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Interview mit Kostunica über Serbien nach der Wahl

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„Stell Dir vor es sind Wahlen – und keiner geht hin !“ Diese Abwandlung eines Zitates von Bert Brecht beschreibt die Lage in Serbien nach der gestern neuerlich an der Wahlbeteiligung gescheiterten Präsidentenwahl. Denn in Europa dürfte es kaum ein zweites Land geben, daß bereits so oft vergeblich versucht hat einen Präsidenten zu wählen wie Serbien. Denn bereits die Wahl des noch amtierenden Präsidenten Milan Milutinovic kam 1997 erst nach einer Wahlwiederholung zustande. Die Gründe für die damalige Wiederholung waren dieselben, die auch gestern zum Scheitern der Wahl geführt haben: veraltete Wählerlisten, eine gesetz-lich vorgeschriebene Wahlbeteiligung von mehr als 50 Prozent aller Wahlberechtigten sowie Machtspiele der politischen Elite. Diese in der Ära Milosevic nicht besonders verwunder-lichen Umstände, verwundern nunmehr doch in einem Land, das nunmehr den Anspruch erhebt demokratisch zu sein und das nach Europa zurückkehren will. In Belgrad hat unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz hat in einem Exklusivinterview für den ORF mit dem jugoslawischen Präsidenten Vojislav Kostunica über die Lage in Serbien gesprochen und folgenden Beitrag gestaltet:

Vojislav Kostunica dürfte der einzige Politiker Europas sein, der zwei Mal eine Präsidenten-wahl gewonnen hat und dennoch nicht Präsident geworden ist. Wie bereits bei der ersten Wahl ist Kostunica auch gestern nicht an seinen Gegenkandidaten, sondern an der zu geringen Wahlbeteiligung gescheitert. Verantwortlich dafür macht Kostunica jedoch nicht die Serben. Er verweist auf die veralteten Wählerlisten und wirft auch der serbischen Regierung vor, für das Scheitern der Wahl verantwortlich zu sein:

„Einige Parteien haben die Wahlen leider boykottiert oder haben ihr Scheitern mit einem der-artigen Wahlgesetz begünstigt. Es gab ein direkte Propaganda der serbischen Regierung und von Ministerpräsidenten Zoran Djindjic, daß diese Wahlen überhaupt nicht wichtig sind,. daß Erfolg oder Scheitern ebenso egal ist wie ob wir einen Präsidenten haben oder nicht, daß es unwichtig ist, ob wir ihn in zwei oder fünf Monate haben; So hatten wir die Situation, daß die serbische Regierung gegen die Wahlen agitierte, die sie selbst ausschreiben mußte, während Europa, das ein Interesse an der Stabilität Serbiens hat, auf die Bedeutung der Wahlen hin-wies. Diese Botschaft aus Europa war mir wirklich wichtig; doch andererseits entmutigte mich, daß Europa mehr an die Zukunft und die Stabilität dieses Landes denkt als einzelne Leute, die in Belgrad an der Macht sind.“

Zu seiner weiteren Strategie im Machtkampf mit Zoran Djindjic sagt Kostunica:

„Das Scheitern der Wahl bedeutet, daß Probleme auftreten, denn es stellt sich nicht mehr die Fragen nach neuen Präsidentenwahlen, sondern die Frage nach Parlamentswahlen in Serbien. Mir ist klar, daß es der Plan eines Teil von DOS und von Ministerpräsident Djindjic ist, daß es in Serbien gerade zu keinen vorgezogenen Wahlen kommt, sondern daß die Wahl erst im Herbst 2004 stattfindet. Doch dieser Weg zu Parlamentswahlen wird nun nicht aufgeschoben, sondern er wird sich zweifellos beschleunigen.“

Doch es ist fraglich, ob Kostunica im serbischen Parlament genügend Unterstützung bei anderen Parteien findet, um Djindjic zu stürzen. Denn gerade kleinere Parteien fürchten Neuwahlen, mit denen Kostunica auch eine Änderung der Parteienlandschaft erreichen will:

„Mit diesen Wahlen muß in Serbien ein neues Parteiensystem geboren werden. Das derzeitige ist nicht vernünftig, mit dieser großen Zahl keiner, verantwortungsloser Parteien. Man muß einige politischen Gruppierungen und Parteien schaffen, die die weitere politische Entwik-klung Serbiens beeinflussen. Daß ist nötig, weil die Stabilität eines Staates auch von der Natur seines Parteiensystems abhängt. Wenn es zu zersplittert und fragmentiert ist, wenn das ein Haufen von Parteien mit ihren Führern ist, die nichts bedeuten, und selbst im Kreise ihrer Familien keine breite Unterstützung haben, dann gibt es keine Stabilität.“

Seine Forderung nach Neuwahlen begründet Kostunica auch damit, daß die Regierung versagt habe:

„Ein Rechtsstaat ist in Serbien nicht eingeführt worden. Auf wirtschaftlichem und politischem Gebiet sind, sind jene Gesetzte, die eingebracht hätten werden müssen nicht eingebracht worden, das gleiche gilt für die Wahlgesetze . Ein guter rechtlicher Rahmen für mehr Sicherheit in der Wirtschaft besteht nicht. Praktisch gibt es keine Investitionen, die Wirtschaft erneuert sich nicht. Die Privatisierung verläuft sehr langsam außer in den Fällen, in denen praktisch umsonst Vermögen in die Hände von Personen übergeht, die auf äußerst zweifel-hafte Weise zu Geld gekommen sind. Es gibt vieles, was nicht getan wurde, doch mein Hauptvorwurf ist, daß Reformen ohne feste rechtliche Grundlage ebenso wenig möglich sind, wie ohne starke Institutionen. Wir brauchen starke Institutionen und starke Regeln, das alles ist nicht geschehen, obwohl natürlich die Dinge nicht über Nacht geändert werden können. Die Bedingungen sind sehr schwierig, doch auch das was möglich gewesen wäre ist nicht geschehen und das ist meine Hauptkritik.“

Ob diese Kritik in ihrer Schärfe völlig zutrifft ist fraglich; doch sie macht deutlich, daß ein Ausgleich zwischen Kostunica und Djindjic praktisch auszuschließen ist und daß Serbien auch weiterhin mit dem Machtkampf dieser beiden Reformpolitiker wird leben müssen.

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