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Serbische Reformen Jahrestag

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Berichte Serbien
Vor knapp einem Jahr, am 23. Dezember wurde in Serbien ein neues Parlament gewählt. Nach dem Sturz von Slobodan Milosevic siegte in Serbien ebenfalls die Parteienallianz DOS und vollendete damit den Machtwechsel. Denn in Jugosla-wien liegt die Macht bei den beiden Teilrepubliken Serbien und Montenegro und nicht beim Bundesstaat. Die neue Regierung unter Ministerpräsident Zoran Djindjic trat ein schweres Erbe an. Über die Reformbilanz nach einem Jahr hat unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz folgenden Bericht gestaltet:

Der Sieg der Oppositionsallianz DOS bei der Parlamentswahl am 23. Dezember vergangenen Jahres bestätigte den Willen der Serben nach einer Wende ein-drucksvoll. Die 19-Parteienallianz errang 176 Mandate und damit die Zwei-drittelmehrheit im serbischen Parlament. Ministerpräsident wurde Zoran Djindjic, der ein Reformkabinett bildete und junge westlich orientierte Kräfte zu Minister machte. Dazu zählt auch Finanzminister Bozidar Djelic, der in Frank-reich aufgewachsen ist. Zur schweren Erblast, die Serbien auch ein Jahr nach Milosevic zu bewältigen hat sagt Djelic:

„Heute müssen wir in Serbien einen doppelten Preis zahlen. Den ersten für die Ära Tito, für Kommunismus und Selbstverwaltung, die uns hohe Schulden hinterlassen haben, sowie eine Wirtschaft, die diese Schulden nicht leicht zurückzahlen kann. Den zweiten Preis zahlen wir für Slobodan Milosevic und sein selbstmörderisches Regime unter dem das Bruttoinlandsprodukt auf ein Drittel gesunken ist. Das ist der größte Fall in der Geschichte eines Landes binnen 10 Jahren.“

Diese Tatsache ist auch den meisten Serben bewußt. Wie eine Straßenbefragung in Belgrad zeigt, sind die meisten der Befragten trotz des nach wie vor schlech-ten Lebensstandards entweder noch bereit, der Regierung eine Chance zu geben oder sind mit deren Arbeit eher zufrieden:

„Ich denke, daß in dem Jahr nicht so viel getan wurde, doch wir sollten der Regierung noch eine Chance geben.“

„Es wäre schön, wenn wir einige Änderungen spürten, doch bisher gibt es nichts besonderes. Einige kleine Dinge sind besser geworden.“

„Was soll ich denken, wenn es gleich ist wie früher; für mich ist es dasselbe.“

„Ich denke, es ist sehr gut. Ich denke wirklich, es ist viel besser als es war. Sie bemühen sich sehr stark und daher muß es Ergebnisse geben.“

„Sie haben ausgezeichnet begonnen und ich denke, es wird gut werden. Es wird auf jeden Fall besser.“

Zu den großen Problemen Serbiens zählt auch der Bankensektor in einer tiefen Krise steckt. Neun serbische Banken sind mit 4,3 Milliarden Euro verschuldet und viele Großbetriebe sind veraltet und unrentabel. Angesichts dieser Hypo-thek haben Jugoslawien und Serbien im vergangenen Jahr recht viel erreicht. Jugoslawien kehrte in die UNO und die internationalen Finanzinstitutionen zurück, die Umschuldungsverhandlungen mit dem Pariser Klub wurden abge-schlossen, eine Steuerreform wurde beschlossen und der soziale Friede konnte erhalten werden. Zu den Erfolgen in Serbien zählt der einflußreiche DOS-Poli-tiker Dragor Hiber:

„Sehr wichtig ist das Gesetz über die Arbeit, das die Umwandlung von Un-ternehmen ermöglicht, weil es die dauerhaften Arbeitsbeziehungen verringert, die als sozialistisches Erbe bestanden. Auch das Privatisierungsgesetz ist zu nenne, die ersten Tender wurden ausgeschrieben und erste Resultate erwarten wir für den Frühling.“

Der Budgetentwurf der serbischen Regierung sieht vor, daß die Inflation von heuer 40 auf 20 Prozent im kommenden Jahr sinken soll. Die Löhne sollen nur um diese Inflationsrate und um das erhoffte Wachstum der Wirtschaft von 4 Prozent, insgesamt also um 25 Prozent steigen; nur die Bezüge der etwa 3500 Richter und Staatanwälte sollen auf 500 Euro erhöht werden, nicht zuletzt um auch die Korruption im Justizwesen einzudämmen. 3,5 Milliarden Euro umfaßt das Budget, das für Investitionen nur wenig Platz bietet. Doch die EU hat Jugo-slawien in diesem Jahr pro Monat mit etwa einer Million Euro unterstützt. Die Hausbank der EU, die Europäische Investitionsbank, hat jüngst Jugoslawien einen günstigen und langfristigen Kredit in der Höhe von 66 Millionen Euro gewährt. Denn die Infrastruktur ist in schlechtem Zustand und die EU ist vor allem interessiert, die Verkehrswege zu verbessern. Was mit dem Geld konkret geschehen soll, dazu sagt der Vizepräsident der Bank, der Österreicher Ewald Novotny:

