× Logo Mobil

Politischer Klimawechsel in Serbien?

Radio
Europajournal
Berichte Serbien
Als Slobodan Milosevic im Oktober 2000 in Serbien gestürzt wurde, herrschten im Land Aufbruchsstimmung und Optimismus. Auch in Europa wandelte sich das Bild Serbiens, denn der neue Ministerpräsident Zoran Djindjic galt als Garant für zügige Reformen, für eine Abkehr von der nationalistischen Vergangenheit und für eine entschlossene Annäherung an Europa. Doch Djindjic wurde im März 2003 ermordet, sein Nachfolger war seiner Aufgabe nicht gewachsen, die Regierung zerfiel und Djindjics Partei ist nun in der Opposition. Neuer Ministerpräsident ist nun Vojislav Kostunica, der in Serbien eine Minderheitsregierung mit Duldung der Milosevic-Sozialisten führt. Stärkste Kraft im Parlament ist aber die ultrantionalistische Radikale Partei. Ihr Vertreter hat sogar Chancen, die Präsidentenwahl zu gewinnen, die Mitte Juni in Serbien stattfindet. Diese neuen politischen Kräfteverhältnisse haben dazu geführt, dass die Annäherung Serbien an die EU fast völlig zum Erliegen gekommen ist und auch Zusammenarbeit mit dem Haager Kriegsverbrecher Tribunal liegt auf Eis, steht doch auch der gemäßigte Nationalist Kostunica dem Tribunal mit großen Vorbehalten gegenüber. In Belgrad ist unser Korrespondent Christian Wehrschütz der Frage nachgegangen, in welchem Ausmaß sich das politische Klima in Serbien seit dem Tod von Zoran Djindjic gewandelt hat. Hier nun sein Bericht:

Anfang Mai stellte sich in Belgrad Milorad Ulemek Lukovic, genannt Legija, völlig unerwartet der serbischen Polizei. Der 36-jährige Legija ist der Hauptangeklagte im Prozess gegen die mutmaßlichen Mörder von Ministerpräsident Zoran Djindjic. Legija war führendes Mitglied eines Mafiaklans und Kommandant einer inzwischen aufgelösten Polizeisondereinheit. Er und seine Einheit dürften auch für politische Morde und Mordversuche verantwortlich sein, die die Endphase der Ära Milosevic in Serbien prägten. In einigen Boulevardmedien ist Legija nach wie vor Thema Nummer eins. Doch nicht seine Verbrechen stehen im Vordergrund. Vielmehr wird Legija zum Helden aufgebaut, der im ehemaligen Jugoslawien und im Kosovo als Patriot für das Serbentum gekämpft habe und dessen Schuld im Mordfall Djindjic fraglich sei. Ver-mutet wird, dass diese Medienoffensive von Personen gesteuert wird, die in Serbien zur Organisierten Kriminalität zählen und auch mutmaßliche Kriegsverbrecher schützen. Bis zu zwei Millionen der sechs Millionen serbischen Wähler sollen für eine derartige Propaganda anfällig sein, schätzt der Meinungsforscher Srdjan Bogosavlevic. Zum geistigen Klima in Serbien sagt Bogosavljevic:

„Wir leben seit Milosevic in einem völlig verschobenen Wertesystem. Davor gab es ein Wertesystem; es gab viele Unterschiede zum Westen aber es war hierarchisch, und es war klar, was man darf und was nicht. Doch vor allem seit Beginn der Kriege 1991 waren unsere Helden kleine Kriminelle, die Kinder bewunderten sie. Hinzu kommt, dass fast alle unsere jungen Leute, die heute etwa 30 Jahre alt sind, niemals im Ausland waren. Visa waren sehr schwer zu bekommen, Geld gab es keines. Jetzt gibt es etwas mehr Geld, doch Visa sind noch immer sehr schwer zu bekommen. So besteht eine Art Xenophobie, die nicht nur durch politische Eliten, sondern auch durch reale Umstände verstärkt wurde. So wurden für die Jugend Kriminelle etwas normales, denn wenn man Albaner oder Kroaten tötet, so ist das etwas positives, denn das war die jahrelange Botschaft von Milosevic.“

Diese Botschaft hat Milosevic überdauert und belastet nach wie vor die junge serbische Demokratie. Ein Drittel aller Wähler ist für die Parteien des alten Regimes, ein weiteres Drittel ist zwar gegen Milosevic aber nationalistisch und konservativ und nur das dritte Drittel ist für Reformen und die rasche Rückkehr nach Europa. Diese Dreiteilung besteht seit vielen Jahren. Daher sieht der Meinungsforscher Srdjan Bogosavlevic auch keinen grundlegenden Wandel des gesellschaftlichen Klimas in Serbien seit dem Tod von Zoran Djindjic vor mehr als einem Jahr:

„Zoran Djindjic ist es einfach gelungen eine Regierung zu bilden, die nur ein Viertel der Serben repräsentiert hat. Jetzt haben wir eine Regierung die etwas mehr Serben repräsentiert. Doch die öffentliche Stimmung und die der Wähler hat sich nicht geändert, geändert hat sich nur die Zusammensetzung der Machthaber.“

Ähnlich wie Bogosavlevic argumentiert auch der politische Analytiker Milan Bozic:

