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Del Ponte in Belgrad

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Karla Del Ponte, die Chefanklägerin des Haager Kriegsverbrechertribunals für das ehemalige Jugoslawien, kommt heute zu einem dreitägigen Besuch nach Belgrad. Es ist der erste Besuch Del Pontes in Serbien und außerdem ein Besuch, der den politischen Wandel seit dem Ende der Ära Milosevic besonders deutlich macht. In welchem Ausmaß die Chefanklägerin in Serbien tatsächlich wilkommen ist, ist umstritten. Milosevics Sozialisten und die Ultranationalisten sehen im Tribunal einen politischen Gerichtshof gegen das serbische Volk und lehnen jede Zusammenarbeit ab. Zwar spielen diese Parteien in Serbien nun nur mehr eine untergeordnete Rolle, doch auch in der regierenden demokratischen Allianz DOS ist das Haager Tribunal nicht unumstritten. Bestes Beispiel war die anfängliche Weigerung des jugoslawischen Präsidenten Vojislav Kostunica, Karla Del Ponte zu empfangen. Zwar wird nun heute doch ein Treffen stattfin-den, doch aus seiner Skepsis gegenüber dem Haager Tribunal macht Kostnuica auch weiterhin kein Hehl. Über den bevorstehenden Besuch Del Pontes in Bel-grad berichtet aus Belgrad Christian Wehrschütz:

„Hocu, necu, ne mogu, ne znam – ich will, ich will nicht, ich kann nicht, ich weiß nicht“ – so beschrieb die Belgrader Tageszeitung „Danas“ die Haltung des jugoslawischen Präsidenten Vojislav Kostunica zum Besuch von Karla Del Ponte in Belgrad. Für Kostunica selbst war die Optik fatal. Denn seine zunächst verlautbarte Weigerung, die Chefanklägerin des Haager Tribunals zu treffen, erfolgte nur zwei Tage nach seinen Gespräch mit Slobodan Milosevic. Die Kri-tik aus den Reihen der demokratischen Allianz DOS an Kostunica war massiv; denn für den Wunsch Milosevics nach einem Gespräch mit seinem Nachfolger gab es trotz aller Dementis nur eine Erklärung – die Angst vor einer Ausliefer-ung an Den Haag. Nun wird Kostunica die Chefanklägerin Karla Del Ponte doch empfangen, doch seine Skepsis gegenüber diesem Tribunal hat der jugoslawische Präsident nie verheimlicht. So sagte Kostunica knapp nach seiner Nominierung zum DOS-Spitzenkandidaten im August vergangenen Jahres in einem ORF-Interview über diesen Gerichtshof:

„Als Jurist gehöre ich zu jenen die glauben, daß das Haager Tribunal sich durch seine eigene Tätigkeit ein Legitimitätsproblem schafft. Wir sprechen über eine Institution, die in einer Weise funktioniert, in der sie für die Lösung aller Fälle beim derzeitigen Tempo einige Jahrhunderte brauchte. Daher denke ich, daß sich das Tribunal in Den Haag selbst in Frage stellt, ohne noch andere Bereiche zu erwähnen.“

Kostunica verweist damit auf den Umstand, daß das Tribunal seit seiner Grün-dung vor sieben Jahren gerade etwa 100 Fälle bearbeitet aber bei weitem noch nicht abgeschlossen hat. Die Vorbehalte in Serbien gegen das Tribunal sind weit verbreitet. Nicht nur Ultranationalisten und Parteigänger Milosevics sehen im Tribunal einen politischen, anti-serbischen Gerichtshof. Die große Mehrheit der Serben lehnen eine Auslieferung ihres früheren Präsidenten – trotz aller Kritik an Milosevic - ab. Diese Meinung teilen auch Kostunica, der künftige serbische Regierungschef Zoran Djindjic und die Mehrheit der DOS-Führung. Eine Auslieferung vor allem von Milosevic lehnte Kostunica im besagten ORF-Interview mit folgender Begründung ab:

„Es ist eine ungeschriebene Regel, daß in allen Fällen, in denen eine Kooperation mit dem Tribunal zu Instabilität in einer Region führen könnte, es besser ist, die Zusammenarbeit in einigen Fällen einzufrieren, einfach weil Stabilität ein höherrangiger Wert ist.“

Ob die Stabilität Serbiens durch eine allfällige Auslieferung Milosevics tatsäch-lich gefährdet wäre, ist umstritten. Kostunica und Djindjic wollen Milosevic in Serbien vor Gericht stellen, wobei bisher unklar ist, ob sich Milosevic in diesem Fall auch wegen Kriegsverbrechen wird verantworten müssen. Milosevic soll derzeit in einem Gebäude wohnen, das den Streitkräften gehört und von diesen bewacht wird. Einen Prozeß gegen ihn in Belgrad haben serbische Politiker für die kommenden Monate bereits mehrmals angekündigt. Denn vor allem Zoran Djindjic will als künftiger serbischer Ministerpräsident die Gesetzesverletz-ungen der früheren serbischen Führung durch Gerichte ahnden lassen.

In der Allianz DOS ist unbestritten, daß das nunmehrige UNO-Mitglied Jugo-slawien mit dem Haager Tribunal zusammenarbeiten muß, nicht zuletzt weil diese Kooperation von den USA und der Europäischen Union verlangt wird. Weitgehend unbestritten ist auch, daß eine Auslieferung mutmaßlicher serbi-scher Kriegsverbrecher nach der jugoslawischen und der serbischen Verfassung möglich ist; denn diese verbieten nur die Auslieferung an einen fremden Staat, nicht aber an einen Gerichtshof der UNO. Die Art der Zusammenarbeit zwischen Belgrad und Den Haag wird daher vor allem im Falle von Slobodan Milosevic auf politischer Ebene entschieden werden. Nicht ausgeschlossen ist ein Prozeß in Belgrad unter Beteiligung des Haager Tribunals, das demnächst in Belgrad ein Büro eröffnen wird. Als ersten Test für die Kooperation soll Chef-anklägerin Karla Del Ponte Vojislav Kostuniva eine geheime Anklageschriften des Tribunals gegen einen Serben übergeben. Die Existenz geheimer Anklagen wertete Kostunica wörtlich als Schande. Er will im Gegenzug die Chefanklä-gerin mit dem Einsatz uranhaltiger Munition durch die NATO und mit dem angeblichen serbischen Massaker an Kosovo-Albanern in Racak konfrontieren, für das Gerichtsmediziner kein schlüssigen Beweise gefunden haben. In beiden Fällen fordert Kostunica eine Untersuchung durch Den Haag. Trotz aller Vorbehalte und Schwierigkeiten vor allem auf serbischer Seite ist eine Zusammenarbeit zwischen Belgrad und Den Haag unerläßlich. Denn eine dauerhafte europäische Perspektive wird Serbien nur haben können, wenn die Mehrheit der Bevölkerung die Politik von Slobodan Milosevic nicht nur wegen ihres Scheiterns, sondern auch wegen ihrer Ziele und Inhalte ablehnen wird.
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