× Logo Mobil

Regierungskrise in Serbien

Radio
MiJ
Berichte Serbien
Als am Sonntag in Serbien der pro-westliche Präsident Boris Tadic die Stichwahl gegen den Ultranationalisten Tomislav Nikolic gewann, ging ein hörbares Aufatmen durch die westlichen Staatskanzleien. Die Freude, dass sich Serbien knapp aber doch für den EU-Kurs entschieden hatte, war groß. Diese Freude könnte verfrüht gewesen sein; denn in Belgrad folgte der Präsidentenwahl auf dem Fuße eine Regierungskrise. Grund dafür sind die unterschiedlichen Prioritäten zwischen der DS, der Partei von Boris Tadic, und dem nationalkonservativen Zwei-Parteienbündnis unter Führung von Ministerpräsident Vojislav Kostunica. Tadics Priorität ist die EU, Kostunicas oberstes Ziel ist die Verhinderung der Unabhängigkeit des Kosovo. Dieser Zielkonflikt könnte dazu führen, dass Belgrad morgen den politischen Übergangsvertrag nicht unterzeichnet, den die EU Serbien angeboten hat. Aus Belgrad berichtet Christian Wehrschütz:

Bereits bei der Regierungsbildung im Vorjahr war der Zielkonflikt zwischen Boris Tadic und Vojislav Kostunica klar erkennbar. Tadic ist zwar gegen den Verlust des Kosovo, will aber trotzdem am EU-Kurs festhalten, sollte Brüssel die Unabhängigkeit der albanisch dominierten Provinz akzeptieren. Kostunica lehnt für diesen Fall jede weitere EU-Annäherung Serbiens ab. Ja klarer wurde, dass die EU den Ahtisaari-Plan umsetzen will, der eine überwachte Unabhängigkeit vorsieht, desto massiver wurde Kostunicas Ablehnung. Angelpunkt der Kritik ist, dass die EU ohne neue UNO-Resolution ihre Justiz- und Polizei-Mission in den Kosovo entsenden will. Sie soll die UNO-Mission ablösen, die auf der Basis der Resolution 1244 den Kosovo verwaltet. Die Kritik am Missionswechsel formuliert Kostunicas Vertrauter, der Minister für den Kosovo, Slobodan Samardic so:

„Die UNO-Mission im Kosovo dient dazu, den Status der umfassenden Autonomie des Kosovo aufrecht zu erhalten und den Aufbau der Übergangsinstitutionen zu gewährleisten. Doch die Mission dient nicht der Unabhängigkeit. Das Problem ist, dass die EU-Mission im Ahtisaari-Plan vorgesehen ist, um die Unabhängigkeit des Kosovo zu vollziehen. Doch die UNO-Resolution 1244 garantiert die Souveränität und territoriale Integrität Serbiens. Damit stünde die Entsendung der Mission im direkten Gegensatz zur Resolution 1244.“

Mit dieser Begründung war Kostunica bereits strikt gegen die Unterzeichnung des Abkommens- über Stabilisierung und Assoziation mit der EU. Dieser Vertrag wäre ein großer Schritt Richtung EU gewesen. Schließlich scheitere die Unterzeichnung auch, weil die Niederlande ihr Veto einlegten; ihrer Ansicht nach arbeitet Serbien nicht ausreichend mit dem Haager Tribunal zusammen. Statt dessen bot Brüssel Belgrad einen politischen Übergangsvertrag an. Kostunica ist wiederum dagegen, weil seiner Lesart nach eine Unterschrift einer Anerkennung des Kosovo gleichkäme. Boris Tadic und seine DS sind dafür. Unterschreiben soll morgen ein Minister der DS, der dazu eine Ermächtigung der Regierung benötigt, in der die DS die absolute Mehrheit der Minister stellt. Daher weigert sich Kostunica, für morgen die Regierungssitzung einzuberufen. Er fordert eine Sondersitzung des Parlaments, um das Kabinett auf ein Nein zur EU festzulegen. Im Parlament hat Kostunicas Bündnis mit den Milosevic-Sozialisten und der ultranationalistischen Radikalen Partei von Tomislav Nikolic eine klare Mehrheit. Parlamentspräsident ist jedoch ein Parteigänger von Boris Tadic, der sich bisher weigert, das Parlament einzuberufen, solange die Regierung nicht getagt hat. Serbien droht somit eine Blockade der wichtigsten Institutionen; diese Krise nutzt Nikolic, um seine staatstragende Rolle zu untermauern; gleichzeitig ist auch er natürlich gegen den EU-Kurs:

„Offensichtlich kulminiert die Krise, eine Klärung ist in den nächsten Tagen zu erwarten. Ich werde die Lage nicht verschärfen, und versuchen zur Beruhigung beizutragen; doch offensichtlich steuern wir auf vorgezogene Neuwahlen zu.“

Kommt es wirklich dazu, könnten Neuwahlen gemeinsamen mit den Lokalwahlen im Mai stattfinden. Serbien säße dann zwischen allen Stühlen, ohne Kosovo und ohne Annäherung an die EU – und vielleicht mit Tomislav Nikolic als neuem Regierungschef, der in seinen Aussagen bereits bestrebt ist, nicht alle Türen zu Brüssel dauerhaft zu zuschlagen.

Facebook Facebook