Wahlen in Jugoslawien
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Berichte Serbien
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Unter dem Motto „Ein Lächeln für die Demokratie, weil es Zeit ist“, fanden und finden im Wahlkampf in ganz Serbien Rockkonzerte statt. Sie sollen vor allem Jugendliche anregen, am 24. September zur Wahl zu gehen und gegen Slobodan Milosevic zu stimmen. Organisiert werden diese Konzerte von der oppositionelle Wirtschafts-experten-Gruppe G17-Plus, von diversen Nicht-Regierungs-Organisationen oder vom Lieblingsgegner der Regierung, der Bewegung Otpor, zu deutsch „Widerstand“. Die Losungen dieser Initiativen lautet „Zeit ists“ und „Er ist fertig“, wobei im ersten Fall der Wandel und im zweiten Slobodan Milosevic gemeint ist, der erstmals von den Bürgern direkt zum jugoslawischen Präsidenten gewählt werden will. Doch „Slobo“, wie er von seinen Anhängern gerufen wird, tritt im Wahlkampf nur bei einigen Großereignissen auf. Zu sehen und zu hören ist Milosevic dann bei der Einweihung eines Kraftwerks, der Wiedereröffnung einer Brücke oder eines Autowerks, das von der NATO im Kosovo Krieg zerstört wurde. Milosevics Botschaft lautet dabei, daß Wiederaufbau, Entwicklung und Reformen trotz westlicher Sanktionen zu schaffen sind. Wahlentscheidend wird daher auch sein, ob vor allem die Serben Milosevic die Umsetzung dieser Ziele noch zutrauen. Daß dieses Vertrauen zu-mindest schwindet, zeigt der beachtliche Zulauf, den Vojislav Kostunica, Milosevics Herausforderer, bei seinen Wahlveranstaltungen zu verzeichnen hat. In der Stadt Velika Plana bekennt sich auch ein ehemaliger Gastarbeiter in Österreich zu Kostunica. Von dessen Sieg hofft er:
„Dass es besser wird, dass wir besser leben. Und dass alle Leute besser leben. Dass wir frei sind. So sind wir wie eingesperrt.“
An eine korrekte Stimmauszählung glaubt er jedoch nicht:
„Die Wählerlisten werden schlecht ausschauen. Die werden schon was machen, dass sie die Mehrheit haben. Früher haben sie es so gemacht, dass verstorbene auf den Wählerlisten waren und für die Sozialisten gewählt haben.“
Auch Vojislav Kostunica selbst rechnet mit massiven Wahlfälschungen. Im ORF-Interview sagt er zum voraussichtlichen Ablauf der Wahl:
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„Ich nehme an, daß die Manipulationen größer sein werden als je zuvor. Außerdem gibt es im ersten Wahlgang mehrere Gegenkandidaten. Das gibt Milosevic die Chance auf eine relative Mehrheit, die durch Wahlbetrug zur notwendigen absoluten Mehrheit werden kann. Seine Strategie ist es, daß es gar nicht zu einem zweiten Durchgang kommt. Denn dieser wäre eine Abstimmung für oder gegen Milosevic.“
Trotz massiver Vorbehalte der Opposition und des Westens beharren die Behörden in Belgrad jedoch darauf, das alles korrekt ablaufen wird. Die Gelegenheit zur Manipulation bieten dabei vor allem die mehr als 600.000 Kosovo-Albaner, die als jugoslawische Staatsbürger nach wie vor in den Wählerlisten verzeichnet sind, die Wahlen aber boykottieren werden. Hinzu kommt, daß auch die etwa 100.000 Albaner Südserbiens weitgehend nicht an der Präsidentenwahl teilnehmen werden.
