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Milosevic und Den Haag

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Berichte Serbien
Neben der Bewältigung des katastrophalen wirtschaftlichen Erbes, das Slobodan Milosevic hinterlassen hat, mit sich die neue demokratische Regierung auch mit dem persönlichen Schick-sal des früheren jugoslawischen Präsidenten beschäftigen. Im Zentrum steht dabei die Frage, ob Slobodan Milosevic an das Kriegsverbrecher Tribunal in Den Haag ausgeliefert, oder ob ihm in Belrgad der Prozeß gemacht werden soll. Diese Frage hat für Serbien nicht nur eine politische oder moralische, sondern auch eine wirtschaftliche Dimension. Denn die EU und die USA beharren auf einer vollen Kooperation zwischen Belgrad und Den Haag. Die USA haben Belgrad dazu bis 31. März Zeit gegeben, wobei ohne befriedigende Zusammenarbeit mit einem Veto gegen internationale Finanzhilfe gedroht wird. Diese Frist bedeutet jedoch nicht, daß Milosevic bereits bis Ende März an das Tribunal in Den Haag ausgeliefert werden muß. Das Serbien mit der Aufarbeitung der vergangenen 10 Jahr ernst zu machen be-ginnt, zeigt die jüngste Verhaftung des früheren Geheimdienst-chefs, Rade Markovic. Über den Stand der Diskussion in Ser-bien über die Zusammenarbeit mit dem Hager Tribunal berichtet aus Belgrad Christian Wehrschütz:

Text:

Als Karla Del Ponte, die Chefanklägerin des Hager Tribunals, Mite Jänner Belgrad besuchte, hielten sich die Proteste der Bevölkerung in sehr engen Grenzen. Nur etwa 250 Demonstranten kamen, um gegen Del Pontes Anwesenheit zu demonstrieren. Doch auch diese kleine Gruppe war gespalten – in Milosevic-Anhänger und Gegner des Tribunals. Denn nicht nur die Angehörigen der 1.300 im Kosovo vermißten Serben, werfen dem Tribunal eine anti-serbische Haltung vor. Diese Meinung ist in der Bevöl-

kerung weit verbreitet. Daß trotzdem nur so wenige Demonstran-ten kamen lag und liegt daran, daß die Serben derzeit andere, vor allem wirtschaftliche Sorgen haben. Trotzdem wird die Aus-lieferung von Slobodan Milosevic auch von dessen Gegnern in Serbien mehrheitlich abgelehnt, wie eine Straßenbefragung zeigt:

Mann: „Der Prozeß sollte besser hier stattfinden, denn wir haben auch unter Milosevic am meisten gelitten.“

Frau: „Auf keinen Fall in Den Haag.“

Jugendlicher: „Wenn sie einen von uns verurteilen, dann hier“

Doch es gibt auch Gegenstimmen, wie diese Frau: „In Belgrad wird es wieder bestochene Anwälte geben; bei Den Haag ist es klar, wer dorthin geht, kommt nie mehr zurück.“

Weitgehend eindeutig ist die Rechtslage. Denn die serbische und die jugoslawische Verfassung verbieten eine Auslieferung eines jugoslawischen Staatsbürgers nur an einen fremden Staat.

Dragor Hiber, Jurist und Vorsitzender des Justizausschusses im serbischen Parlament, hält daher eine Auslieferung an das UNO-Kriegsverbrecher für möglich:

„Das Tribunal in Den Haag ist ein Organ der UNO. Die Auslie-ferung an Den Haag ist daher keine Auslieferung an einen anderen Staat, sondern an die UNO, deren Mitglied wir sind. Daher ist auch das Tribunal Teil des jugoslawischen Rechts-systems. Denn mit dem Beitritt zur UNO haben wir auch all deren Organe und Entscheidungen akzeptiert. Wir müssen daher auch mit dem Tribunal zusammenarbeiten. So ist meine Meinung, daß keine verfassungsmäßigen Hindernisse für eine Auslieferung bestehen.“

Doch ein Gesetz über die Zusammenarbeit mit dem Tribunal muß Jugoslawien erst ausarbeiten und verabschieden. Dabei sind die

Rahmenbedingungen für die Arbeit des Büros des Tribunals in Belgrad ebenso zu klären wie die Zusammenarbeit zwischen jugo-slawischer Justiz und Polizei sowie den Organen des Haager Tribunals. Dazu zählt auch die Frage des Auslieferungsverfah-rens sowie Teilnahme des Tribunals an Verfahren in Serbien; denn Haager Tribunal kann natürlich ein Verfahren auch an ein anderes Land abtreten; daher ist juristisch nicht ausgeschlos-sen ist, daß Milosevic der Prozeß in Belgrad gemacht wird, wenn das Tribunal zustimmt.

Verschieden sind die Meinungen in der regierenden Parteien-allianz DOS, zum künftigen Schicksal von Slobdan Milosevic, dessen konkreter Aufenthaltsort in Belgrad ebenso unklar ist, wie die Frage, ob Milosevic tatsächlich unter einer Art Haus-arrest steht. Zum Meinungsspektrum in der Allianz DOS, sagt der Vorsitzender des Justizausschusses im serbischen Parla-ment, Dragor Hiber:

„Es gibt viele Strömungen innerhalb von DOS über Parteigrenzen hinweg. Die vorherrschende Meinung ist, das es keine Gründe gibt, eine Auslieferung zu verweigern, aber daß es aus morali-schen Gründen und wegen der Auseinandersetzung mit der Vergan-genheit besser ist, den Prozeß in Serbien durchzuführen. Andere sind der Meinung, daß es einige nicht so bedeutende Hindernisse für eine Auslieferung gibt und daß der Prozeß in Serbien stattfinden sollte. Diese beiden Positionen stehen zwischen den beiden Extremen, wobei die eine Seite auf jeden Fall für und die andere strikt gegen die Auslieferung ist. Wenn Untersuchungen in Belgrad nicht nur für Verbrechen der Nomenklatura, sondern auch wegen Verbrechen eingeleitet werden, die in ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken begangen wurden, wird das eine Bestätigung der beiden vorherrschenden Meinungen sein.“

