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Lage in Krisenregion Südserbien

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Im Grenzgebiet zwischen Serbien und Mazedonien haben Anfang Jänner serbische Grenzpolizisten einen 16-jäjrigen Albaner erschossen. Der Jugendliche hatte trotz Warnung versucht, die Grenze nach Mazedonien illegal zu überqueren. Dieser Zwischenfall führte zu Massenprotesten der Albaner, die in Südserbien leben. Sie forderten unter anderem den Abzug der serbischen Streitkräfte, die in dieser Region stationiert sind und auch das Grenzgebiet zum Kosovo überwachen. Der Tod des albanischen Jugendlichen führte aber auch der Regierung in Belgrad und der internationalen Staatengemeinschaft vor Augen, dass Südserbien noch immer eine potentielle Krisenregion ist. Hier kam es im Jahre 2001 zum Aufstand der Albaner des Presevo-Tales und zu monatelangen Kämpfen. Die Regierung von Ministerpräsident Zoran Djindjic meisterte diese erste große Bewährungsprobe, und im Sommer 2001 schlossen Albaner und Serben unter Vermittlung der NATO einen Friedensvertrag. Massive internationale und serbische Hilfe setzten ein, um diese auch wirtschaftliche Krisenregion zu entwickeln. Doch mit Djindjics Ermordung im März 2003 verschwand auch diese Region aus dem Belgrader Blickfeld, und die Regierung von Ministerpräsident Vojislav Kostunica vernachlässigte die Region in ihrem ersten Amtsjahr überhaupt. Dieser Fehler rächte sich und soll nun korrigiert werden. Unser Korrespondent Christian Wehrschütz hat jüngst Südserbien besucht und folgendes Bild von der Lage im Presevo-Tal gezeichnet:

“Sto juznije to tuznije” – Je südlicher desto trauriger“, lautet ein serbisches Sprichwort, das die Lage in Südserbien, im Grenzgebiet zu Mazedonien und zum Kosovo, treffend beschreibt. In drei Gemeinden leben etwa 60.000 Albaner, 25.000 Serben und 4.500 Roma. In der Gemeinde Medvedja dominieren die Serben, in Presevo die Albaner und in Bujanovac sind knapp mehr als 50 Prozent Albaner. Das Gebiet ist die unterentwickeltste Region Serbiens, obwohl sie dank ihres Mineralwassers und ihrer Heilquellen ein großes Potential besitzt. Doch Investoren sind rar, und offensichtlich nur erwünscht, wenn ihre Nationalität nicht stört. Das zeigt ein Vorfall in der Gemeinde Vladicin Han, die der in Bujanovac lebende Journalist Nikola Lazic so beschreibt:

„Zum Jahreswechsel kaufte ein lokaler Albaner bei einer Auktion ein Unternehmen in Vladicin Han, das eine rein serbische Gemeinde ist. Das führte zum Aufstand aller Parteien, weil dieser Albaner auch noch der Untergrundbewegung des Presevo-Tales angehört hatte. Diesen Umstand hatte der Käufer nie verschwiegen. Trotzdem kam es zu Interventionen in Belgrad und nach drei Tagen wurde die Privatisierung gestoppt, angeblich weil die Regeln der Marktwirtschaft verletzt wurden. Doch das entsprach nicht der Wahrheit.“

Dieser Vorfall ist ein Beispiel für den stärker werdenden Nationalismus in Serbien, den der Amtsantritt der Regierung von Vojislav Kostunica vor einem Jahr mit sich gebracht hat. Dieser Nationalismus wirkt sich auch auf die Stabilisierung Südserbiens aus, die im Sommer 2001 mit dem Ende des Albaner-Aufstandes begann. Dazu sagt der Journalist Nikola Lazic:

„Seit dem Amtsantritt der Regierung Kostunica stagniert der Friedensprozess und alles was damit verbunden ist. Man kann sogar von einem gewissen Rückschritt sprechen. Dagegen wurden unter Zoran Djindjic hier viele Projekte begonnen und auch viel Geld kam durch den Staat und durch ausländische Geldgeber in die Region.“

Doch Zoran Djindjic ist seit fast zwei Jahren tot, und nicht nur Vojislav Kostunica fehlt dessen klare Entwicklungsstrategie. Negativ wirkten sich auf Südserbien auch politische Machtkämpfe in Belgrad sowie der Umstand aus, dass die Regierung die Mittel für die Region kürzte. Außerdem gewannen radikalere albanische Politiker deutlich an Einfluss. Abgesehen von den Lokalwahlen boykottierten die Albaner alle Wahlen in Serbien. Das stärkte das Misstrauen Belgrads und erschwerte die Integration der Albaner. Dazu sagt der albanische Bürgermeister von Bujanovac, Nagib Arifi:

„Sogar die Inspektoren des Markt- und Gesundheitsamtes sowie der Finanz sind rein serbisch. Obwohl in dieser Gemeinde mehr als 50 Prozent Albaner leben, ist kein einziger Albaner in die Staatorgane aufgenommen worden.“

