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Wer machte die Revolution

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Wie spontan sind spontane Volkserhebungen und Revolutionen ? Diese Frage läßt sich grundsätzlich nur schwer und mit gebühr-endem historischem Abstand beantworten. Im Falle der Revolu-tion in Jugoslawien und damit des Sturms auf das Parlaments- und Fernsehgebäude in Belgrad gibt es jedoch bereits jetzt Hinweise, daß neben Spontanität und Volkszorn auch Planung im Spiel war. Eine Schlüsselrolle dabei dürfte der 49-jährige Bürgermeister der serbischen Stadt Cacak, Velimir Ilic gespielt haben. Denn Ilic soll durch eine gründliche Vorbe-reitung einiges dazu beigetragen haben, daß sich der Volkszorn am 5. Oktober gegen 15 Uhr 30 vor dem Bundesparlamentsgebäude auch so richtig entlud. Mit Velimir Ilic hat in Cacak über die Vorbereitung für und die Ereignisse des Revolutionstages unser Jugoslawien-Korrespondent Christian Wehrschütz gesprochen; hier sein Bericht:

Die etwa 130.000 Einwohner zählende Stadt Cacak hat den Ruf, stets in Opposition zu den in Belgrad Herrschenden zu stehen. Das galt für den Zweiten Weltkrieg aber auch für die Cacaker Kommunisten unter Tito und erst recht auch für die Ära von Slobodan Miosevic. Der Bürgermeister der Stadt, Velimir Ilic, zählt zum Urgestein der serbischen Opposition. Cacak regiert er als populärer Ortskaiser seit 1996 mit überwältigender Mehrheit. Als guter Organisator und Aufrührer erwies er sich auch an jenem 5. Oktober als die Allianz DOS zur Massenver-sammlung aufrief, um gegen den Wahlbetrug von Milosevic zu protestieren. An diesem Marsch aus Belgrad nahmen nach Poli-zeiangaben aus Cacak 200 LkW, 159 Autobusse und etwa 200 PkW teil. Transportiert wurden in diesem Großaufgebot, nicht nur einfache Bürger, wie Velimir Ilic erzählt:

„Wir hatten in unseren Reihen Polizisten in Zivil, Fallschirmjäger, Sportler, Boxer, Karatekämpfer, Judokas, Bodybuilder. Das wichtigste war aber, dass wir so viele LKW-Fahrer hatten, di bereit waren, bis zum Ende zu gehen. Und natürlich die Bevölkerung.

Teile der Polizei hatten mit der Opposition schon Tage vor dem Volksaufstand zusammengearbeitet, als es um die Frage einer gewaltsamen Räumung des bestreikten Kohletagebaus von Kolubara ging. Velimir Ilic:

„Die Polizei hat uns in Kolubara sehr geholfen. Sie informierte uns über ihre Befehle, über den Beginn ihrer Aktionen. Und sie sagte was die kritische Masse sei, die wir nach Kolubara bringen mussten, um eine Räumung zu verhindern. So konnten wir über die Medien die Leute informieren. Die Polizei sagte uns auch, dass wir mit schwerem Gerät anrücken müssten und dass die zweite Schicht im Bergwerk bleiben sollte. Ihr braucht mehr Leute, sonst müssen wir handeln, sagte die Polizei. Es war klar, dass sie uns nicht vertreiben, sondern uns helfen wollte.“

„Pobeda ili smrt“ – Sieg oder Tod, lautete die Parole, die Ilic am Tag vor der Revolution bei einer Versammlung ausgab. Was er mit seiner Aktion bezweckte, erklärt Ilic so:

„Wir von Cacak wollten die Initialzündung sein, die die Belgrader motivieren und ihnen ihre Angst nehmen konnte. Wir wollten einfach die ersten sein, die mit den Zusammenstössen begannen und viele Leute mitbringen um Stärke und Macht zu zeigen und zu siegen.“

Nicht eingeweiht war in diese Aktion die Führung der Allianz DOS, den Illic befürchtete, daß Slobodan Milosevic dann seinen Marsch auf Belgrad hätte mit allen Mitteln verhindern wollen:

„Es gab immer einige DOS-Politiker, die sagten, wir müssen alles auf demokratische Weise machen, daher dachte ich, es wäre zu riskant, sie in unsere Pläne einzuweihen, weil wir dann bereits vor unserer Aktion verhaftet worden wären.“

Doch Ilics Rechnung ging auf, wobei die Bürger von Cacak zwar die Speerspitze der Aktion bildeten; doch der Volksaufstand wurde von allen Landesteilen nach Belgrad getragen und der Fahrer jenes berühmten Bagger, der vor dem Bundesparlament und ernsehgebäude die Bresche schlug, stammte aus Belgrad. Warum der Aufstand unvermeidlich war, erklärt der Cacaker Bürger-meister Velimir Ilic so:

„Wir mussten Milosevic unsere Zähne zeigen und ihm sagen, dass er nicht tun kann, was er will. Und das ist das Ende der Geschichte.“

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