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Fünf Jahre Transformation in Serbien - Erfolge und Herausforderung

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Berichte Serbien
Im Oktober 2000 beendete in Serbien die sanfte Revolution die Herrschaft von Slobodan Milosevic. Fünf Jahre später hat die EU nunmehr Verhandlungen über ein Stabilisierungs- und Assoziationsabkommen mit Serbien aufgenommen. Dieser Schritt ist auch eine Anerkennung für die Reformanstrengungen der serbischen Regierung, die auch von internationalen Finanzinstitutionen gewürdigt werden. So haben die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung sowie die Weltbank Serbien als einen jener Staaten gewertet, der im vergangenen Jahr die schnellsten Reformfortschritte gemacht hat. Diese Erfolge zeigen sich an den Erlösen aus ausländischen Direktinvestitionen und Privatisierungen, die heuer 1,5 Milliarden Euro betragen dürften. Stark angestiegen ist auch die Zahl österreichischer Firmen, und zwar von 40 im Jahre 2000 auf nunmehr 180. Mit Raiffeisen ist sogar eine heimische Bank Marktführer in Serbien. Trotzdem hat die Regierung in Belgrad noch sehr viele Hausaufgaben zu erledigen. Ein Bild über Erfolge, Misserfolge und Herausforderungen für die Reformen in Serbien zeichnet nun im folgenden Beitrag aus Belgrad unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz

In den 90iger Jahren war Serbiens Wirtschaft geprägt durch die Zerfallskriege im ehemaligen Jugoslawien, durch Hyperinflation, Sanktionen sowie durch ihre Umgehung und natürlich durch enorme Schattenwirtschaft, die das Überleben vieler Serben überhaupt erst möglich machte. Was das konkret bedeutete, beschreibt der Meinungsforscher Srdjan Bogosavljevic, der auch viele Marktstudien für führende westliche Firmen durchgeführt hat:

„Man dar nicht vergessen, dass zehn Jahre lang nur ein Drittel aller in Serbien gerauchten Zigaretten legal verkauft wurde, zwei Drittel wurden illegal verkauft. Es gab auch eine Zeit, in der 100 Prozent des Benzins schwarz verkauft wurden. Die Schattenwirtschaft verhinderte somit soziale Unruhen, anderseits zeigte sie eine Brutalität, die die Marktwirtschaft nicht kennt. Das keine eine Erklärung für die Angst vor der Marktwirtschaft sein; so haben etwa zehntausende Menschen vom Verkauf von Benzin gelebt; doch von einem Tag auf den anderen erlaubt der Staat, dass Benzin an Tankstellen verkauft wird, und alle diese Leute verloren ihren Job.“

Hinzu kommt noch, dass den meisten Serben nicht bewusst ist, wie viele Jahre ihr Land tatsächlich zurückgeworfen wurde. Ein Beispiel dafür ist das Bankwesen, wo die Reformen am radikalsten und erfolgreichsten waren. Am besten genutzt hat die Gunst der Stunde vor vier Jahren Raiffeisen, die zur Nummer eins in Serbien aufsteigen konnte. Zur Lage des Bankensektors in Serbien sagt Oliver Rögl von Raiffeisen in Belgrad:

„Ende der 80iger Jahre, war man hier vielleicht fünf bis sieben Jahre hinten; dieser Zeitraum hat sich natürlich im Laufe der 90iger Jahre stark vergrößert. Mittlerweile würde ich sagen, wir sind dort, wo wir in Österreich vielleicht vor 15 Jahren waren.“

Erschwert wird die Transition in Serbien zusätzlich durch Probleme, die direkt mit den Reformen von Staat und Wirtschaft nichts zu tun haben. Sie beschreibt der Ökonom Juri Baec so:

„Wir haben drei große wirtschaftliche Probleme: das eine ist die Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal, das zweite ist die Festlegung der künftigen Beziehungen zwischen Serbien und Montenegro und das dritte Problem ist der künftige Status des Kosovo. Kurz gesagt: die Politik befasste sich sehr stark mit nicht ökonomischen Fragen, und so wurde viel Zeit und Energie verloren, die gerichtet hätten sein können auf jene Fragen, die Länder wie Slowenien, Ungarn, die Slowakei, weit erfolgreicher gelöst haben, die vergangenes Jahr der EU beigetreten sind.“

