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Serbien vor der Wahl

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In Serbien wird am Sonntag der Präsident neue gewählt. Neun Kandidaten kämpfen um die Stimmen der 6,7 Millionen Wahlberechtigten, doch das wirkliche Kräftemessen findet nur zwischen zwei Bewerbern statt. Es sind dies der prowestliche Amtsinhaber Boris Tadic und der Ultranationalist Tomislav Nikolic. Diese beiden werden mit großer Sicherheit in die Stichwahl kommen, die Anfang Februar stattfindet. Doch bereits die erste Runde am Sonntag wird, eine Einschätzung der Kräfteverhältnisse erlauben, wobei Meinungsforscher zum ersten Mal dem Ultranationalisten seriöse Chancen einräumen Präsident zu werden. Daher ist die Wahl auch eine echte Richtungsentscheidung; gewinnt Tomislav Nikolic bedeutet das wohl das vorläufige Ende der EU-Annäherung Serbiens und eine stärkere Hinwendung zu Putins Russland, dem Nikolic sogar eine Militärbasis in Serbien einräumen will. Soweit gehen will der nationalkonservative Ministerpräsident Vojislav Kostunica noch nicht; trotzdem ist auch Kostunica strikt gegen jede weitere EU-Annäherung sollte Brüssel die Unabhängigkeit des Kosovo akzeptieren. Diesen antiwestlichen Kurs begann Kostunica im Vorjahr bereits mit einer klaren Absage an eine Mitgliedschaft bei der NATO, während Russland in Serbien als treuer Mitstreiter um den Kosovo immer populärer wird. Über Serbiens möglichee Abkehr vom Westen und den Präsidentenwahlkampf hat unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz folgenden Bericht gestaltet:

Mit ihrem Lied Molitva, auf Deutsch „Gebet“ gewann Marija Serivovic im Mai in Helsinki als erste Serbin den „Song Contest“. Molitva erklang bei allen Kundgebungen von Tomislav Nikolic, dem ultranationalistischen Kandidaten für das Amt des serbischen Präsidenten. Bei der Abschlusskundgebung in Belgrad trat auch Serfivovic selbst auf; sie ist die prominenteste Unterstützerin des Ultranationalisten, der wohl den besten Wahlkampf aller Bewerber geführt hat. Nach amerikanischem Vorbild organisiert, versuchte sich Nikolic das Bild eines Mannes aus dem Volke zu geben, der für das Volk arbeitet:

„Für wen kämpfe ich? Für die Ärmsten, für die Bedrohtesten, für jene, die ohne ihr tägliches Brot geblieben sind, für die Kinder, denen das Geld fehlt, um in die Schule zu gehen, für die Pensionisten, die sich keinen Arzt leisten können. Für sie alle kämpfe ich.“

… verkündete Nikolic. Um sein Image als Familienmensch zu unterstreichen wurden stets Bilder mit seiner Frau, seinen Kindern und seinen Enkeln gezeigt. Nikolic vermied extreme Aussagen; kaum zu sehen waren Bilder seines Parteivorsitzenden Vojislav Seselj, der als Angeklagter seit fünf Jahren in einem Gefängnis des Haager Tribunals sitz. Wie sehr Nikolic bemüht ist, seine Serbische Radikale Partei und sich selbst als Volkspartei zu präsentieren, zeigte sein Auftritt in Novi Sad, der Hauptstadt der multiethnischen Provinz Vojvodina:

„Es gibt keinen Grund mehr dafür, dass ein Angehöriger der nationalen Minderheiten glaubt, er habe von uns nichts zu erwarten, sondern von diesen Kriminellen und Dieben, als hätten sie seine Fabrik nicht auch geschlossen. Als könnte ein Ungarn sein Land bearbeiten und ein Serbe nicht, denn derzeit kann das keiner. Lasst nicht zu, dass sie unter euch Unfrieden stiften. Ich bin bereit, in jedes Dorf zu kommen, in dem es irgendeinen Zwischenfall gibt, um die Menschen zu beruhigen, um zu warnen, dass Streit zu nichts führt.“

Nicht nur Nikolic auch Staatspräsident Boris Tadic hat sich an die nationalkonservative Mitte in Serbien angenähert. Seit Monaten präsentiert sich Tadic als kompromissloser Gegner der Unabhängigkeit der albanisch dominierten Provinz Kosovo. Die Tribüne ist bei seinen Auftritten von großen serbischen Fahnen flankiert, und in einem Werbespot küsst er die Fahne, während in dem Spot das Wort EU nicht vorkommt. Auch bei seinen Reden fehlte öfter das Wort EU und Tadic sprach stattdessen von Europa:

„Wenn jemand sagt, dass wir auf unsere europäische Zukunft verzichten und den Kosovo verteidigen können, dann ist dass so als wenn jemand sagt, dass ein Mensch nur atmen aber nicht essen muss. Das ist unmöglich, ein Mensch muss atmen und essen. Wir verteidigen unsere europäische Zukunft und unseren Kosovo; und wir werden niemals aufgeben, niemals, niemals, niemals …“

