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Analyse Serbien nach dem Verfassungsreferendum

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Berichte Serbien
In Serbien hat die Bevölkerung gestern bei einem Referendum für die neue Verfassung gestimmt.

Sie ersetzt die alte Verfassung, die noch aus der Ära von Slobodan Milosevic stammt. Das neue Grundgesetz bedeutet denn auch einen Bruch mit der Ära Milosevic aber auch mit der Ära des kommunistischen Tito-Jugoslawien. Das zeigt sich etwa am umfangreichen Teil der Menschen- und Minderheitenrechten gewidmet ist. Außerdem enthält die neue Verfassung ein klares Bekenntnis zur Marktwirtschaft. Für diese neue Verfassung stimmten gestern etwas mehr als 51 Prozent, zwei Prozent stimmten dagegen oder ungültig. Was die Annahme dieser Verfassung nun für politische Entwicklung in Serbien bedeutet, das analysiert in Belgrad unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz

Die neuen Verfassung ist zunächst der erste selbständige Schritt den Serbien setzt, um sein Staatswesen zu definieren. Dass dieser Schritt erst sechs Jahre nach dem Sturz von Slobodan Milosevic erfolgt, zeigt die enormen Geburtswehen, mit denen diese Staatswerdung erfolgt. Denn auch nach dem Zerfall des alten Tito-Staates, für den Milosevic die Hauptverantwortung trägt, hielt er an der Bezeichnung Jugoslawien fest, das jedoch nur mehr aus Serbien und Montenegro bestand. Diese Tradition setzte auch der amtierende Ministerpräsident Vojislav Kostunica fort. Er leistete jahrelang hinhaltenden Widerstand gegen die Loslösung Montenegros, die erst heuer mit dem Unabhängigkeitsreferendum vollzogen wurde. Gewissermaßen ist Serbien somit ein Staat wider Willen, der sich mit seinen aktuellen Grenzen noch immer nicht abgefunden hat. Das zeigt auch der Umstand, dass in der Verfassung der Kosovo noch immer als fixer Bestandteil Serbiens definiert wird, obwohl über den endgültigen Status der Provinz nicht Belgrad sondern die UNO entscheidet. Trotzdem zeigt wohl gerade der Fall Kosovo, dass die von Milosevic gepflegten Mythen zu verblassen beginnen. Denn vor allem Kostunica setzte massiv auf den Kosovo, um die Serbien für das Verfassungsreferendum zu mobilisieren. Dass dieses Ziel nur knapp erreicht wurde, hat daher Symbolkraft. Daran ändert der Umstand nichts, dass die Mehrheit natürlich gegen die Unabhängigkeit der Provinz ist, und dass der Zensus für die Annahme der Verfassung enorm hoch war. Denn es gibt kaum ein anderes Land in Europa, wo mehr als die Hälfte aller Wahlberechtigten mit Ja stimmen muss. Die neue Verfassung kann daher die politische Stabilität Serbiens erhöhen, wenn es den so genannten demokratischen Kräften gelingt, weiter einen Konsens zu finden. Denn das Referendum war nur der Auftakt zu vorgezogenen Wahlen. Was alles wann gewählt wird, ist aber noch umstritten. Sicher ist nur, dass vielleicht noch heuer vorgezogene Parlamentswahlen stattfinden. Doch Präsident Boris Tadic verlangt, dass gleichzeitig auch vorgezogene Präsidentenwahlen abgehalten werden. Denn Tadic ist der populärste Politiker Serbien und auch weit populärer als seine eigene Partei. Gerade aus diesem Grund sind Kostunica und alle anderen Parteien gegen eine Zusammenlegung beider Wahlen. Entscheidend ist daher, dass die zwei Politiker einen Konsens finden, um auch nach den Wahlen eine stabile Koalition bilden zu können. Nur wenn dieses Ziel sechs Jahre nach Milosevic endlich erreicht werden kann, wird Serbien den Stillstand auf dem Weg Richtung Europa überwinden können. Die neue Verfassung ist dazu eine notwendige aber keine hinreichende Bedingung, so positiv die Annahme dieses Dokuments auch zu bewerten sein mag.

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