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Karadjic aus Autor

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Berichte Serbien
In Bosnien hat die internationale Friedenstruppe SFOR auch sechs Jahre nach Kriegsende die mutmaßlichen Kriegsverbrecher Ratko Mladic und Radovan Karadjic nicht fassen können. Während vom ehemalige General der bosnischen Serben, Ratko Mladic, kein Lebenszeichen zu vernehmen ist, haben in Belgrad die Anhänger des ehemaligen Serbenführers Karadjic eine Propagandaoffensive gestartet. So wurde jüngst in Belgrad ein Kinderbuch neu herausge-bracht, das Karadjic vor fast 20 Jahren geschrieben hat. Ebenfalls veröffentlicht wurde das Theaterstück „Sitovacija“, das bereits auf der Flucht geschrieben wurde. Der Titel ist eine nur schwer übersetzbare Verballhornung des Wortes Situation und kann „Weltlage“ aber auch „verquere Situation“ bedeuten. In dieser Satire macht sich Karadjic vor allem über die inter-nationale Staatengemeinschaft und über das Wirken deren Vertreter in Bosnien lustig. Der Autor weiß wovon er spricht, hat Karadjic doch - trotz aller Massaker und Verbrechen den Westen in Bosnien jahrelang an der Nase herumgeführt. In Belgrad hat der Balkan-Korres-pondent des ORF, Christian Wehrschütz, das Stück gelesen und folgenden Beitrag gestaltet:

Schauspieler:

Stanko Bogojevic (Majstorovic)

Lepomir Ivkovic (Radojica)

Milos Djordjevic (Edi)

Text:

„Ko je poceo rat ?“ - „Wer hat den Krieg begonnen ?“ fragt ein Bosniake in einer Stellung im „Niemandsland“ während des Krieges mit vorgehaltener Waffe einen Serben. Dieser muß die Schuld seiner Seite eingestehen; doch als er wenig später die Kalaschnikow in Händen hält, ist der Bosniake an der Reihe, die Kriegsschuld zu zugeben.

Danis Tanovic hat damit in seinem Film „Niemandsland“ in satirischer Weise darauf hinge-wiesen, daß es in Bosnien und Herzegwonia nach wie vor kein gemeinsames Geschichtsbild gibt. Für die einen sind die früheren Serbenführer Radovan Karadjic und Ratko Mladic Helden, für die anderen Kriegsverbrecher, ob ihrer Freiheit ein Ärgernis, doch auch bleibendes Symbol für Haß, Vertreibung und Verbrechen.

In seinem Film karikiert Tanovic aber auch die Internatonale Staatengemeinschaft, wobei er das Eintreffen französischer SFOR-Soldaten im „Niemandsland“ so darstellt:

Kommunikationsprobleme, widerstreitende Interessen und viel Unwissenheit werden für viele Fehler verantwortlich gemacht, die Internationalen Gemeinschaft in Bosnien schon vor und während des Krieges und auch mit und nach dem Friedensvertrag von Dayton begangenen hat. Die Unkenntnis des Westens hat Radovan Karadjic in Bosnien lange für sich zu nutzen gewußt. Karadjic spielte mit dem Westen, unterzeichnete Abkommen, die wenig später wieder gebrochen wurden. Zwar riß dem Westen schließlich die Geduld, doch Karadjic ist noch immer auf freiem Fuß und hat auf seiner Flucht offensichtlich genügend Zeit, sich auch schriftstellerisch zu betätigen. So erschien in Belgrad jüngst seine Satire „Sitovacija“. Der Titel ist eine Verballhornung des Wortes Situation und kann annäherungsweise mit „verquere Lage“ oder „Bescherung“ übersetzt werden.

Ort der Handlung ist der Gastgarten eines kleines Kaffes. Im folgenden Ausschnitt sucht Edi, Vertreter des Westens, einen Kandidaten für das Amt des Präsidenten der Republika Srpska. Edi wird als beschränkt gezeichnet und spricht schlecht serbisch. Majstorovic, der Leader-maker, glaubt in Radojica, den Mann gefunden zu haben. Das Vorstellungsgespräch droht bereits am Streit um den traditionellen serbischen Drei-Finger-Gruß zu scheitern, den Radojica im Wahlkampf verwenden will; doch das lehnt Edi ab:

Edi: Wenn du kandidieren, du nicht zeigen drei Finger, klaro?!

Radojica: Aber ich bin doch ein serbischer Kandidat! Wir haben das vereinbart.

Edi: Nix vereinbart, ich vereinbaren, gehen nur zwei Finger.

