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Mit der alten serbischen Hymne „Gott der Gerechtigkeit“ been-dete die Allianz DOS vorgestern abend ihren Wahlkampf in Bel-grad. Denn in Serbien gilt eine sogenannte Schweigepflicht, die zwei Tage vor der Wahl beginnt. In der Hymne wird Gott an-gefleht, das künftige serbische Geschlecht zu schützen, zu nähren und ihm Heil zu bringen. Diese Aufgabe wird in Serbien nach der morgigen Wahl die Allianz DOS zu übernehmen haben, die im Parlament sogar über eine Zwei-Drittel-Mehrheit verfü-gen dürfte. DOS-Spitzenkandidat Zoran Djindjic hat Wahlkampf etwa 60 serbische Städte besucht. Seine Wahlkampfbilanz lautet so:
„Wir haben eine andere Strategie gewählt, nicht so groß Kundgebungen, nicht politische Reden, aber Besuche bei denn Wirtschaftsleuten in den Betrieben. Die großen, die Probleme haben, die kleineren, die wir als Träger der Entwicklung sehen. Wir haben in den lokalen Medien Diskussionen über lokale Themen gehabt. Ich glaube, dass es eine angemessene Kampagne war, weil die meisten Menschen sind an den Lebensfragen interessiert. Wie man Finanzwirtschaftskrise, wie man Lebensstandardskrise löst. Die Arbeitslosigkeit ist sehr hoch, die soziale Misere ist sehr groß. Und das sind die Themen, die wir mit den Bürgern besprochen haben während der letzten zehn oder 15 Tagen.“
Somit diente der DOS-Wahlkampf nicht zuletzt dazu, die Bürger über das wahre Ausmaß der Krise zu informieren, in der Serbien steckt. Diese Hinterlassenschaft der Ära Milosevic ist wahr-lich katastrophal, denn Serbien gilt heute als das ärmste Land Osteuropas. So ist der offizielle monatliche Durchschnittslohn binnen 10 Jahren von etwa 7.000 auf 700 Schilling gesunken. Im Gegenzug sind die Erwartungen der Bevölkerung an die neue Füh-rung ebenso hoch wie die grundlegende Skepsis gegenüber Poli-tikern. Symptomatisch dafür ist etwa die Aussage dieser Frau:
„Ich erwarte mir die Fortsetzung, das sich fortsetzt, was wir begonnen haben, aber wir werden sehen. Ich hoffe, sie werden erfüllen, was sie versprochen haben, wie etwa die Erhöhung des Lebensstandards; das ist das Grundlegende für die Bürger, Lebensmittel kaufen zu können.“
Die Skepsis gegenüber DOS zu nähren versucht haben im Wahl-kampf alle anderen sieben Parteien. Dieser Strategie bedienten sich auch die Sozialisten von Slobodan Milosevic und die Serbische Radikale Partei des Ultranationalisten Vojislav Seselj. Sie traten vor allem als Schützer des kleines Mannes auf, wenn sie überhaupt in Erscheinung traten, denn eine um-fassende Wahlkampagne führte de facto nur die Allianz DOS. Darüber hinaus ist diese Strategie zweifelhaft, denn Soziali-sten und Radikale saßen in Jugoslawien und in Serbien in der Regierung und werden daher von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung für die Krise verantwortlich gemacht. Trotzdem ist die Anhängerschaft dieser beiden Parteien noch groß genug, um den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde und damit den Einzug ins serbische Parlament zu schaffen. Alle anderen Parteien dürften zumindest nach Ansicht der Meinungsforscher an dieser Hürde scheitern.
Die Allianz DOS wird somit nach dem morgigen Wahltag über eine politisch außerordentlich günstige Ausgangslage verfügen. Denn im Gegensatz zu vielen anderen Reformstaaten Osteuropas werden die Kräfte des alten Regimes in Serbien nur ein Schattendasein führen. Scheitern kann DOS somit nur an sich selbst; gerade um das zu verhindern, hat Zoran Djindjic alle wichtigen Politiker dieser 18-Parteien-Allianz in sein bereits weitgehend fest-stehendes künftiges serbisches Kabinett eingebunden. Auch Dragor Hiber, Universitätsprofessor und Nummer vier auf der DOS-Liste glaubt an den Zusammenhalt der Allianz. Trotzdem ist sich auch Hiber der Gefahr bewußt, daß die demokratischen Kräfte in Serbien auch scheitern könnten. Dragor Hiber:
„Es ist zu früh Rumänien mit Serbien zu vergleichen; denn seit dem fünften Oktober sind erst zwei Monate vergangen und wir hatten nicht die Macht in Serbien. Das heißt nicht, daß eine derartige Gefahr nicht besteht. Es gibt warnende Signale, daß einige DOS-Führer, daß sie Serbien auch ohne radikale System-änderungen und Reformen regieren können. Wir müssen wirklich auch in DOS dafür kämpfen, beim Reformkurs zu bleiben.“
Doch unabhängig von der Sisyphos-Aufgabe, die DOS zu bewälti-gen hat, bleibt die historische Bedeutung der morgigen Wahl in Serbien bestehen. Zum ersten Mal in diesem Jahrhundert finden demokratische Wahlen statt; diese bilden gleichsam auch den Abschluß jener demokratischen Revolution in Mittel- und Ost-europa, die mit dem Fall der Berliner Mauer begann. Somit kann eine erfolgreiche Reformpolitik in Serbien dazu beitragen, daß unter dem Dach der EU wieder zusammenwächst, was zu Beginn dieses Jahrhundert in Europa bereits zusammengehört hat.