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Interview mit Patriarch Pavle

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In Serbien sind die Orthodoxe Kirche und ihr Schicksal ein Spiegelbild der Geschichte des Landes. Im Zweiten Weltkrieg hatte die Kirche viele Opfer, denn den Besatzungsmächten, vor allem aber den kommunistischen Partisanen fielen viele Geistliche zum Opfer. Unter Tito war die Orthodoxie in Serbien an den Rand gedrängt, viele Güter wurden enteignet. Mit dem Zerfall Jugoslawiens wurde die Kirche am Beginn der 90iger Jahre wieder zum Träger der nationalen Identität des Serbentums, obwohl die tatsächliche Zahl der Gläubigen auch weiter eher gering blieb. In dieser Zeit erlagen führende Vertreter der Kirche ebenfalls dem groß-serbischen Nationalismus, der die Kirche nicht zuletzt nach dem Ende des Kosovo-Krieges auch viele materielle Opfer kostete. Die Orthodoxie unterstützte auch den weitgehend un-blutigen Sturz von Slobodan Milosevic vor knapp zwei Jahren. Ihr Patriarch Pavle gilt als große moralische Autorität. Mit ihm hat unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz das folgende Interview geführt:

Mit seinen 88 Jahren ist Patriarch Pavle geistig und körperlich noch immer in ausgezeichneter Verfassung. Grund dafür ist sein asketisches Leben; klein von Gestalt, doch mit langem Bart strahlt er eine natürliche Autorität aus, ist auch in Serbien eine moralische Instanz. Viele aus-ländische Politiker treffen bei ihrem Besuch in Belgrad auch den Patriarchen. Serbische Politiker, wie der jugoslawische Präsident Vojislav Kostunica, waren bereits vor dem Macht-wechsel um ein enges Verhältnis mit Pavle bemüht; doch auch der serbische Ministerpräsi-dent Zoran Djindjic ist bei hohen kirchlichen Feiertagen in Pavles Nähe zu finden; damit ver-bindet sich auch politisches Kalkül; denn Djindjic, der dem Westen nicht zuletzt bei der Zu-sammenarbeit mit dem Haager Tribunal entgegenkommen mußte, will zeigen, daß auch er sich traditionellen serbischen Werten verbunden fühlt. Die Beziehungen zwischen Kirche und Staat waren unter Slobodan Milosevic zwiespältig. Nicht jeder Bischof wahrte die gleiche Distanz zu Milosevic wie der Patriarch. Zum Verhältnis zwischen Kirche und Staat nach der demokratischen Wende sagt Patriarch Pavle:

1) „Auch jetzt ist die Kirche vom Staat getrennt, doch das Verhältnis zwischen Kirche und Staat ist im Gleichklang. Das heißt, daß sich die staatliche Macht um die irdischen Belange der Bürger kümmert, während sich die Kirche um die geistigen Belange kümmert, denn wir wissen, daß wir Körper und auch Geist sind. Wir sind weder Körper noch Geist allein. Die Kirche sollte daher die Möglichkeit haben, um diese Seite zu kümmern. Natürlich ist es nicht so, daß sich die Kirche nicht auch um den Körper kümmert, doch sie ist auch an der Seele und am Leben im himmlischen Reich interessiert, das auf uns wartet.“

Natürlich bestehen auch in Serbien Parteien, denen die Kirche in geistiger Hinsicht näher steht. Trotzdem hat sich vor allem der Patriarch stets um ein korrektes Verhältnis zu allen demokratischen Kräften bemüht. Zum Verhältnis der Orthodoxie zu den politischen Parteien sagt Pavle:

2) „Die Beziehungen zwischen der Kirche und den Parteien ist eine offene. Die Kirche hat keine eigene Partei. Als im Jahre 1990 die ersten Wahlen für ein Mehrparteiensystem angekündigt wurden, war ich noch Bischof im Kosovo. Einige Gläubige fragten mich, für wen sie stimmen sollten. Ich antwortete, daß das der Gläubige selbst entscheiden müsse, in dem er die Kandidaten nach deren Vertrauenswürdigkeit, nach deren moralischer, politischer und geistigen Haltung beurteile. Ich sagte jedoch, daß man als Gläubiger nicht für Parteien stimmen sollte, die materialistische Positionen vertreten und in deren Haltung gegenüber Freiheit und Demokratie man kein Vertrauen haben könne.“

