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Seseljs Heerschau und Den Haag

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Der serbische Ultranationalist Vojislav Seselj hält heute in Belgrad noch ein Mal eine Heer-schau ab. Beim Kongreß seiner Serbisch-Radikalen-Partei wird die gesamte Führung neu bestellt. Anlaß dazu ist, daß sich Vojislav Seselsj am Montag freiwillig dem Haager Kriegs-verbrecher Tribunal stellen wird. Die Anklage hat Seselj erst vor wenigen Tagen erhalten, doch hat er bereits seit Monaten seine Bereitschaft betont, nach Den Haag zu kommen. Von Seseljs Parteitag, über den Inhalt der Anklage und Seseljs Rolle in der serbischen Politik berichtet aus Belgrad unser Balkankorrespondent Christian Wehrschütz:

Der sogenannte „Vaterländische Kongreß“ der Serbischen Radikalen Partei in der gefüllten Belgrader Gewerkschaftshalle dient dazu, die Partei programmatisch und personell auf die Abwesenheit Vojislav Seseljs einzustimmen. Wie sich das Haager Exil auf die straff geführte Partei auswirken wird, ist offen. Seselj ist zweifellos der begabteste Populist Serbiens. Einen Ersatz für ihn haben die Radikalen nicht. Anderseits wird Seselj nicht nur von Haag aus die Partei zunächst weiter führen, sondern auch versuchen, aus dem Prozeß maximales Kapital in Serbien zu schlagen. Seine Anhänger hat Seselj bereits auf längere Abwesenheit eingestimmt:

„dass das Gerichtsverfahren in 12 Monaten oder eineinhalb Jahren beginnt. Wer weiß wann. Normalerweise wartet man ein Jahr, doch da ich bereits genügend Hafterfahrung habe, denke ich, dass mir die Geduld nicht ausgehen wird.“

Diese Hinweis bezieht sich darauf, daß der serbische Nationalist im kommunistischen Jugo-slawien als politischer Gefangener zwei Jahre Haft verbüßt hat. Ob es dieses Mal zur mehr-jährigen Haftstrafe kommt, wird das Verfahren in Den Haag zeigen. Angeklagt ist Seselj für die Teilnahme an einem gemeinsamen verbrecherischen Unternehmen, das Anfang der 90iger Jahre zur Ermordung, Vertreibung und Mißhandlung von mehreren hundert Bosniaken und Kroatien geführt haben soll. Begangen haben sollen diese Taten Milizen, die Seselj und seine Partei formiert und finanziert haben. Weiters soll Seselj durch Reden und durch das Streben nach Großserbien zu diesen Verbrechen beigetragen haben. Neu an der Anklage ist, daß Seselj auch vorgeworfen wird, zur Vertreibung von Kroaten in der serbischen Provinz Vojvodina aufgerufen zu haben. Serbien war kein Kriegsschauplatz, Seselj damals in keiner Machtposition und eine mögliche Verurteilung für Verbaldelikte ist fragwürdig und könnte in Serbien noch viele treffen. Seselj weist jedenfalls alle Vorwürfe zurück:

„Gegen mich kann man keinen Beweis finden, dass ich mich jemals oder gegenüber irgend jemandem zu Kriegsverbrechen bekannt habe, dass ich daran teilgenommen, dass ich dazu aufgerufen oder sie gedeckt habe.“

Bei der Bewertung der Anklage ist jedenfalls auch deren Zeitpunkt zu beachten. So ist frag-würdig, warum das Tribunal nicht vor Jahren aktiv geworden ist. Die Anklage erfolgte erst, als Seselj bei den gescheiterten Präsidentenwahlen in Serbien wieder bis zu einem Drittel der Wähler auf sich vereingen konnte. Seselj wirft denn auch Ministerpräsident Zoran Djindjic vor, die Anklage bestellt zu haben. Von dieser unbeweisbaren Behauptung abgesehen ist klar, daß dem Djindjic-Lager Seseljs Abgang nicht ungelegen kommt. Die soziale Lage ist schwierig, das Reformtempo hat sehr nachgelassen und Djindjic Ansehen hat im Westen gelitten. Doch Seseljs Abgang bedeutet für Djindjic nur ein Atempause. In Belgrad machte Chefanklägerin Karla Del Ponte erst diese Woche deutlich, daß Seselj nur ein kleiner Fisch ist. Vehement gefordert wird die Verhaftung weit größerer Kaliber, die offensichtlich von Teilen Sicherheitsapparates noch immer geschützt werden. Wegen der mangelhaften Zusammenarbeit mit dem Tribunal haben die USA ihre Finanzhilfe und die Unterstützung in den internationalen Finanzinstitutionen bis Mitte Juni eingefroren. Bis dahin muß Djidnjic durch die Umwandlung Jugoslawiens den Sicherheitsapparat so unter Kontrolle gebracht haben, daß der flüchtige bosnische Serbengeneral Radko Mladic und weitere zwei mutmaß-liche Kriegsverbrecher gefaßt werden. Denn schlechte Presse und schleppende Reformen schrecken ausländische Investoren nach wie vor ab. Doch nur sie können die soziale und wirtschaftliche Lage spürbar bessern und damit auch Djindjics politische Zukunft sichern, ganz gleich wie der Prozeß gegen Vojislav Seselj in den Haag auch immer enden mag.
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