Dieser Zustand könnte sich nun ändern. Grund dafür ist der Tod eines 16-jährigen Albaners. Er wurde beim illegalen Grenzübertritt von Südserbien nach Mazedonien von serbischen Soldaten erschossen. Neue politische Spannungen folgten, und Belgrad dürfte erkannt haben, dass es diese Region nicht weiter vernachlässigen darf. Gezeigt hat der Vorfall auch, wie schmerzlich diese Grenze für die Albaner ist, die erst seit dem Zerfall Jugoslawiens besteht. Ihre Folgen schildert Nagib Arifi so:

„Die beiden Dörfer sind voneinander nur 1500 Meter entfernt. Die Bewohner des Dorfes in Serbien haben Felder in Mazedonien, und die Grenze teilt sogar ein Feld in zwei Parzellen. Trotzdem können die Bauern ihre Felder noch nicht bestellen. So müssen sie einen Umweg von 10 Kilometer in Kauf nehmen, brauchen ihren Pass und haben noch keine spezielle Genehmigung, die es sonst überall auf der Welt gibt.“

Trotz aller Probleme haben internationale Gemeinschaft und Regierung in Südserbien auch Erfolge vorzuweisen. Straßen, Kanalisation und Schulen wurden in Stand gesetzt und unter Federführung der OSZE, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, wurde eine multiethnische Polizei ausgebildet. Dazu zählen 250 Albaner, die nun mit serbischen Polizisten patrouillieren. Das hat das Vertrauen in die Polizei spürbar gestärkt. Investiert hat die OSZE auch in die Ausbildung junger Albaner. Dazu sagt Mathias Eick von der OSZE:

„Jura-Studenten, die aus der Region stammen und dort leben, haben wir spezielle Kurse angeboten, um sie auf das Staatsexamen vorzubereiten, weil das Staatsexamen eine Grundvoraussetzung ist, um in der Lokalverwaltung einen Arbeitsplatz zu finden. Dadurch können wir auch den serbischen Behörden sagen, dass wenn es Posten gibt, dass es doch qualifizierte albanische Fachkräfte gibt, die dort arbeiten können, um dadurch auch besseres Vertrauen zwischen der albanischen Bevölkerung und der Lokalverwaltung aufzubauen.“

Positiv verändert haben sich auch die lokalen Medien. Mit Hilfe der OSZE wurden Journalisten ausgebildet und Radio Bujanovac in einen Sender umgewandelt, der nicht nun nur auf serbisch, sondern auch auf albanisch sendet. Fünf albanische und sechs serbische Journalisten arbeiten in diesem gemeindeeigenen Radio. Für viele Hörer war die Zweisprachigkeit zunächst eine Herausforderung, erzählt der leitende Redakteur Achmet Beqiri:

„Am Anfang lief das nicht so glatt, denn die Zuhörer waren nur ein Programm in serbischer Sprache gewohnt. Doch mit der Zeit hat man sich darauf eingestellt. Wir bemühen uns, unserer Hörer mir den wichtigsten Nachrichten aus der Gemeinde zu versorgen, strahlen Musik aus und daran hat sich nichts geändert.“

Beqiri sieht Radio Bujanovac als Musterbeispiel und sagt:

„Ich selbst bin in einem Dorf in eine gemeinsame Schule mit Serben und Roma gegangen. Ich weiß, dass wir zusammenleben können und ich glaube, dass das auch in Zukunft möglich ist.“

Doch bis zur gemeinsamen Zukunft ist der Weg noch weit. Albaner und Serben leben vor allem nebeneinander und nicht miteinander. Serben lernen kaum Albanisch und beide Gruppen gehen in getrennte Schulen. Vor allem bei den Serben ist der Widerstand gegen eine geplante multiethnische Schule groß. Ihn begründet der Vizebürgermeister von Bujanovac, Novica Manojlovic, so:

„Die Albaner wollen unter dem Vorwand einer multiethnischen Schule eine große Schule bauen, in der der Unterricht ausschließlich in albanisch stattfindet. Von multiethnisch wird dort sicher keine Rede sein. Außerdem gibt es in Bujanovac nicht genügend albanische Kinder für eine derart große Schule. Daher zählen die Albaner auch auf Kinder aus Presevo und dem Kosovo, um die Zahl albanischer Schüler in Bujanovac zu erhöhen.“

Dieser Vorwurf entbehrt jeder Logik. Kaum ein Kosovo-Albaner wird sein Kind in eine Schule nach Serbien schicken, wo der Unterricht nach serbischem Lehrplan erfolgt. Trotzdem hat der Kosovo großen Einfluss auf Südserbien. Die Albaner sind für die Unabhängigkeit, die Serben dagegen. Sie halten den Albanern außerdem stets die schlechte Lage der serbischen Minderheit vor Augen, wenn es um Forderungen in Südserbien geht. Außerdem haben viele Albaner die Idee eines Anschlusses Südserbiens an den Kosovo noch nicht aufgegeben. Diese Forderung könnte vor allem dann aktuell werden, sollte es zu einer Teilung des Kosovo kommen. Abgesehen von allen Reformen wird daher die Lage in Südserbien erst dann wirklich stabil sein, wenn auch der Status des Kosovo endgültig geregelt ist.

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