Hinzu kam noch die Ermordung von Ministerpräsident Zoran Djindjic, die das Land weitere neun Monate kostete. Auch daher sind die erzielten Erfolge sehenswert. Die öffentlichen Ausgaben sind im Gleichgewicht, das Budget weist Überschüsse aus, die Auslandsschulden wurden drastisch verringert, das enorme Außenhandelsdefizit konnte gesenkt werden, die Privatisierung ist weit fortgeschritten, die ausländischen Direktinvestitionen sind beachtlich, die Mehrwertsteuer wurde erfolgreich eingeführt und Unternehmen können rasch gegründet werden. All diese Reformen haben Währungsfond, Weltbank sowie Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung gewürdigt, und Serbien al einen der führenden Reformstaaten bewertet. Trotzdem hat die Regierung noch viele Hausaufgaben zu machen. Einige von ihnen nennt Carolyn Jungr, Leiterin des Weltbank-Büros in Belgrad

„Zu verbessern ist die Vergabe von Lizenzen und Genehmigung, was Kosten und Zeit betrifft, um ein Geschäft durchzuführen; das gilt für alle Anschlüsse vom Strom bis zum Wasser und von der Baugenehmigung bis zur Arbeitserlaubnis. Das ist sicher ein bestehendes Hindernis für Investitionen. Das zweite Gebiet betrifft den Außenhandel, von Zollverfahren bis Zeit- und Geldaufwand, um Einfuhr- und Ausfuhrgenehmigungen zu bekommen. Drittens geht es um die Durchsetzung von Verträgen. Denn natürlich ist es eine dramatische Verbesserung, wenn Verfahren statt 1028 nur mehr 635 Tage dauern, doch das ist noch immer viel zu lang, um einen geschäftlichen Streit zu lösen. Daher muss die Effizienz der Gerichte deutlich verbessert werden.“

Abgesehen davon hat Serbien neben vielen anderen Problemen drei Hauptprobleme. Es sind die die hohe Inflation, die 2005 sogar die 20 Prozentmarke erreichen könnte, die hohe Arbeitslosigkeit von mehr als 20 Prozent sowie die geringe Produktivität; sie hängt auch damit zusammen, dass Serbien die Sysiphos-Arbeit der Umstrukturierung und Privatisierung seiner Staatsbetriebe noch nicht bewältigt hat. Dazu zählen unter anderem die Bundesforste, die etwa die gleiche Fläche Wald bewirtschaften wie Österreichs Bundesforste, aber drei Mal so viele Mitarbeiter und eine weit geringere Produktivität aufweisen. Dieses Problem erläutert der Ökonom Juri Baec so:

„Im Verhältnis zur durchschnittlichen Produktivität der EU mit ihren 25 Mitgliedern liegt die Produktivität in Serbien bei nur 40 Prozent. Wir sind somit zweieinhalb Mal schwächer. Vergleichen wir jedoch die Gehälter in einigen neuen EU-Ländern wie der Slowakei, wo die Löhne sehr niedrig sind, oder in Bulgarien, wo die Löhne ebenfalls niedriger sind, dann muss ich sagen, dass unsere privaten und staatlichen Ausgaben einfach zu hoch sind für diese Wirtschaftsleistung und Produktivität. Nicht zufällig liegt Serbien auf der Rangliste der Konkurrenzfähigkeit unter etwa 100 Ländern nur auf Platz 80. Doch um der EU beitreten zu können, muss man auf Rang 40 oder noch besser liegen.“

Auf dem Weg Richtung EU wird Serbien daher auch das Problem der Staatsbetriebe lösen müssen, die mehr als 100.000 Personen beschäftigen und daher auch ein politischer Faktor sind. Was die Regierung konkret zu tun hat, schildert Harald Hirschhofer, Leiter des Büros des Internationalen Währungsfonds in Serbien so:

„Ein wichtiger Teil ist, dass man die Reform der Staatsbetriebe beschleunigt, dass man auf der einen Seite die Privatisierung von den Nicht-Kern-Bereichen, von den ausgegliederten Bereichen beschleunigt; da sind zum Beispiel Hotels drinnen, da gibt es Mineralwasserfirmen im Bereich der Forstwirtschaft und solche Sachen, wo man relativ rasch Erfolge erzielen könnte. Dann geht es natürlich in die Kernbereiche von den Versorgungsunternehmen, was man dort privatisieren könnte, ob man im Bereich der Telekom oder der Mineralölwirtschaft privatisieren kann, und ich bin da sehr optimistisch, dass sehr große Fortschritte erzielt werden können.“