Dieser Linie blieb der Patriarch in der Phase des Umsturzes Ende September Anfang Oktober treu:

3) „Die Kirche hat immer verlang, daß der bei Wahlen zum Ausdruck gekommene Volkswille respektiert wird und daß der Wahlverlierer die Macht auf friedliche Weise abgeben und die neue Führung die Macht auf ebenso friedliche Weise antreten muß.“

Daher forderte Pavle auch, daß Milosevic seine Niederlage gegen Vojislav Kostunica bei der Präsidentenwahl anerkennen müsse. Einen Tag nach der Revolution am 5. Oktober veran-staltete die Kirche denn auch einen Dankgottesdienst in der Kirche des Heiligen Sava in Belgrad, an der eine unübersehbare Menschenmenge und auch die neue politische Führung des Landes teilnahmen. Vojislav Kostunica und Zoran Djindjic dankten der Kirche ihre Haltung mit der Wiedereinführung des Religionsunterrichtes. Seit dem vergangenen Schul-jahr wird Religionsunterricht in den ersten Klassen der Volks- und Mittelschulen wieder angeboten. Als Alternative dazu besteht auch das Fach Staatsbürgerkunde. Doch die Wieder-einführung des Religionsunterrichtes, die von allen Kirchen begrüßt wurde, brachte auch organisatorische und administrative Probleme mit sich. Patriarch Pavle sagt dazu:

4) „In Belgrad haben wir Religionslehrer, die eine entsprechende Schule und dann zwei Jahre ein geistliches Seminar besucht haben, so daß sie über eine höher Ausbildung verfügen und natürlich haben wir auch Religionslehrer, die die Theologische Fakultät absolviert haben. Derzeit haben wir genügend Lehrer, um den Grundbedarf zu decken; doch im kommenden Jahr wird der Religionsunterricht auch in den zweiten Klassen der Volks- und der Mittelschulen eingeführt; wir hoffen, daß wir das irgendwie bewältigen können, doch dafür haben wir nicht genügend Religionslehrer. Natürlich haben wir versucht, uns auf diese Entwicklung vorzubereiten, doch das war eben nicht wirklich möglich unter einem System, das die Kirche als Feind betrachtet hat.“

Das zweite große Anliegen der Kirche ist die Restitution, die Rückgabe des unter Tito ver-staatlichten Eigentums. Derzeit wird ein spezielles Gesetz zur Rückgabe des Eigentums an die Kirche vorbereitet, denn Rückgabe und Entschädigung von zivilen Opfer des Tito-Kommu-nismus soll durch ein allgemeines Gesetz geregelt werden. Zu Ausmaß und Bedeutung der Restitution sagt der Patriarch:

5) „Unter Tito wurde gesetzlich geregelt, daß erstrangige Kirchen und Klöster jeweils 30 Ha Land und Wald besitzen durften; als zweitrangig eingestufte Kirchen und Klöster durften jeweils 20 Ha haben und die übrigen maximal 10 Ha Land und Wald besitzen. Alles andere wurde enteignet, wobei in den Städten auch Gebäude enteignet wurden. Personen, die dann darin eine lange Zeit gelebt hatten, erhielt später das Wohnrecht und sie zahlten nur eine symbolische Miete an den Staat. Die Rückgabe des Eigentums wird nun gefordert und erwartet, in einem Ausmaß, daß die Kirche ihre Aufgabe erfüllen kann; das heißt Priestern Pensionen zu zahlen und Kirchen zu sanieren, die 50 Jahre lang verlassen und verfallen waren, denn auch viele wurde im Krieg zerstört. Natürlich wird nicht die Rück-gabe des gesamten kirchlichen Eigentums möglich sein, weil es Personen gibt, die das Wohnrecht hatten und ihre Wohnungen auch gekauft haben. Das kann nicht zurückge-geben werden, sowohl aus moralischen wie aus rechtlichen Gründen. Es gibt auch noch andere Schwierigkeiten; denn natürlich sollte uns der Staat dafür entschädigen; doch in dieser Lage ist es schon schwer für die Wirtschaft, zumindestens das zurückzugeben, was an kirchlichen Gebäuden, an Wald und Land noch besteht, wie das eben auch in der übrigen Welt üblich ist.“