Trotz aller Rhetorik sind die Unterschiede zwischen beiden Bewerbern klar. Tadic ist für den Weg Serbiens Richtung EU, selbst wenn der Kosovo verloren geht. Nikolic ist dagegen und auch gegen weitere Auslieferungen an das Haager Tribunal. Gemeinsam ist beiden aber das Buhlen um die Gunst des russischen Präsidenten Vladimir Putin – und das spricht Bände über das geistige Klima in Serbien sieben Jahre nach dem Sturz von Slobodan Milosevic. Immer mehr Städte verleihen Putin die Ehrenbürgerschaft, und Russland wird immer populärer seit dem es kompromisslos gegen die Unabhängigkeit des Kosovo auftritt. Die Bedeutung des Kosovo für den Wahlkampf erläutert der liberale Intellektuelle Vojin Dimitrevic so:

„Kosovo hat eine mythologische Färbung, und wenn man den Kosovo zum grundlegenden Thema macht, dann ist man übermächtig; denn jeder, der versucht rational über den Kosovo zu sprechen, was bekommen, was verlieren wir, was kostet das, sieht wie ein Philister aus, weil man gegen einen Mythos mit nackten Zahlen nicht ankommt. So rechnet man mit stärkeren Gefühlen beim Kosovo als in der Frage des Beitritts zur EU. Daher sind diese Wahlen so wichtig, weil es unsere politische Elite bereits im Jahre 2000 verabsäumt hat, mit diesem Mythos aufzuräumen.“

Dieses Versäumnis zeitigte bereits konkrete außenpolitische Auswirkungen, warnt der konservative Intellektuelle Slobodan Antonic:

„Der Begriff euroatlantische Integration prägte seit dem Jahre 2000 die außenpolitische Orientierung Serbiens. 2007 wurde aus dem Begriff der Teil atlantisch gestrichen, wegen der Abneigung der NATO gegenüber. Mit der neuen Rolle der EU als Geburtshelfer des kosovarischen Staates wird auch die Integration in die Europäische Union in Frage gestellt.“

In Frage gestellt hat sich die aber auch EU selbst, und zwar durch ihre inkonsequente Politik gegenüber Serbien. So setzte die EU Gespräche über den Vertrag über Stabilisierung und Assoziation ein Jahr aus, weil der mutmaßliche Kriegsverbrecher Ratko Mladic nicht verhaftet wurde. Mladic ist noch immer in Freiheit, trotzdem wurde der Vertrag von Brüssel im Winter paraphiert:

„Jetzt sind einige EU-Länder sogar bereit, den Vertrag zu unterschreiben, ohne dass Mladic verhaftet wäre. Ständig gibt es eine Art Kuhhandel und damit wird der Eindruck erweckt, dass die EU keine seriöse Organisation ist; dass das eine Art Handelsgesellschaft ist, der man beitreten kann, wenn man nur hartnäckig und unverschämt ist. Auf diese Wahrnehmung bauen Kostunica und Nikolic ihre Kritik an der EU auf, und das leuchtet der einfachen Bevölkerung ein. Natürlich tragen heimische Politiker die Hauptverantwortung, doch die Mitverantwortung Brüssels ist groß.“

… betont Dusan Janic, Vorsitzender des Forums für ethnische Beziehungen in Belgrad. Dieses Schwanken der EU hängt mit dem Kosovo-Status und der Präsidentenwahl in Serbien zusammen. Denn Boris Tadic kann auf die kleineren pro-europäischen Parteien zählen, deren Wähler jedoch weit weniger verlässlich sind als die Anhänger von Tomislav Nikolic:

„Sollte es zur Unterzeichnung des Vertrages über Stabilisierung und Assoziation mit der EU kommen, wäre es kein Problem, dieses Wählerpotential auch zu den Urnen zu bringen. Das zeigt sich in den Umfragen. Wenn wir fragen, ob diese Wähler zur Wahl gehen, wenn der Vertrag unterschrieben wird, steigt der Stimmenanteil von Tadic um einige Prozentpunkte; das zeigt wie wichtig die Unterzeichnung wäre, damit Tadic die Wahlen gewinnt.“

… analysiert der Meinungsforscher Srdjan Bogosavljevic. Doch gegen die Unterzeichnung sind nicht nur die Niederlande, sondern in Serbien auch Ministerpräsident Vojislav Kostunica, und zwar wegen der Kosovo-Politik der EU. Kostunica repräsentiert die nationalkonservative politische Mitte, deren Kandidat die Stichwahl nicht erreichen wird. Dieses Lager schwankt zwischen EU und Kosovo, und umfasst etwa 400.000 Stimmen. Um sie kämpfen Tadic und Nikolic. Wie sich Kostunica verhalten wird, ist unklar, politisch steht er heute jedenfalls Nikolic näher als Tadic. Kostunica war es auch, der den Wiederaufstieg des Nationalismus in Serbien massiv gefördert hat. Dieses geistige Klima könnte Serbien in die Isolation führen, und Boris Tadic im zweiten Durchgang die Wahl kosten; doch auch Tadic hat es verabsäumt, schonungslos und medienwirksam mit den Mythen aufzuräumen, die in Serbien Slobodan Milosevic noch lange überdauern werden.

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