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Zehn Jahre nach „Sturm“ in Kroatien und Serbien

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Berichte Serbien
In Kroatien wird heute der Rückeroberung der Krajina durch kroatische Truppen vor zehn Jahren gedacht. Die Militäraktion mit dem Decknamen „Sturm“ begann bereits am 4. August um fünf Uhr früh, doch am heutigen Tag vor zehn Jahren rückten die Kroaten in Knin, die Hauptstadt der Krajina ein. Die Militäraktion besiegelte das Schicksal der selbsternannten Serben-Republik in Kroatien und führte zur Flucht von etwa 200.000 Serben aus Kroatien. In Kroatien ist der heutige Tag ein Feiertag, in Serbien wurde bereits gestern der Opfer gedacht. Diese völlig entgegen gesetzte Bewertung zeigt, wie tief die Gräben zwischen Serben und Kroaten auch zehn Jahre nach dem Ende des Krieges immer noch sind. Über Hintergründe und Folgen der Militäraktion „Sturm“ berichtet aus Knin unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz:

Die Wurzeln der Militäraktion „Sturm“ reichen in das Jahr 1991 zurück als der blutige Zerfall Jugoslawiens begann. Nach der Unabhängigkeitserklärung Kroatiens proklamierten die Serben in der Region Krajina eine eigene Republik. Mit Unterstützung Belgrads kontrollierten serbische Truppen bis zu einem Drittel des kroatischen Territoriums. Diese Vorgangsweise wiederholte sich auch in Bosnien, wobei das langfristige Ziel von Slobodan Milosevic ein großserbischer Staat gewesen sein dürfte. Begünstigt wurde diese Politik durch die extreme militärische Unterlegenheit Bosniens und Kroatiens, durch die Unfähigkeit der EU und das Desinteresse der USA. Mit dem Amtsantritt von Bill Clinton als Präsident im Jahre 1993 änderte sich die Haltung Washingtons, vor allem weil der Krieg in Bosnien immer schrecklichere Ausmaße annahm. Durch Waffenlieferungen wurden die Streitkräfte in Bosnien und Kroatien ebenso gestärkt wie durch pensionierte US-Offiziere, die als Ausbildner tätig waren. Den Wendepunkt der westlichen Balkan-Politik bildete das Massaker an 7.800 Bosnjaken in Srebrenica im Juli 1995. Mit Duldung des Westens startete Zagreb am 4. August die Operation „Sturm“. Binnen vier Tagen eroberten 127.000 Soldaten 20 Prozent des eigenen Landes und damit die territoriale Einheit Kroatiens zurück. Offensiven in Bosnien und NATO-Luftangriffe führten im Dezember 1995 schließlich zum Kriegsende in Bosnien. Bezahlt haben die großserbische Politik von Slobodan Milosevic auch etwa 200.000 Serben, die aus der Krajina flohen oder vertrieben wurden; zehn Jahre später sind erst knapp 100.000 zurückgekehrt. Doch diese Zahlen sind zwischen Zagreb und Belgrad ebenso umstritten wie die Bewertung der Operation „Sturm“. Zweifellos kam es zu Verbrechen, für die das Haager Tribunal auch den flüchtigen General Ante Gotovina verantwortlich macht. Seinetwegen hat die EU im März die Beitrittsverhandlungen mit Kroatien verschoben. Unzweifelhaft ist aber, dass Kroatien einen Verteidigungskrieg führte, und dass während des Krieges 500.000 Kroaten ein Flüchtlingsdasein führen mussten. Während es in Kroatien wenigstens Ansätze zur Selbstkritik gibt, ist in Serbien davon nichts zu merken. So verglich Präsident Boris Tadic die Aktion „Sturm“ mit dem Massaker von Srebrenica, und Ministerpräsident Vojislav Kostunica sprach von der schlimmsten ethnischen Säuberung seit 1945. Klare Worte zu Srebenica fand Kostunica bisher nicht. All das zeigt, wie tief die Gräben im ehemaligen Jugoslawien noch sind und wie weit vor allem Serbien von einer Aufarbeitung der eigenen jüngsten Vergangenheit immer noch entfernt ist.

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