„Offensichtlich war die Regierung Djindjic wesentlich weiter von der wirklichen Stimmung der serbischen Wählerschaft entfernt als dies der Eindruck vermittelte, den ihr Verhalten und ihre offizielle Propaganda hervorriefen. Daher ist festzustellen, dass die nunmehrige Regierung Kostunica der Stimmung der Wählerschaft mehr entspricht als das unter Djindjic der Fall war. Djindjic hat zu viel verlang und angeboten; historisch betrachtet ist das positiv und man muss ihm dankbar sein, doch er ist zu weit vorangeschritten, was die Aufnahmefähigkeit der Öffentlichkeit betrifft. Wenn die neue Regierung eine Hinwendung zum Nationalismus ist, dann hatte der Westen offensichtlich ein falsches Bild von der nationalen Stimmungslage in der vorangegan-genen Periode. Die Wende besteht, ist aber im wesentlichen eine Anpassung der politischen Szene in Serbien an die Stimmung in der Bevölkerung.“

Wie weit diese Wende unter der neuen Minderheitsregierung geht, ob sie überhaupt stattfindet, und wie der Westen darauf reagieren wird, ist noch offen. Denn die Drei-Parteien-Koalition ist noch keine hundert Tage im Amt, kämpft aber bereits ums Überleben. Sollte ihr Kandidat bei der Präsidentenwahl Mitte Juni den Einzug in die Stichwahl nicht schaffen oder im zweiten Durchgang Ende Juni dem Bewerber der Ultranationalisten unterliegen, dürften im Herbst vorgezogene Parlamentswahlen stattfinden. Daher wird alles vermieden, was den Ultranationalisten zusätzlich Stimmen bringen könnte. Auslieferungen an das Haager Tribunal sind derzeit kein Thema, und auch der Westen, das Tribunal und seine Chefanklägerin Karla Del Ponte sind bisher sehr zurückhaltend.

Sollte die Regierung jedoch die Präsidentenwahl überstehen, wird auch Minister-präsident Vojislav Kostunica nichts anderes übrig bleiben, als weitere Angeklagte auszuliefern. Zu groß ist der westliche Druck angesichts des Diktats der leeren Kassen. Doch gestoppt hat die Auslieferungen nicht Kostunica, sondern bereits sein Vorgänger und Djindjic-Nachfolger Zoran Zivkovic. Noch weit früher kam die Aufarbeitung der Kriegsverbrechen der Ära Milosevic zu erliegen. Zaghaft begonnen endete sie bereits nach dessen Auslieferung durch Zoran Djindjic im Frühsommer 2001. Die Folgen dieses Versäumnisses erläutert der Direktor des Fernsehsenders B92 Sasa Mirkovic so:

„Seriöse Umfragen haben gezeigt, dass eine große Mehrheit nicht wissen will, das Dubrovnik bombardiert wurde oder dass das Massaker in Srebrenica stattgefunden hat. Wenn man sie damit konfrontiert, sagen sie, dass sich vor Srebrenica ein Massaker an Serben ereignet hat und dass das eine Reaktion war, die dadurch hervorgerufen wurde.“

Die Masse der Serben sieht sich somit ausschließlich als Opfer, eine Haltung, die durch die jüngsten albanischen Ausschreitungen im Kosovo bestätigt wurde. Doch diese Grundeinstellung bestand bereits unter Zoran Djindjic. Sein internationales Image war zweifellos weit besser als seine politischen Handlungen, die oft undemo-kratisch und zu pragmatisch waren. Doch das Ziel der raschen Modernisierung und Europäisierung Serbiens verlor Djindjic nie aus den Augen. In welchem Ausmaß Vojislav Kostunica dieses Ziel verfolgt, und ob er dafür eine Strategie entwickelt hat ist unklar. Diese fehlende Perspektive, die zum Stillstand gekommene Annäherung an die EU, das Fehlen konsequenter wirtschaftlicher Reformen sowie die resignative Stimmung der Bevölkerung sind die neuen und bedrohlichen Charakteristika der Nach-Djindjic-Ära in Serbien. Denn sie sind der Nährboden der Ultranationalisten, die zwar keine Kriege mehr auslösen aber die euro-atlantische Integration Serbiens noch weiter verzögern können. Um wie vieles schwerer dieser Weg im Vergleich zu den ehemaligen sowjetischen Satellitenstaaten Osteuropas ist, beschreibt der Philosoph Djordje Vukadinovic, in dem er auf die Sonderstellung Serbiens unter den Reformstaaten verweist:

„Natürlich war der historische Gegner der NATO die Sowjetunion, doch tatsächlich haben sie nie miteinander Krieg geführt. Die einzigen Bomben, die die NATO in ihrer langen Geschichte abgeworfen hat, hat sie auf Serbien geworfen. Diese Tatsache darf nicht übersehen werden. Denn es wäre falsch zu erwarten, dass die Serben mit Enthusiasmus in die euro-atlantische Integration streben, vor allem wenn es um das NATO-Programm „Partnerschaft für den Frieden“ geht. Dieser Integration muss man sich in Serbien vorsichtig nähern und das gilt sowohl für das Ausland als auch für die serbische Regierung.“

Hinzu kommt, dass Serbien wegen des ungeklärten Verhältnisses zu Montenegro und des ungelösten Kosovo-Problems noch keine klaren Grenzen hat. Wie unvollständig dieser Staat, wie fragwürdig das nationale Selbstverständnis ist, zeigt das Fehlen von Hymne und Fahne, über die derzeit kein Konsens in der serbischen Gesellschaft bestehen. Doch erst wenn Serbien ein demokratisches Nationsbewusstsein und ein europäisches Wertesystem entwickelt hat, wird es ein normaler Staat sein. Und erst dann werden Personen wie Milorad Ulemek Lukovic, genannt Legija, keine Chance mehr haben, durch Medienkampagnen zu Helden zu werden, obwohl sie doch nichts weiter als gewöhnliche Schwerkriminelle sind.

Facebook Facebook