Lage der Orthodoxen Kirche in Serbien
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Serbien hat in den vergangenen 15 Jahren tiefgreifende Umwälzungen erlebt. Dazu zählen Aufstieg und Fall von Slobodan Milosevic, die von ihm weitegehend zu verantwortenden Zerfallskriege im ehemaligen Jugoslawien, Hunderttausende Flüchtlinge und nun die schwierigen Reformen, und die mühevolle Rückkehr nach Europa. Hinzu kommt, dass Serbien wegen der ungeklärten Stellung des Kosovo und der offenen Zukunft des Staatenbundes mit Montenegro keine klaren Grenzen hat. Soziale Ängste, Unsicherheit und Identitätskrise prägen das Land. Als Halt und große moralische Autorität gilt in dieser Zeit des Übergangs die Orthodoxe Kirche. Auch sie hat den nationalistischen Verirrung nicht konsequent widerstanden, schließlich aber eine Abkehr von Milosevic vollzogen und den demokratischen Wandel mitgetragen. Über die Stellung Serbien in Europa, über die Rolle der orthodoxen Kirche hat unser
Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz in Belgrad mit Vater Irinej gesprochen, der im Heiligen Synod für außenpolitische Angelegenheiten und die Beziehungen zu anderen Kirchen zuständig ist.
Vater Irinej ist 49 Jahre alt, groß gewachsen, schlank, eine einnehmende Erscheinung mit freundlichem Wesen und ruhiger Stimme. Sein Serbisch verrät sofort, dass er nicht im ehemaligen Jugoslawien aufgewachsen ist, obwohl er die Sprache fast fehlerfrei beherrscht. Vater Irinej wurde in Cleveland Ohio geboren. Er ist der Sohn königstreuer Einwanderer, die nach dem Zweiten Weltkrieg das kommunistische Jugoslawien aus politischen Gründen verlassen mussten. Für die geistliche Laufbahn entschied er sich bereits in den USA, wobei er in Washington auch die Kanzlei für Außenpolitik der Serbisch-Orthodoxen Kirche der USA und Kanada leitete. Mitte der 90iger Jahre kehrte Irinej nach Belgrad zurück. Er kennt somit Ost und West und die schwierige Stellung, die Serbien zwischen diesen beiden Welten einnimmt. Zu dieser Lage sagt Vater Irinej:
„Wir haben hier unser Haus wirklich an der Wegkreuzung zwischen Ost und West gebaut, und oft spricht man von uns als Brücke zwischen Ost und West. Hier kam es zu Zusammenstößen verschiedener Reiche wie der Habsburger Monarchie und dem Ottomanischen Imperium, zwischen Lateinern und Griechen. Wir waren immer in der Mitte all dieser Veränderungen und Strömungen. Unsere Gesellschaft hat eine starke östliche Prägung in ihrem Wesen, doch sie kann auch nach Westen blicken und das annehmen, was sie übernehmen kann. Das beste Beispiel ist für uns Griechenland als Staat und Kirche. Sie sind ein seltenes Beispiel für eine ganz erfolgreiche Kreuzung von Ost und West. Sie haben das Beste aus dem Osten bewahrt und doch sind sie sich bewusst, dass sie die westliche Kultur begründet haben. So wenden sie im täglichen Leben und in der Politik das an, was das Beste aus dem Westen ist. Daher ist es auch für uns natürlich, dass wir das bewahren, was das Beste aus Ost und West ist.“
Um diese Auswahl zu erleichtern, und um die Europäische Union besser kennen zu lernen, hat die orthodoxe Kirche nun die Möglichkeit, ein Büro in Brüssel zu eröffnen. Die Entscheidung darüber ist noch nicht gefallen, doch betont Vater Irinej, dass dieses Angebot sehr positiv aufgenommen wurde, das die orthodoxen Kirchen in Rußland und Griechenland bereits genützt haben. Eine positive Haltung der Orthodoxie zur EU wird für Serbiens Weg nach Europa sehr wichtig sein, obwohl die Kirche natürlich auf diesem Weg keine Vorreiterrolle spielt. Trotzdem ist die Kirche ein entscheidender Träger der nationalen Identität, eine Rolle, die Irinej so erklärt:
„Die Orthodoxe Kirche ist eine staatsbildende Kirche. Sie spielte eine besondere Rolle in der 500 Jahre dauernden Versklavung durch die Türken. Hätte es die Kirche nicht gegeben, hätte das Volk seine Identität verloren. So ist Orthodoxe Kirche nicht nur führend unter allen Kirchen, die es hier gibt, sondern auch jene Kirche, die für sein Volk eine existenzielle Rolle spielte und sie hat daher einen besonderen Platz in dieser Gesellschaft.“
„Sie ist es, die das geistige Leben und das Unterbewusstsein der Menschen beeinflusst. Gerade durch einen Patriarchen, wie es seine Heiligkeit Patriarch Paul ist, den viele Zeitungen als Heiligen bezeichnen, der durch dieses Land wandelt, gerade durch diesen Patriarchen hat die Kirche eine große geistige Autorität, so dass sogar Nicht-Gläubige, ihn als geistigen Vater dieses Volkes betrachten. Gerade deshalb hat sein Wort dieses Gewicht.“
Dieses Gewicht warf Patriarch Paul etwa in die Waagschale als das Parlament des Staatenbundes Serbien-Montenegro eine neue Hymne beschließen sollte. Melodie und Text sollten eine Verbindung aus serbischer und montenegrinischer Hymne sein. Der Patriarch bezeichnete diesen politischen Kompromiss als Zentaur, sprach sich somit klar gegen die Hymne aus, die daraufhin vom Parlament auch nicht beschlossen wurde. Dass sein Einfluß jedoch begrenzt ist, zeigt das Eintreten der Kirche für die Wiedereinführung der Monarchie. Denn die große Mehrheit der Serben und der Parteien sind für die Republik. Stellungnahmen wie diese sind selten, denn die Kirche sich weitgehend aus der Tagespolitik heraushält. Vater Irinej:
