Sonja Licht:

„Mit den Radikalen haben sie keine Chance, eine neue internationale Rolle zu bekommen; dann haben sie keine Chance, der Sozialistischen Internationale beizutreten, doch davon träumen und das wollen sie. Doch am wichtigsten ist, dass dann die Gefahr besteht, dass sie von der Radikalen Partei geschluckt werden.“

Mit der Sozialistischen Internationale lockt auch Präsident Boris Tadic. Seine Demokratische Partei ist bereits Mitglied und führt die proeuropäische Wahlkoalition. Nach Ideologie und Wählerschaft ist diese Partei eher bürgerlich. In einer Koalition mit den Demokraten könnten sich die Sozialisten daher leichter als linkes Korrektiv profilieren, könnten neue Wähler gewinnen und die Erblast von Slobodan Milosevic überwinden; Sonja Licht:

„Milosevic machte aus den Sozialisten eine Partei, die sich viel mehr an den nationalistischen Mythen orientierte als an der sozialen Gerechtigkeit oder am Sozialstaat. Denn in Wirklichkeit hat Milosevic die Ideologie nicht interessiert. Daher müssen die Sozialisten jetzt zu ihrem ursprünglichen Profil zurückkehren, bzw. sie müssen ein neues Profil aufbauen. Denn jetzt stehen sie vor der Prüfung, ob sie eine wirkliche Linkspartei werden können, und zwar in einem Land, in dem die demokratische Transition schon weit fortgeschritten ist, oder ob sie von ihrer Hypothek aus den 90iger Jahren verschlungen werden.“

Derzeit spricht Vieles für das Verschlingen. Die Koalitionsverhandlungen der Sozialisten mit den Nationalisten und den Nationalkonservativen unter Vojislav Kostunica für eine neue Regierung sind weit fortgeschritten. Dagegen haben die Sozialisten mit den proeuropäischen Kräften offiziell noch gar nicht gesprochen. Kostunicas erste Minderheitsregierung haben die Sozialisten in den Jahren 2004 bis 2006 unterstützt. Mit ihm verbindet sie eine langjährige Zusammenarbeit, die mit den proeuropäischen Kräften fehlt. Deren Hoffnungen auf eine erneuerungswillige Sozialistische Partei mag zwar Ivica Dacic nähren, doch Parteitreffen zeigen ein völlig anderes Bild. Unklar ist, ob bei den Sozialisten überhaupt strategische Überlegungen ausschlaggebend sind. Druck üben im Hintergrund zweifellos EU und USA aus, doch nicht nur sie. Nach Angaben serbischer Medien sollen Tycoone, die die Sozialisten finanzieren, offene Rechnungen mit den proeuropäischen Kräften haben und daher gegen eine derartige Koalition sein. Hinzu kommen Gerüchte über Affären, die Dacic angreifbar machen, und in den nationalistisch dominierten Medien breitgetreten werden könnte. Die Gründe der Sozialisten und von Ivica Dacic selbst, sich für die eine oder die andere Koalitionsoption zu entscheiden, könnten daher nicht strategisch sondern ziemlich profan sein.

Facebook Facebook