Jugoslawien Lage
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Berichte Serbien
einzugestehen und zurückzutreten. Aus Belgrad Christian Wehrschütz
Text:
In Belgrad klafft heute nicht zum ersten Mal die Realität des täglichen Lebens und der oppositionellen Medien weit ausein-ander. So lauten die Schlagzeilen der oppositionellen Tages-zeitungen Blic, Danas und Glas: Heute völlige Blockade Serbiens, Serbien umspült von einer Welle des zivilen Ungehorsams sowie Blockaden, Treffen und Streiks. Zumindest in Belgrad ist von dieser Welle bisher eher wenig zu spüren. Der Frühverkehr wird eher durch den Regen, denn durch Blockaden behindert; die Bürger gehen weitgehend wie gewohnt zur Arbeit.
Die Ankündigung eines Oppositionspolitikers, ab heute sieben Uhr früh werde Serbien zum Stillstand kommen, hat sich vorläufig nicht bewahrheitet. Daher ist es auch kein Wunder, daß etwa in Belgrad bisher auch kein massives Polizeiaufgebot u bemerken ist. Bedeutsamer als der Streik der Opposition könnte für Slobodan Milosevic daher der Besuch zweier hochrangiger russischer Diplomaten sein. Vladimir Tschischow und Aleksandr Tolkatsch werden heute mit Vertretern des jugoslawischen Außenministeriums und mit Oppositionspolitikern die Lage in Serbien erörtern. Rußland ist bereit, im Streit um die Anerkennung des Ergebnisses der Präsidentenwahl zu vermitteln. Slobodan Milosevic war dazu bisher nicht bereit. Er setzt auf seinen Sieg im zweiten Durchgang der Präsidentenwahl, den die Opposition boykottieren will, wenn sie ihn nicht verhindern kann.
In den Vororten Brace Jerkovic im Süden und Karaburma im
Ostern versperrten Müllcontainer, Blumenkübel aus Beton und
Baumaterial die Straßen. Auch die wichtigste Einfallstraße aus
dem Westlichen Vorort Zemun war blockiert. Einige Busse umfuhren die Hindernisse und setzen ihren Weg fort. Eine Passantin gab an, sie wisse nichts von einem Generalstreik. "Ich weiß nichts von Protesten, niemand hat uns informiert", sagte Milena Ivanovic, die in der Küche eines Kindergartens arbeitet. So weit sie wisse, würden die Kinder auch am Montag wie gewohnt in die Kindergärten gebracht.
In Belgrad patrouillierten einige Polizeiwagen. Eine Einheit Bereitschaftspolizei hatte in den frühen Morgenstunden das Parlamentsgebäude erreicht. Ansonsten gab es zunächst keine Anzeichen für verstärkte Sicherheitsmaßnahmen. Die Opposition hatte für Montag zu einer Reihe von Protestveranstaltungen aufgerufen.
Die Opposition hatte angekündigt, das öffentliche Leben
Jugoslawiens lahm legen zu wollen. Der Oppositionspolitiker Vuk Obradovic sagte, nur eine Notfallversorgung in Krankenhäusern
und bei der Post bleibe gewährleistet. Milosevic besteht auf
einer Stichwahl am 8. Oktober, während die Opposition angibt, ihr
Kandidat Vojislav Kostunica habe die Präsidentschaftswahl am 24.
September bereits im ersten Wahlgang gewonnen.
Bereits am Wochenende war es zu ersten Streiks und
Straßenblockaden gekommen, an denen sich Tausende Serben
beteiligten. Die Polizei griff nicht ein, umstellte jedoch am
Abend den größten Kohletagebau des Landes in Kolubara, der
bestreikt wird.