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„Dunkelheit am Ende des Tunnels“, so beschrieb die Belgrader Tageszeitung „Danas“ vor einigen den Zustand Serbiens nach der Parlamentswahl am 23. Dezember. Dieser Vergleich hat nichts mit dem Wahlergebnis selbst zu tun; denn das demokratische Reformbündnis DOS hat bei der Wahl die Zwei-Drittelmehrheit gewonnen und Milosevics Sozialisten sowie die beiden ultra-nationalistischen Parteien verfügen zusammen gerade über 30 Prozent der 250 Parlamentssitze. „Dunkelheit am Ende des Tunnels“ bezeichnet viel mehr die angespannte Lage der Strom-versorgung in Serbien. Viele Hauhalte in Serbien sind stundenlang ohne Strom, auch die Industrie leidet unter Strommangel. Der neuen DOS-Regierung unter ihrem künftigen Ministerpräsidenten Zoran Djindjic steht somit eine äußerst schwierige Aufgabe bevor. Denn sie muß das Land von Grund auf erneuern, den sozialen Frieden wahren und die hohen Erwartungen dämpfen, die die Serbien in die Regierung setzen. Über die Ausgangslage und die Ziele dieser Regierung berichtet aus Belgrad Christian Wehrschütz

Text:

Trotz des großen Sieges der Allianz DOS bei der serbischen Parlamentswahl war die Stimmung auch in der Wahlkampfzentrale des demokratischen Parteienbündnisses eher verhalten. Zwar knallten einige Luftballons und auch Sektflaschen wurden ge- öffnet, doch die Stimmung war weit weniger euphorisch als nach dem Sieg von Vojislav Kostunica über Slobodan Milosevic Ende September. Diese Zurückhaltung hatte zwei Gründe: so war die Zwei-Drittelmehrheit für DOS in allen Umfragen vorhergesagt worden. Zweitens weiß DOS um die bevorstehende schwierige Auf-gabe, denn Serbien ist nach 10 Jahren unter Milosevic rui-niert. Für die Haltung der Bevölkerung gegenüber der kommenden DOS-Regierung ist die Aussage dieses Mannes nicht untypisch:

„Ich hoffe, es wird besser. Nach einige Zeit werden wir sehen was die Regierung erreicht hat.“

Weit verbreitet ist allerdings auch eine generelle Skepsis gegenüber Politikern, von der auch die Allianz DOS nicht verschont bleibt. Denn die Serben haben in den vergangenen 10 Jahren vor allem gelernt, ohne den Staat oder am Staat vorbei zu leben und zu überleben. Daher sind auch offizielle Statis-tiken, wonach das Durchschnittseinkommen der Serben bei 700 Schilling im Monat liegt nur bedingt aussagekräftig, trotz der zweifellos großen Armut, von der vor allem viele der 1,5 Mil-lionen Pensionisten und ein großer Teil der etwa 800.000 Flüchtlinge betroffen sind. Der künftige serbische Minister-präsident Zoran Djindjic will der Bevölkerung zunächst ein realistisches Bild von der Lage vermitteln. Bei der Bekämp-fung von Armut und Arbeitslosigkeit setzt Djindjic vor allem auf ausländische Hilfe und Investitionen. Zu seinen vordring-lichsten Aufgaben zählt Djindjic auch .....

“die Bekämpfung der Korruption und der Missstände in der Regierung und im Staatsapparat selbst. Damit die ausländischen Investoren Vertrauen bilden können und damit die Welt nicht enttäuscht wird von dem Gang der Reformen. Dann ist die Priorität, die Gesetzgebung so zu vereinfachen, dass die ausländischen Geschäftsleute sie verstehen.“

Weiters will die künftige Regierung das Steuersystem verein-fachen, einen Rechtsstaat aufbauen, Polizei und Justiz re-formieren sowie durch transparente Institutionen das Ver-trauen der Serben in den Staat stärken. Zu den Grundfragen Serbiens und Jugoslawiens zählt die Klärung des Verhältnisses zu Montenegro, dessen Führung immer stärker nach Unabhängig-keit strebt. Denn die Verfassungen Serbiens, Jugoslawiens und Montenergos widersprechen einander; die Folgen sind ein insti-tutionelles Chaos, eine teuere und bürokratische Verwaltung, die sich vor allem Serbien nicht mehr leisten kann. Zur Klä-rung dieses Beziehungsgeflechts sieht Djindjic drei Möglich-keiten:

„Entweder dadurch, dass eine logische Bundesgesetzgebung gebildet wird oder dass sie verschwindet oder dass der Bund nur zwei, drei Funktionen hat. Oder es werden zwei unabhängige Staaten sein. Aber so, dass wir eine serbische Schattenregierung im Bundesstaat haben, und Entschlüsse nur in Serbien akzeptiert werden, dass sich jugoslawisch nennt. Das kann nicht mehr lange dauern. Weil diese Bundesregierung ist praktisch eine zweite serbische Regierung.“

Die Frage der Unabhängigkeit Montenegros trennt am sichtbar-sten die beiden Spitzenpolitiker der DOS-Koalition Zoran Djindjic und Vojislav Kostunica. Zwar hat Kostunica erklärt, Montenegro könne gehen, so es das wolle; doch befürwortet er grundsätzlich, daß auch die Serbien in einem Referendum zur Zukunft Jugoslawiens befragt werden. Kostunicas Stellungnahme zu Montenegro lautet so:

„Wenn die Mehrheit der Montenegriner bei einem Referendum für die Unabhängigkeit ist, werden wir nicht dagegen sein. Doch in diesem Moment kann die Führung Montenegros nicht mit einem einzigen Wort beweisen, daß irgendeine Art Druck aus Belgrad besteht, der als Rechtfertigung für ein einseitiges Verlassen des Bundesstaates dienen könnte und zwar durch ein Referendum, das nur in Montenegro abgehalten wird. Aber Realität ist Rea-lität und wir sind bereit, diese Entscheidung zu akzeptieren. Doch bei großen politischen Fragen muß man auch an die Folgen denken. Können beispielsweise 150.000 oder 200.000 Bürger die Karte eines Landes ändern und welche Konsequenzen und Auswir-kungen wird die Änderung der Grenzen Jugoslawiens auf die ge-samte Region haben; ich denke hier etwa an den Kosovo, an Mazedonien und Bosnien. Über all das sollte viel mehr nachge-dacht werden, doch ich fürchte, daß die Verantwortlichen in Podgorica das nicht in Rechnung stellen.“

Kostunica ist ein serbischer Nationalist, dem die Existenz einer Art eigenständigen montenegrinischen Identität grund-sätzlich fremd ist. Kostunica stützt sich stark auf die serbi-sche Orthodoxie, die in Montenegro von vielen Bürgern als die Hüterin des großserbischen Gedankens angesehen wird. Hinzu kommt, daß mit der Unabhängigkeit Montenegros oder einer nur losen Union auch die Existenzberechtigung eines jugoslawischen Präsidenten wegfiele.

Im Gegensatz zu Kostunica ist Zoran Djindjic wohl der west-lichste Politiker Serbiens. Djindjic hat lange in Deutschland gelebt und ist sehr pragmatisch. Zwar befürwortet auch er eine Union zwischen Serbien und Montenegro, doch seine Haltung zu Montenegro lautet so:

„Ich glaube nicht, dass wir ein Referendum in Serbien organisieren werden, weil auch umgekehrt könnte es passieren, dass Montenegro und wir zusammen bleiben und Serbien dagegen votiert. Das sind unnötige Komplikationen. Ich würde sagen, wenn die Leute in Montenegro ein Referendum wollen, dann sollen sie das organisieren und wir als Serben werden uns mit dem Ergebnis abfinden.“

Hinzu kommt, daß über Djindjics politisches Schicksal der Er-folg der Reformen in Serbien, aber nicht der Bestand Jugosla-wiens entscheidet. Diese Reformen könnten ohne jugoslawischen Überbau sogar leichter durchzuführen sein, denn die wahre Macht liegt bei den Teilrepubliken und nicht beim Bundesstaat.

Über sein Verhältnis zu Kostunica sagt Djindjic:

„Was Herrn Kostunica und mich angeht: Ich bin eher an einer Modernisierung interessiert. Und ich sehe das größte Problem in einer verfehlten Modernisierung in dieser Region, die durch viele Kriege bedingt worden ist. So dass wir eine zivile Gesellschaft eigentlich nicht ausbauen haben können. Und da ist eigentlich der größte Unterschied zwischen uns, dass sich Zeitmangel als das größte Problem sehe und nicht Geldmangel und wenn sie 100 Jahre in Verzug sind, dann müssen sie diese Geschichte beschleunigen, wenn sie die entwickelten Länder einholen wollen.“

Das Tempo der Modernisierung Serbiens und damit der Reformen wird zu einem weiteren Prüfstein für die Allianz DOS werden. Zwar dürften Unkenrufe über den raschen Zerfall des weltan-schaulich heterogenen Bündnisses verfrüht sein; doch das Tempo der Wirtschaftsreformen ist nicht unumstritten. Denn die Masse der serbischen Großbetriebe ist veraltet, arbeitet nur mit geringer Auslastung und ist unproduktiv. Wie diese Betriebe unter Wahrung des sozialen Frieden und angesichts der Hoff-nungen der Bevölkerung auf ein besseres Leben saniert werden sollen, zählt zu den großen Herausforderungen der Allianz. Als Warnung dient DOS dabei die Entwicklung in Rumänien, wo die demokratischen Kräfte trotz guter Ausgangslage an ihrer eige-nen Unfähigkeit scheiterten. Der Allianz DOS gehört auch der Jurist Dragor Hiber an, der unter anderem für die Funktion einer Art serbischen Volksanwaltes im Gespräch ist. Über die Möglichkeit eines rumänischen Szenarios in Serbien sagt Hiber:

„Es ist noch zu früh, Serbien mit Rumänien zu vergleichen. Doch das heißt nicht, daß eine derartige Gefahr nicht besteht. Es gibt warnende Signale, daß einige DOS-Führer glauben, daß sie Serbien auch ohne radikale Systemänderungen und Reformen regieren können. Wir müssen wirklich auch in DOS dafür kämpfen, auf Reformkurs zu bleiben.“

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