Fortschritte erzielen muss die Regierung auch im Kampf gegen die hohe Arbeitslosigkeit, die offiziell bei 27 Prozent liegt. Gefördert wird sie durch ein Arbeitsrecht, das sehr inflexibel ist, einen kommunistisch anmutenden Kündigungsschutz und eine Feiertagsregelung aufweist, die etwa vorsieht, das bei ein Feiertag, der auf einen Sonntag fällt, der darauf folgende Montag arbeitsfrei ist. Hinzu kommen relativ hohe Lohnkosten. Dazu sagt Alexander Picker von der Hypovereinsbank:

„Das Lohnniveau ist ein Problem in Serbien, ein sehr großes Problem, besonders die neue Arbeitsgesetzgebung erlaubt nicht, den Wettbewerbsvorteil von Serbien voll auszuspielen, und da muss man fragen, was hat denn Serbien zu bieten gegen Rumänien, gegen Bulgarien, gegen die Ukraine, im weiteren Sinne gegen Indien und China – das kann nur die höhere Qualität der Leute sein, das kann nur mehr die geographische Nähe sein, und am Ende des Tages die Lohnkosten.“

Daher hat Serbien nicht besonders gute Karten im Standortwettbewerb; und das hat Folgen, die Oliver Rögel von Raiffeisen in Belgrad so formuliert:

„Was Serbien auf alle Fälle fehlt, sind die Auslandsinvestitionen wirklich als Folgeinvestitionen zu den Privatisierungen, wo Investoren ins Land geholt werden, nicht um irgendein bestehendes Werk zu kaufen, sondern um in Serbien wirklich Servicezentren etc. aufzubauen, und das nicht nur für Serbien, sondern auch insbesondere unter einem regionalen Konzept, und hier gibt es noch viel zu wenig.“

Viel zu wenig entwickelt ist auch das Land selbst. Die regionalen Unterschiede sind ebenso enorm wie der Nachhol- und Investitionsbedarf bei der Infrastruktur, von der Straße über die Schiene bis zum Internet. Was das bedeutet, schildert Harald Hischhofer vom Internationalen Währungsfond in Serbien so:

„Wie ich vor einem Jahr hierher nach Belgrad gekommen bin, hat es fast zwei Monate gedauert, bis ich einen Zugang zum Internet bekommen habe mit ADSL. Es bedurfte Interventionen über den Direktor von Telekom Srbija, dass ich das bekommen habe überhaupt. Ich weiß nicht, wie es anderen Konsumenten gegangen wäre in einer derartigen Situation.“

Trotzdem beurteilen Hirschhofer und alle anderen Gesprächspartner die grundlegende Reformpolitik positiv. Gestärkt wird dieser Optimismus auch durch die Aufnahme von Verhandlungen über ein Stabilisierungs- und Assoziationsabkommen mit der EU. Denn gerade der Drang nach Europa hat Reformbereitschaft und Reformdruck erhöht, wie Oliver Rögel betont:

„Das ist auch eine gewisse Regulative, d.h., viele Maßnahmen, die jetzt gesetzt wurden, politisch und wirtschaftlich, wären nicht möglich gewesen, wenn nicht diese Rute im Fenster stehen würde, und das ist natürlich ein sehr positives Signal und natürlich auch eine gewisse Stabilisierung, weil man weiß, im Laufe der nächsten Jahre werden die Gesetze in dieser Richtung gesetzt werden.“

Überleitungsmoderation zum Interview mit Nationalbankpräsident Radovan Jelasic:

Die Reformen in Serbien gehen also in die richtige Richtung, doch zurückgelegt werden sie offensichtlich nicht im Sprinttempo, vielleicht aber als zügiger Dauerlauf. Die Art der gewählten Reformstrategie beschreibt im Interview mit Christian Wehrschütz der Präsident der serbischen Nationalbank, Radovan Jelasic, so:

„In keinem Fall kann man in Serbien über eine Schocktherapie sprechen, die man auf die ganze Wirtschaft angewendet hat. Bei manchen Teilen haben wir schon eine Schocktherapie gehabt, wie z.B. im Bankensystem, wo wir wirklich binnen sechs Monaten zwei Drittel der Bilanzsumme des Bankensystems zugemacht haben; aber haben wir schon zwei, drei Jahre später eine größere Bilanzsumme, mehr Mitarbeiter, mehr Kredite, inzwischen auch Vertrauen. Wir haben etwas Ähnliches auch bei den Versicherungsgesellschaften gemacht. Bei den anderen Sektoren, wie z.B. Privatisierung der großen Staatlichen Unternehmen, da sind wir noch immer dabei ein bisschen zu überlegen, ein bisschen nachzudenken, da könnte man, sollte man eigentlich viel, viel mehr machen.“