Radojica: Das kommt nicht in Frage. Kein einziger Serbe wird für mich stimmen. Das ist kein serbischer Gruß, und damit basta.

Majstorovic: Ja, aber es kann auch zu einem serbischen Gruß werden.

Edi: Du gesagt, goldige Mann, und schon haben „nema problema“. Wir neuen Serben suchen, und das nicht ist neue Serbe, das alte Serbe.

Majstotrvic. Nema, nema problema, das werde ich lösen. Lenk doch ein, laß uns nicht an diesen Kleinigkeiten scheitern. Ist doch egal, wieviele Finger es sind. Lenk ein, ich bitte Dich!

Radojica: Zwei Finger akzeptiere ich nicht, und aus!

Edi: Oh, oh, geben Kompromiß, geben Kompromiß. Wenn nicht will zwei Finger...Wenn sie nicht will zwei Finger, geben eine Finger.

Radojica: Sind sie sicher, daß einer möglich ist?

Edi: Oh, ich sicher, gehen eine Finger, das Kompromiß sein.

Radojica: Sind sie sich sicher, wenn sie wollen, dann soll es ein Finger sein. Aber nicht, daß es dann nachher....

Edi: Gehen eine Finger, gehen eine Finger!

Radojica: Oh mein Gott, mein Gott, wie schnell haben wir uns geeinigt. Aber sind sie sich sicher, daß es so nicht möglich ist?

Edi: Nicht so eine! Ich dir brechen diese Finger, das seinen Stinkefinger, verstehen? Es gehen nicht eine Finger so, es werden böse sein alle Völker. Nicht geben drei Finger, da werden böse sein zweite Entität, verstehen?

Radojica: Aber es werden sich weder die Kroaten, noch die Moslems ärgern. Lassen sie uns ruhig. Sie zeigen ihre, wir zeigen unsere...

Edi: Haben, haben böse Moslems. Und nicht geben mehr Moslems!

Radojica: Keine Moslems? Aber wo sind sie, wenn es sie nicht mehr gibt?

Edi: Wer, nicht geben?

Radojica: Na die Moslems!

Edi: Oh, es geben, es geben, aber nicht mehr so nennen. Du sie nennen Bosnijak.

Radojica: Aber ein Boschnijak, das ist ein Bosnier. In Bosnien gibt es nicht nur Moslems. Bosnien gehört weder David, dem Kaiser, noch dem Landadel. Bosnien ist serbisch, kroatisch und moslemisch. So haben wir es in der Schule gelernt, und jetzt besteht ihr darauf, es gibt keine Moslems, das sind Bosnier, und wir sind vom Himmel gefallen. Die Serben wirst du vielleicht dazu bringen, doch die Kroaten werden das nie akzeptieren.

Edi: Oh, Kroaten, alles, alles haben akzeptiert, keine Witz!

Radojica: Sie akzeptieren es, akzeptieren es im Spaß. Gerade aus Spaß akzeptieren sie es. Doch kann man Moslem mit großem „M“ schreiben?

Edi: Was, groß?

Radojica: Ein großes „M“ für die Moslems!

Edi: Nix groß! Nix groß für Serben, nix groß für Kroaten!

Radojica: Ich verstehe jetzt überhaupt nichts mehr. Wieso gibt es jetzt weder für Serben, noch für Kroaten einen großen Anfangsbuchstaben?

Radovan Karadjic präsentiert in diesem Stück seine Weltsicht und alle Klischees, die den Bosnien-Krieg geprägt haben und leider auch heute noch in Bosnien lebendig sind. Streit um Namen und Sprache werden ebenso thematisiert wie die Angst vieler Serbien, auf dem Weg nach Europa ihre Identität verlieren zu müssen. So befürchtet Kandidat Radojica etwa, die EU werde die Republika Srpska nicht akzeptieren, weil es in ihr weder Rinderwahnsinn noch Homosexuelle gebe. Die Bosnijaken werden als Drahtzieher im Hintergrund gezeichnet. Wenn Edi nicht weiter weiß, so ruft er den bosniakischen Politiker Mirsa zu Hilfe, der nie sichtbar wird, ihm jedoch immer Zettel mit entsprechenden Erklärungen und Anweisungen zusteckt.