„Als es zur Demokratisierung des Landes kam hat die Kirche den Menschen immer gesagt, dass sie an diesem Prozess teilnehmen und nach besten Wissen und Gewissen wählen sollen. Doch die Kirche hat sich nie für irgendeinen Kandidaten ausgesprochen und stand so über den Parteien.“
Trotzdem haben die Parteien einigen grundlegenden Anliegen der Orthodoxie und aller anderen Kirchen Rechnung getragen. Dazu zählt die Wiedereinführung des Religionsunterrichtes an den Schulen. Dessen Bedeutung beschreibt Vater Irinej so:
„Die größte Rolle, die der Religionsunterricht in dieser Gesellschaft spielen kann, ist die, dass durch ihre Kinder viele Eltern und Großeltern ihren Glauben wieder erkennen. Denn einige Generationen hatten überhaupt keinen Religionsunterricht.“
Unter den Folgen des Kommunismus und der Ära Milosevic leidet die Kirche noch heute. An Religionslehrern und gut ausgebildeten Geistlichen besteht nach wie vor ein Mangel, obwohl auch hier ein Besserung der Lage in Sicht ist. Dazu beigetragen hat auch der Umstand, dass die Theologische Fakultät wieder in die Universität Belgrad eingegliedert worden ist. Dazu sagt Vater Irinej:
„Eines der größten Probleme war, dass man die Theologische Fakultät aus dem Bestand der Belgrader Universität herausgelöst hatte. Das war ein großes Verbrechen, weil die Theologische Fakultät einer der Gründer der Belgrader Universität war. Gegenüber der Zeit des Kommunismus hat es grundlegende Änderungen gegeben, weil damals viele, die Theologie studieren wollten, dabei ihre Existenz riskieren mussten. Doch heute sind die Tore weit geöffnet, und wir haben mehr als 1200 Studenten. Ich glaube das ist eine der größten Studentenzahlen an einer Fakultät in der Orthodoxen Welt. Das Niveau der Professoren ist sehr hoch. So kehren wir Gott sei Dank wieder zu unseren Wurzeln zurück, denn ohne gute und solide Ausbildung, können wir als Kirche nicht erfolgreich sein.“
Noch nicht geklärt ist die Rechtsstellung der Kirchen in Serbien. Ein Religionsgesetz wird derzeit ausgearbeitet, doch ob es alle offenen Fragen klären wird, bleibt abzuwarten. Dazu zählt auch die teilweise Rückgabe von Kircheneigentum, das nach dem Zweiten Weltkrieg von den Kommunisten enteignet wurde. Alle Kirchen leben in Serbien von Spenden, vom Verkauf von Kerzen und im Falle der Orthodoxie auch vom Verkauf von Ikonen. Für die Kirche ist daher eine teilweise Rückgabe von Eigentum auch eine Existenzfrage, wobei unfangreiche Vorarbeiten zu leisten sind, wie Vater Irinej betont:
„Wir haben im Patriarchat ein eigenes Büro, die sich nur mit der Frage der Rückkehr von Kircheneigentum befasst. Wir versuchen derzeit das Bild zu vervollständigen, und herauszufinden, wo sich alle juristischen Dokumente befinden für all das Vermögen und für alle Güter, die die Kirche besessen hat. Das ist sehr alles sehr verworren und es dauert sehr lange, um zu klären, wer, was wem verkauft hat, und in welchen Händen sich was jetzt befindet.“
Zu den gesellschaftspolitischen Anliegen der Orthodoxie zählen auch der Kampf gegen Armut, Bevölkerungsrückgang und die große Zahl an Abtreibungen. Dazu sagt Vater Irinej:
„Natürlich trägt dazu viel die wirtschaftliche Lage das ihre bei, denn das Volk lebte zehn Jahre unter großem Mangel. Dazu zählen zehn Jahre Krieg und Sanktion, oder etwa auch die Frage, ob es nach den NATO-Angriffen noch Strahlung gibt. So war das ein Jahrzehnt, das hier vieles erschwert hat. Doch die Kirche muss Initiativen setzten, dass Familien wirtschaftliche entlastet werden, die eine bestimmt Zahl an Kindern haben. Eine sehr schwierige Frage sind auch die Abtreibungen. Natürlich ist unsere Kirche hundertprozentig dagegen, denn dadurch werden Kinder Gottes getötet. Und natürlich bilden wir auch das Volk dahingehend, dass die Abtreibung auf diese Weise nicht als empfängnisverhütende Maßnahme verwendet werden darf.“
Doch diese Bildung hat bisher nur geringe Früchte getragen, obwohl sich auch der Staat bemüht, durch eine Art Sexualkundeunterricht an den Schulen aufklärend zu wirken. Erfolgreicher sind hingegen die Bemühungen von Orthodoxie und Katholischer Kirche um die Ökumene. Denationalisierung, Religionsgesetz, Religionsunterricht sind nur einige Bereiche, wo Orthodoxie und andere Kirchen gut zusammengearbeitet haben. Zum Verhältnis zur katholischen Kirche sagt Vater Irinej:
„Wir haben hier, Gott sei Dank, sehr gute Beziehungen. Mit der Apostolischen Nuntiatur haben wir regelmäßige diplomatische Beziehungen und auch mit Erzbischof Stanislav Hocevar haben wir sehr gute Beziehungen. Regelmäßig sprechen unsere Kirchen miteinander und wir haben hier, Gott sei Dank, überhaupt keine Spannungen.“