„Jugoslavia, Jugoslavia“ Rufe sind auch in Montenegro nur bei Veranstaltungen der SNP, der Sozialistischen Volkspartei, zu hören. Denn sie ist die einzige Partei im montenegrinischen Parlament, die an den Wahlen am 24. September teilnimmt. Privathäuser, Armeeklubs und selbst Atombunker werden ihr als Wahllokale dienen. Wieviele der 440.000 Wahlberechtigten sie auch benutzen werden ist offen. SNP-Vorsitzender ist der jugoslawische Regierungschef Momir Bulatovic, ein treuer Gefolgsmann von Slobodan Milosevic. Etwa 500 Kundgebungen will die SNP bis zum Wahltag in Montenegro abhalten. Aufgerufen wird dabei zu einer hohen Wahlbeteilung, zur Treue zu Jugoslawien und zur Wiederwahl von Slobodan Milosevic. Angegriffen wird vor allem der pro-westliche montenegrinische Präsident Milo Djukanovic, dessen Drei-Parteien-Koalition die Wahlen boykottiert. Begründet wird der Boykott mit der Änderung der Bundesverfassung, mit der ohne Zustimmung der montenegrinischen Führung die Direktwahl des jugoslawischen Präsidenten und der Abgeordneten des Bundesparlaments eingeführt wurde. Tatsächlich dürfte dieser Beschluß der kleinste gemeinsame Nenner sein, auf den sich die Koalition einigen konnte. Denn in dem Drei-Parteien-Bündnis gibt es Anhänger der Unabhängigkeit aber auch Befürworter einer erneuerten Föderation mit Serbien ohne Milosevic. Der montenegrinische Journalist Goran Vujuvic glaubt sogar, daß einige Regierungspolitiker insgeheim darauf hoffen, daß Milosevic in Belgrad an der Macht bleibt:
„Präsident Djukanovic hätte einige Vorteile sollte Slobodan Milosevic siegen und zwar wegen des Westens. Denn sollte Kostunica gewinnen, besteht die Möglichkeit, daß der Westen seine Haltung zu Montenegro ändern könnte. Ich denke, daß daher Djukanovic einen Sieg Milosevics gar nicht so ungern sehen würde.“
Erschwert wird der Wahlkampf der Opposition auch durch polizeiliche Schikanen sowie durch die mediale Übermacht der Regierung. Vor allem die Jugoslawische Linke, die Partei von Milosevics Ehefrau Mirjane Markovic, zieht in Belangsendungen massiv gegen die Opposition zu Felde. Zu den Klängen von Carl Orffs Carmina Burana wird die Opposition als NATO-Partei, als Verräter und als fünfte Kolonne des Westens gebrandmarkt. Zur mangelnden Glaubwürdigkeit so mancher Oppositionspolitiker trägt aber auch deren zeitweise Verstrickung mit der politischen Führung und mit großserbischen Ideen bei. Der Belgrader Politologe
Zoran Stojiljkovic sagt dazu:
„In Serbien ist das nationalistische Projekt zu Beginn auch von der Mehrheit der heutigen Oppositionspolitiker unterstützt worden. Doch wer einen Regimewechsel und die nötigen Energien dafür mobilisieren will, muß ein klares Bild von der Schuld haben. Milosevic konnte seine Politik stärken, weil er sie als Politik der Nation präsentieren und daher auch die Schuld an der gegenwärtigen Lage verteilen konnte. Schuld sind in den Augen der Mehrheit der Serben das Regime aber auch ein wenig wir alle selbst; Schuld trägt auch die internationale Gemeinschaft mit ihren doppelten moralischen Standards. Wenn aber jeder mitschuldig ist, ist schließlich niemand verantwortlich. „
Ein Problem der Opposition, das sich vor allem nach den Wahlen auswirken könnte, ist die weitverbreitete Ansicht, daß Milosevic die Macht niemals freiwillig aus der Hand geben werden. Gestützt werden derartige Befürchtungen etwa durch die Erklärung des jugoslawischen Generalstabschefs Nebojsa Pavkovic, die Streit-kräfte würden jeden Versuch verhindern, die Macht mit Gewalt auf der Straße zu holen. Die Armee werde daher auch am Wahltag an vorderster Front stehen, um die Freiheit der Heimat zu verteidigen. Bei den Lokalwahlen vor vier Jahren hatte Milosevic die Wahlniederlage seiner sozialistischen Partei erst nach monatelangen Straßenprotesten anerkannt. Ein weiteres Indiz dafür, daß Milosevic bereits im ersten Durchgang der Präsidentenwahl alles klar machen will, lieferte der jugoslawische Informationsminister Ivan Markovic. Dieser schloß einen Sieg des oppositionellen Kandidaten Vojislav Kostunica oder gar einen zweiten Wahlgang praktisch aus; denn Slobodan Milosevic werde bereits im ersten Durchgang gewinnen. Diese Aussage widerspricht eindeutig sämtlichen Meinungsumfragen, die trotz ihrer generell mangelnden Aussagekraft einen wahren Kern gemeinsam haben: ohne massive Manipulationen kann kein Kandidat im ersten Wahlgang mit einer absoluten Mehrheit rechnen. Sollte es zum Wahlbetrug kommen, wird alles von der Reaktion der Bevölkerung abhängen; daher könnten die ersten Tage nach der Wahl spannender und für Jugoslawien entscheidender werden als der Wahltag selbst.