„Konkret geht es um die Transeuropäischen Netze in der Nord-Süd-Richtung. Das heißt die Verbindung Kroatien-Jugoslawien-Griechenland. Und Projekte in der West-Ost-Richtung, das heißt Ungarn zum Meer. Weitere Beispiele sind Flugsicherungsanlagen am Flughafen Belgrad und die Sicherung des Hafens von Bar in Montenegro.“

Nach dem Abschluß der Umschuldungsverhandlungen sind auch Staaten wieder Bereit das Geschäft mit Jugoslawien zu versichern. Zu den ersten zählt Öster-reich, wobei die Kontrollbank als Treuhänder der Republik agiert. Zu den Konditionen sagt Kontrollbankpräsident Rudolf Scholten:

„Es sind politische und wirtschaftliche Risken, die versicherbar sind. Und das dritte ist, dass wir Banksicherheit dabei verlangen. Geschäfte bis zu 500.000 Euro und einer Laufzeit bis zu 12 Monaten sind versicherbar. Das ganze hängt aber davon ab, dass im Einzelfall diese Geschäfte geprüft werden müssen.“

Doch neben diesen positiven Entwicklungen gibt es auch politische Schatten-seiten. Zu nennen ist dabei zunächst das noch immer ungeklärte Verhältnis zwischen Serbien und Montenegro und damit die Frage, ob Jugoslawien als Staat erhalten bleibt. Montenegro ist in der Frage der Unabhängigkeit ge-spalten und auch die Gespräche zwischen Belgrad und Podgorica brachten bisher kein Ergebnis. Nun vermittelt in dieser Frage für die EU Havier Solana, der Vertreter für die Gemeinsame Außenpolitik der Europäischen Union. Zur Dringlichkeit eines Ergebnisses sagt der DOS-Politiker Dragor Hiber:

„Nun wird der März als Deadline für die Gespräche genannt. Doch wir sind bereits jetzt in Verzug mit der Verabschiedung von Republiksgesetzen, weil wir einige Regelungen auf Bundesebene nicht verabschieden können, wie etwa das Gesetz über die Telekommunikation oder über die Frequenzvergabe. Meine Meinung ist einfach, daß mit allem Respekt gegenüber der Bedeutung der Föderation, Serbien nicht ewig warten kann, denn die Reformen werden behindert und daher muß diese Frage endlich mit März gelöst werden.“

Auch ein Gesetz über die Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal konnte deshalb noch nicht verabschiedet werden, denn der pro-serbische Koalitions-partner aus Montenegro ist gegen die Auslieferung. Nun soll auf Bundesebene nur ein Rahmengesetz und auf Republiksebene ein Ausführungsgesetz verab-schiedet werden. Die trotzdem erfolgte Auslieferung von Slobodan Milosevic ließ auch den Machtkampf zwischen dem jugoslawischen Präsidenten Vojislav Kostunica und Serbiens Ministerpräsident Zoran Djindjic offen ausbrechen. Jüngst spielte Kostunicas Partei DSS im serbischen Parlament sogar mit dem Versuch Neuwahlen herbeizuführen, doch die DSS scheiterte an denübrigen DOS-Parteien, die im Parlament noch immer über eine knappe Mehrheit ver-fügen. Im Gegenzug wählte DOS den DSS-Parlamentspräsidenten ab und erste ihn durch eine Frau aus den Reihen der Allianz. Dragor Hiber sieht die Gegen-sätze zwischen Kostunica und Djindjic zwar nicht als derartig große Gefahr, obwohl Neuwahlen natürlich die Reformen um mehrere Monate verzögern würden, doch die internationalen Finanzmärkte beobachten diese Entwicklung sehr aufmerksam. Dazu sagt Rudolf Scholten von der österreichischen Kontroll-bank, der erst jüngst wieder in Belgrad war:

„Aus einem Versicherungsblick, und nur der ist meiner im Moment, ist es auf jeden Fall zu riskant sich auf solche Spiele einzulassen. Das ist mit auch ein Grund, warum wir fürs erste nur kurzfristiges Geschäft versichern und noch nicht mittel- langfristiges Geschäft, dass dann über mehrere Jahre geht. Persönlich glaube ich schon, dass in der politischen Führung Jugoslawiens das Bewusstsein, dass man in der Entwicklung des letzten Jahres, also seit Milosevic abgelöst wurde, dass man damit auf einem sehr teuren Gut sitzt. Dass man einer – ich sage es jetzt ganz salopp – innenpolitischen Spielerei wegen dieses teure Gut nicht riskieren sollte. Aber eine Lehre aus der Geschichte ist, dass Vernunft nur eine von mehreren Kategorien ist.“

Vernunft ist jedoch eine Eigenschaft, die die serbische Führung derzeit dringend braucht; denn daß das kommende, zweite Jahr der Nach-Milosevic-Ära für Ser-bien entscheidend sein wird, davon ist auch Draglor Hiber überzeugt:

„Im größten Teil des ersten Jahres herrscht Enthusiasmus, der durch die Wende erzeugt wurde. Mit der Zeit wird der Enthusiasmus verbraucht und die Bürger wollen mit Recht etwas gefülltere Taschen sehen und einen besseren Standard. Es ist schwer einen besseren Standard für das Jahr 2002 zu versprechen, nur einige Prozente an Wirtschaftswachstum und das ist alles. Aber was wir den Bürgern anbieten müssen ist eine klare Vision künftiger Reformen und einige klarere Perspektiven, wann es wirklich besser wird.“
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