„Was sind da eigentlich die spezifischen Probleme Serbiens beim Übergang, bei der Tranzition?“

Jelasic: „Allererst, in Serbien, alles was Sie erreicht haben, vergleicht man nicht damit wie war das Leben in Serbien von 92’ bis 2000’, sondern nur wie war das Leben vor dem Jahr 1992. Das heißt, wir haben eine riesige Erwartung seitens der Bevölkerung und deswegen sicher, was die Enttäuschung betrifft, das ist hier viel mehr präsent als in vielen anderen Ländern. Zweitens, wir sind so genannte „New Comer“ was Transition betrifft. Die Märkte sind, teilweise, verteilt. Man braucht nicht jede 300-400 km im Mittelosteuropa eine neue Fabrik. Das heißt, für uns ist es viel, viel schwieriger ausländische Investoren zu bezeugen.

„Welche Phasen des Übergangs lassen sich bis in diesen fünf Jahren erkennen?“

Jelasic: „Ich glaube dass im Jahr 2001, bis ungefähr Mitte 2002 haben wir sicher die Initiative gehabt. Wir haben Vorschläge gemacht an die Weltbank, an den IWF, was hier getan werden sollte. Danach leider haben wir uns ein bisschen in der politischen Wirklichkeit verloren. Das hat sich leider noch weiter verschärft durch den Mord an Herr Djindjic. Dann kamen Neuwahlen. Teilweise das Jahr 2004, insbesondere die erste ein paar Monate, kann man als verloren beschreiben. Aber ich glaube inzwischen gibt es wieder Initiativen, und ich glaube sicher, dass 2005 als ein erfolgreiches Jahr in die Geschichte eingehen sollte.“

„Wo sehen Sie die größten Herausforderungen, welche Hausaufgaben muss Serbien noch unbedingt machen?“

Jelasic: „Die echte Herausforderung ist jetzt nicht mehr, oder nicht nur neue Gesetze zu verabschieden sondern sie umzusetzen. Ich glaube im Jahr 2006 stellt sich auch die größte Frage, was wird mit einem potentiellen IWF-Programm. Was die wirtschaftliche Seite betrifft, da wird sicher die Inflation die größte Herausforderung sein.“

„Warum ist in Serbien die Inflation so hoch? Wo sehen Sie die Gründe“

Jelasic: „Die Leute erwarten automatisch, dass sie jedes Jahr eine Gehaltserhöhung kriegen, die viel höher ist als die Inflationsrate. Das treibt dann teilweise auch den Konsum in die Höhe; das ist das eine. Es geht nicht nur ums Budget der Regierung, sondern auch was auf der lokalen Ebene passiert, das sind die Städte, insbesondere Belgrad, Nis und Novi Sad. Da kann man schon feststellen, dass da die Gehälter sich erheblich erhöht haben. Ich glaube auch, bei den großen staatlichen Unternehmen könnte man viel, viel mehr machen, denn in Serbien haben wir leider zu lange mit einer relativ hohe Inflationsrate gelebt. Wir haben uns daran gewöhnt, und in der Philosophie der Bevölkerung ist es noch nicht tief genug, dass Inflation ein riesiger Feind ist.“

„Lebt Serbien über seine Verhältnisse?“

Jelasic: „ Ich glaube, zur Zeit leider ja. In Serbien spricht noch heutzutage keiner über Wettbewerbsfähigkeit, über Produktivität. Diese Wörter sind in Serbien noch immer nicht anerkannt. Die einzigen anerkannten Wörter sind „Devisenkurs“ und „Inflation“ und „Gehälter“.

„Serbien steht vor dem Beginn der Verhandlungen über den Kosovo. Serbien steht vor dem Referendum in Montenegro, das wahrscheinlich im nächsten Jahr stattfinden wird. Wenn diese beiden Probleme gelöst sind, erwarten Sie dann, dass Serbien zusätzliche Energien freisetzen kann für weitere Reformen?“

Jelasic: „Das wird sicher sehr, sehr wichtig sein. Ich glaube aber, da muss man die politische Landschaft auch in Serbien nochmals anschauen. Hier stellt sich die Frage, wird die jetzige Minderheitsregierung das Land weiter leiten, werden wir Neuwahlen haben, wie das schon die jetzige Regierung angekündigt hat. Diese Sachen werden dann auch wichtig sein, um für die Reformen einen, so zu sagen, neuen Boom zu haben.“

„Herr Präsident Jelasic, wir danken für das Gespräch.“

Jelasic: „Ich bedanke mich auch.“

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