Unterschiedlich sind auch die Meinungen des jugoslawischen Präsidenten Vojislav Kostunica und des serbischen Minister-präsidenten Zoran Djindjic. Zwar ist auch Djdindic für einen Prozeß gegen Milosevic in Belgrad, doch hat Djindjic das Haager Tribunal nie so massiv kritisiert wie Kostunica. Auch was die Auslieferung von Milosevic betrifft, hat sich Djindjic stets eine Hintertür offen gelassen. So sagte Djindjic auf die Frage, wo Milosevic der Prozeß gemacht werde:

„Ich schätze hier, vor allem.“

Im Gegensatz zu Djindjic hat Vojislav Kostunica das Haager Tribunal auch öffentlich massiv kritisiert. So sagte Kostunica knapp nach seiner Nominierung zum DOS-Spitzenkandidaten im August vergangenen Jahres in einem ORF-Interview über diesen Gerichtshof:

„Als Jurist gehöre ich zu jenen die glauben, daß das Haager Tribunal sich durch seine eigene Tätigkeit ein Legitimitäts-problem schafft. Wir sprechen über eine Institution, die in einer Weise funktioniert, in der sie für die Lösung aller Fälle beim derzeitigen Tempo einige Jahrhunderte brauchte. Daher denke ich, daß sich das Tribunal in Den Haag selbst in Frage stellt, ohne noch andere Bereiche zu erwähnen.“

Kostunica verweist damit auf den Umstand, daß das Tribunal seit seiner Gründung vor sieben Jahren gerade etwa 100 Fälle bearbeitet aber bei weitem noch nicht abgeschlossen hat. Der jugoslawische Präsident zählt denn auch zu den erklärten Gegnern einer Auslieferung von Slobodan Milosevic. Vojislav Kostunica:

„Es ist eine ungeschriebene Regel, daß in allen Fällen, in denen eine Kooperation mit dem Tribunal zu Instabilität in einer Region führen könnte, es besser ist, die Zusammenarbeit in einigen Fällen einzufrieren, einfach weil Stabilität ein höherrangiger Wert ist.“

Ob die Stabilität Serbiens durch eine allfällige Auslieferung Milosevics tatsächlich gefährdet wäre, ist umstritten. Derzeit dürfte die Popularität der neuen Führung noch groß genug sein, um eine Auslieferung auch der Bevölkerung verständlich machen zu können. Ob diese Autorität allerdings auch noch in einigen Monaten besteht, ist fraglich. Denn die Erwartungshaltung der erben auf eine rasche Besserung der Lage ist unrealistisch, so daß Enttäuschung zwangsläufig sein werden.

Doch unabhängig davon ob Kostunica Lagebeurteilung zutrifft, dürfte er eine Auslieferung Milosevics auch ablehnen, weil er dies als nationale Schande für Serbien empfinden dürfte. Dafür spricht auch daß sich Kostunica zunächst weigerte, Karla Del Ponte, die Chefanklägerin des Tribunals in Belgrad zu empfan-gen. Dieses Weigerung wirkte zunächst um so stärker weil der jugoslawische Präsident wenige Tage zuvor mit seinem Amtsvor-gänger Slobodan Milosevic zusammengetroffen war. Als Kostunica dann doch zu einem Gespräch mit Del Ponte bereit war, begrün-dete er seine Kehrtwendung so:

„Ich will mit Del Ponte über ihr ungewöhnliches, in ungewöhn-licher Weise und in agressivem Ton gemachtes Angebot sprechen. Frau Del Ponte spricht davon, mir versiegelte Anklageschriften zu übergeben. Versiegelte Anklageschriften sind einfach eine Schande für alle die wissen, was Recht ist.“

Wie frostig dieses einstündige Treffen verlief, schilderte Karla Del Ponte zum Abschluß ihres Besuches in Belgrad mit folgenden Worten:

„Ich musste zuerst einmal eine halbe Stunde einfach zuhören, was ich eigentlich schon wusste. Denn er hat sich ja auch schon in der Presse geäußert. Ich habe dann versucht, doch zu einem Dialog zu kommen, aber es war eigentlich praktisch nicht möglich. Das war meine Enttäuschung. Meine persönliche Auswertung ist, dass er eigentlich gezwungen worden ist, mich zu empfangen und somit war er ein bisschen verärgert und hat sich so benommen. Aber das war dann ganz anders mit den anderen Behörden und ich bin sehr zufrieden.“

Was die Zusammenarbeit zwischen Den Haag und Belgrad betrifft, muß berücksichtigt werden, daß seit dem Machtwechsel erst knapp sechs Monate vergangen sind. Zehn Jahre Slobodan Milosevic können jedoch nicht über Nacht überwunden werden, zumal auch vielen Milosevic-Gegnern das Bewußtsein dafür fehlt, daß Serben im ehemaligen Jugoslawien und im Kosovo Verbrechen begangenen haben. Trotz aller Vorbehalte und Schwierigkeiten vor allem auf serbischer Seite ist jedoch eine Zusammenarbeit zwischen Belgrad und Den Haag unerläßlich. Denn eine dauerhafte europäische Perspektive wird Serbien nur haben können, wenn die Mehrheit der Bevölkerung die Politik von Slobodan Milosevic nicht nur wegen ihres Scheiterns, sondern auch wegen ihrer Ziele und Inhalte ablehnen wird.

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