Herausgegeben hat das Stück in Belgrad Miroslav Tohoj, der Sprecher des „Internationalen Ausschusses zur Wahrheit über Radovan Karadjic. Tohoj war einst unter Karadjic Informa-tionsminister. Er sieht Karadjic auch als großen Literaten:

„Wir kennen viele Fälle aus der Geschichte der europäischen Literatur von Knut Hamsun bis Ezra Pound, daß Autoren die eine oder andere Ideologie vertreten haben, daß sie der einen oder anderen Anklage unterworfen waren, doch ihre Bücher sind nie in Frage gestellt worden, sie lebtenals wahre Werte fort.“

Abgesehen von diesem auch literarisch mehr als zweifelhaften Vergleich, ist in Serbien die Präsentation von Radovan Karadjic als Schriftsteller, ja als Kinderbuchautor, auch Teil des politischen Machtkampfes. Verkauft werden Devotionalien von Karadjic und dem ehemali-gen bosnischen Serben-General Ratko Mladic vor allem bei Kundgebungen nationalistischer Parteien. Ihr Wählerpotential schätzt der Meinungsforscher Srdjan Bogosavljevic auf maximal 20 Prozent:

„Karadjic und Mladic werden generell benutzt, um den Stellenwert des Nationalismus und der nationalistischen Parteien bei den Wählern zu erhöhen. Zwei derartige Parteien bestehen bereits, doch noch einige könnten auf der politischen Bühne erscheinen; dieser Teil des politischen Spektrums wird nicht wirklich abgedeckt und so besteht Platz. Karadjic und Mladic dienen weit stärker als Symbole, viel weniger sorgt man sich um ihr Schicksal.“

Denn die Serben haben sich auch mit dem Haager Tribunal abgefunden; Srdjan Bogosavljevic:

„Die Haltung gegenüber dem Haager Tribunal ist ziemlich stabil. Großes Mißtrauen, wenig positive Einstellungen, doch kein Widerstand gegen die Zusammenarbeit. Sie wird als not-wendig, als Schlüssel für die tiefere und weitere Zusammenarbeit Serbiens und Jugoslawiens mit Europa empfunden. Daher ist es ganz klar, daß es nur wenige ernst zunehmende Proteste im Falle einer Verhaftung geben würde.“

Trotzdem ist Den Haag weit, und ebenso weit ist Serbien noch von einer kompromißlosen Aufarbeitung der eigenen jüngsten Vergangenheit entfernt. Warum das so ist, erklärt der Meinungsforscher auch so:

„Wir haben vor längerer Zeit ein Mal gefragt, was über verschiedene Verbrechen gewußt und ob daran geglaubt wird. Doch selbst wenn davon gewußt wird, wird nicht daran geglaubt. Warum? Nach Serbien kamen zumindestens 700.000 Flüchtlinge aus Bosnien und Kroatien. Etwa 400 bis 500.000 blieben; aus dem Kosovo kamen noch 200.000. Die, die als Flüchtlinge kamen, sprachen über ihre Leiden; sie sprachen nicht darüber, daß sie jemanden getötet haben und höchstwahrscheinlich haben sie das auch nicht. Doch die Täter sprechen nicht darüber. Daher sind die Serben massiv konfrontiert mit Opfern der eigenen Seite und nicht mit den Opfern der anderen, denn diese Täter schweigen. Daher gibt es in der Bevölkerung einen großen Widerstand, sich mit diesem Thema zu befassen.“

In Wechselwirkung damit gibt es auch unter Politikern und in den Medien einen großen Widerstand, sich diesem unpopulären Thema zu stellen. Verstärkt wird diese Einstellung auch durch den Westen. Wenn die USA den ständigen internationalen Gerichtshof in Den Haag nicht akzeptieren, warum soll dann Radovan Karadjic das Haager Tribunal als einen Ad-hoc-Gerichtshof anerkennen, warm sollen wir dann unsere Leute ausliefern? Diese Fragen sind nicht nur unter nationalistischen Serben nicht selten zu hören und erschweren vor allem die Position jener, die wissen, daß Aufarbeitung der Vergangenheit und Demokratisierung un-trennbar miteinander verbunden sind.

Der Film „Niemandsland“ von Danis Tanovic endet damit, daß der Bosniake und der Serbe vor laufender Kamera erschossen werden. Ein weiterer Bosniake bleibt im Niemandsland in der Stellung liegend zurück; er kann nicht aufstehen, denn er liegt auf einer scharfen Schützenmine. Die SFOR läßt den Mann hilflos zurück, ein Einzelschicksal, über das in der bevorstehenden Pressekonferenz nicht berichtet werden wird. Auch Bosnien und Serbien sind noch nicht wieder auf die Beine gekommen. Für ihre Entwicklung ist wichtig, daß Personen wie Radovan Karadjic kaum als Schriftsteller, schon gar nicht als Helden, sondern als Täter in Erinnerung bleiben.

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