Somit ist die Restitution auch wichtig, um die materielle Lage der Kirche zu verbessern, die mangels Kirchensteuer, in beträchtlichem Maß auch auf private Spenden angewiesen ist:

6) „Es besteht noch immer der evangelische Grundsatz, daß es die Pflicht des Gläubigen ist, Prediger und Priester zu erhalten. Das ist natürlich eine wechselseitige Verpflichtung, denn auch Priester dürfen keinen zu hohen Lebensstandard haben; andererseits verstehen die Gläubigen, daß Priester kein Gehalt haben und nur von dem leben, was sie für religiöse Dienste wie Taufen, Hochzeiten und Trauergottesdienste bekommen.“

Nicht verbessern wird sich durch die Rückgabe die Lage der Kirche im Kosovo, in dem die meisten Kirchen und Klöster der Orthodoxie stehen. Die Albaner sahen in der serbischen Kirche den Träger des serbischen Nationalismus; hinzu kam, daß im Kosovo während der Krise und im Krieg auch viele Moscheen zerstört wurden. Während und nach dem Einzug der NATO zerstörten Albaner auch viele serbischen Kirchen, wobei die Friedenstruppe KFOR auch drei Jahre nach Kriegsende noch immer Klöster und Kirchen bewachen muß. Zur Lage im Kosovo sagt, Pavle, der selbst lange Bischof in dieser Provinz war:

7) „Eine bestimmte Zahl von Albanern arbeitet systematisch auf einen Kosovo hin, in dem es keine Serben und andere Volksgruppen mehr gibt, die im Kosovo gelebt haben. Dieser Plan ist fast vollendet, denn die Serben wurden vertrieben, viele sind Flüchtlinge und es bestehen nur wenige Enklaven im Kosovo. Wir hoffen, daß die modernen Gesellschaften der Welt erreichen, daß alle Flüchtlinge und Vertriebenen zurückkehren und ihr Leben dort fortsetzen können, wo es zu Beginn des Krieges unterbrochen wurde. Das ist die Haltung der Kirche.“

Während die Aussöhnung mit den Albanern nur sehr langsam verläuft, bewertet der Patriarch die Beziehungen zu den anderen traditionellen Religionsgemeinschaften als gut:

8) „Unsere Beziehungen zu den historischen und traditionellen Religionsgemeinschaften wie den Katholiken, den Protestanten, den Muslimen und der jüdischen Gemeinde sind traditionell gut. Besonders in der Frage des Religionsunterrichtes kamen die Vertreter dieser Religionsgemeinschaften zusammen und wir hatten völlig identische Positionen. Das gilt auch für den Einfluß auf unsere Gläubigen, wenn es um Frieden, Freiheit und Demokratie für alle geht.“

Mehrere hochrangige katholische Würdenträger haben seit dem Sturz von Slobodan Milosevic bereits Serbien besucht und sind auch mit Patriarch Pavle zusammengetroffen. Katholiken sind in Serbien eine Minderheit und die Katholische Kirche ist vor allem eine Kirche der nationalen Minderheiten. Spannungen wie in Rußland bestehen in Serbien diesen beiden christlichen Kirchen nicht; trotzdem sind derzeit alle Voraussetzungen für einen all-fälligen Besuch des Papstes noch nicht gegeben; das macht auch Patriarch Pavle deutlich:

9) „Jedenfalls ist die Haltung der Katholischen Kirche die, daß der Papst zwei Säulen der Macht hat, eine politische, denn er ist auch Chef eines kleinen Staates, des Vatikan, und zweitens daß er auch Oberhaupt in religiöser Hinsicht ist. Wird er – sagen wir – in seiner politischen Eigenschaft als Oberhaupt des Vatikan in dieses Land kommen, so ist das Angelegenheit des Staates, darüber zu entscheiden. Wird er kommen, um seine Gläubigen in Belgrad, in der Backa und anderswo zu besuchen, ist das seine Freiheit. Doch unsere Haltung ist, daß ein Treffen und ein gemeinsamer Gottesdienst nicht möglich sein werden; denn es bestehen Vorschriften, daß wir nicht gemeinsam zelebrieren können; doch wir können zu Gott bitten und miteinander sprechen, worüber auch immer und mit wem auch immer. Darüber entscheiden er selbst, ob er kommen und was sein wird. „

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