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Kolubara

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Noch vor zwei Wochen hätte wohl kaum eine Bürger außerhalb Serbiens und Jugoslawiens mit dem Namen Kolubara etwas anfangen können. Geändert hat sich das schlagartig mit dem Berginn der demokratischen Revolution in Jugoslawien, als das Bergwerk zum Bollwerk des Widerstandes gegen den Wahlbetrug von Slobodan Milosevic wurde. Die Kumpel des größten serbi-schen Kohletagebaus traten in den Ausstand, noch ehe die Opposition zum Generalstreik aufrief. Sie forderten unter anderem die Anerkennung des Wahlsieges von Vojislav Kostunica über Slobodan Milosevic und ließen sich durch keine Drohungen der politischen Führung einschüchtern. Christian Wehrschütz hat sich in Kolubara umgesehen und folgende Reportage gestaltet:

Text:

Der Kohletagebau Kolubara, knapp 60 Kilometer südlich von Belgrad, bildet die Basis für 60 Prozent der serbischen Strom-versorgung. Doch nicht die wirtschaftliche Bedeutung Kolubaras machte den Streik der Bergleute für Slobodan Milosevic so gefährlich; weit größer war der symbolische Wert des Streiks für die Opposition. Denn zum ersten Mal unterstützen nicht nur Bürger, Studenten und Intellektuelle, als Städter, die Sache der demokratischen Opposition, sondern auch Arbeiter.

Daß die Bedeutung Kolubaras für die jugoslawische Revolution nun mit der Rolle gleichgesetzt wird, die die Danziger Werft-arbeiter in Polen spielten, liegt an den Ereignissen des vierten Oktober. An diesem Tag befehlen Sonderpolizisten den streikenden Kumpel, das Areal des Kohletagebaus zu räumen, greifen jedoch nicht zur Gewalt. Binnen weniger Stunden mobilisieren Streikende und Opposition zehntausende Bürger, aus der Stadt Lazarevac und aus anderen Orten, die das Gelände besetzen. Sie bereiten dem Spitzenkandidaten der Opposition, dem nunmehrigen jugoslawischen Präsidenten Vojislav Kostunica, einen begeisterten Empfang:

„Ich werde solange mit euch sein, bis wir endgültig das verteidigt haben, was wir am 24.September errangen. Gibt es etwas, das mehr Achtung verdient, als wenn das arbeitende Volk von Kolubara sich erhebt, um eigene Wählerstimmen zu verteidigen, das es redlich bei den Wahlen gewann.“

Einen Tag später bricht in Belgrad und in ganz Serbien die Re-volution aus. Doch Kolubara ist und bleibt das Symbol des siegreichen Widerstandes gegen Slobodan Milosevic. In Kolubara beschreibt der 39-jährige, groß gewachsene Miodrag Rankovic, der Vorsitzende des Streikkomitees, die gefährlichsten Stunden des vierten Oktober:

„Die kritischste Phase war, als die Polizei kam. Das war für mich persönlich der schwierigste Moment, als ich über das Schicksal von unseren Arbeitern und möglicherweise ganz Serbiens entscheiden mußte. Denn ich habe mit dem Polizeioffizier gesprochen und er sagte mir, die Polizei würde auf jeden Fall ins Bergwerk marschieren. So haben wir sie

hereingelassen. Denn wir waren sicher, daß sie nicht in der Lage sein werden, die Produktion zu starten.“

Trotz der politischen Forderung nach Anerkennung des Wahler-gebnisses hatte und hat der Ausstand, der noch nicht völlig beendet ist, primär wirtschaftliche Motive, die sich gegen die serbische Verbundgesellschaft EPS, den Eigentümer Kolubarars richten. Etwa 1800 Schilling verdient jeder der 7500 Berg-leute, durchschnittlich pro Monat; bei den anderen Mitar-beitern des Konzern ist das Gehalt sogar um ein Drittel niedriger. Gefordert wurde von den Streikenden daher vor allem die Abschaffung zweier Abgaben, und zwar die der Fernsehgebühr sowie jener Abgabe, die seit dem Kosovo-Krieg für den Wieder-aufbau des Landes bezahlt werden muß. Weiters verlangten die Streikenden den Rücktritt des gesamten EPS-Vorstandes. Ein Großteil dieser Forderungen wurde schon erfüllt; doch trotz einer französischen Soforthilfe von umgerechnet drei Millionen Schilling, werden viele wirtschaftliche Probleme bleiben. Dessen ist sich auch der neue Generaldirektor von Kolubara „Vladan Jovicic“ bewußt:

„Das Bergwerk Kolubara kann nicht rentabel arbeiten, weil es jahrelang den elektrischen Strom zu einem Preis von 0,5 Pfennig je Kilowatt produzierte. Bekannt ist, daß in Europa ein Kilowatt 11,7 Pfennig je Kilowatt im Durchschnitt kostet. Offenbar hat das Bergwerk nur gearbeitet, um sozialen Frieden zu wahren. Für die einen haben wir Strom produziert und für uns die Dunkelheit. Die größten Probleme sind in den

Betrieben, bei der Tagesförderung, bei der Verarbeitung, dem Kraftwerk. Die einzige Voraussetzung für ihre Lösung ist frisches Geld, das für die Erneuerung und Inbetriebnahme aller dieser Objekte investiert werden muß. Wir müssen einigermaßen für den Winter vorbereitet sein, weil im Winter der Energieverbrauch viel größer ist.“

Jovic, der von Vojislav Kostunica als neuer Kolubara-Manager eingesetzt wurde, ist auch Mitglied des Gemeinderates von Lazarevac, in deren Gemeindegebiet der Kohletagebau liegt. Die Stadt selbst hat 30.000 Einwohner, das gesamte Gemeindegebiet fast doppelt so viele. Lazarevac ist weitgehend vom Bergbau abhängig; daher spiegelt auch der Gemeinderat, der sich jüngst konstituierte, die politischen Veränderungen wider, für die die Kumpel gekämpft haben. Eröffnet wird die Sitzung vom 65-jährigen Djavic Tomislav Strmovo, dem ältesten Gemeinderat, der einen der beiden Sitze der Serbischen Erneuerungsbewegung inne hat. Ebenfalls zwei Mandate hat ein Bürgerkomitee, 26 Sitze haben Milosevics Sozialisten, doch die absolute Mehrheit stellt Kostunicas Allianz DOS mit 31 Mandaten. Bei der Wahl des Bürgermeisters gibt es sogar nur einen Kandidaten, den DOS-Politiker Jelenka Micic. Er wird mit 47 von 58 abgegebenen Stimmen zum Büprgermeister gewählt. Von Beruf ist Micic Bergwerks-Ingenieur. Zur Bedeutung seiner Wahl sagte er:

„Das Wichtigste ist, daß wir nach 45 Jahren zum ersten Mal im Gemeinderat eine demokratische Macht erhalten haben.“

Direkt übertragen hat die Gemeinderatssitzung der Sender Radio-Lazarevac. Er besteht schon seit 20 Jahren, sendet ein 24-stündiges Programm und hat fünf Journalisten. Über die Eigentümerverhältnisse sagt die Koordinatorin des Senders: Ljiljana Obradovic:

„Der Eigentümer von Radio Lazarevac ist der Gemeinderat mit 51

Prozent. Doch die Gemeinde deckte nur 17bis 20 Prozent der Ausgaben für die Rundfunkstation. Für alles andere mußten wir aufkommen. Unser Einkommen wurde zum Teil durch Spender gedeckt aber auch durch Tätigkeit, die außerhalb des Informationsbereichs lagen, und dies waren Anzeigen und andere kommerzielle Einnahmen die ein Radiosender erwirtschaften kann.“

Werbung ist somit für Radio-Lazarevac eine wichtige Einnahme-quelle. Angepriesen werden Haushaltsgeräte ebenso wie der neuerste amerikanische Film der im Kulturzentrum der Stadt gezeigt wird. Doch auch die „Vesti“, die Nachrichten kommen nicht zu kurz; Aufmacher ist an diesem Tag natürlich die Neu-wahl des Bürgermeisters. Ljiljana Obradovic hat an diesem Tag bereits mehrere ausländische Journalisten empfangen, die nun das berühmte Lazarevac mit seinem Kolubara besuchen. Sie sieht die urpsrünglichen Gründe des Streiks vor allem in wirtschaft- lichen Motiven, die sich dann mit politischen verbunden hätten. Den Vergleich zwischen Kolubara und der Danziger Werft hält sie trotzdem für gerechtfertigt. Wird Kolubara in 20 Jahren auch das Schicksal der Werft teilen, die geschlossen wurde? Ljiljana Obradovic:

“Der Fall ist nicht gleich, aber es gibt Ähnlichkeiten mit dem Osten Europas. Das Bergwerk Kolubara war Teil des allgemeinen Protestes, der ganz Serbien erfaßt hatte. Dann ist Kolubara zum Epizentrum zum Mittelpunkt der Geschehnisse geworden. In diesem Sinne existiert sicher eine Ähnlichkeit mit der Werft in Danzig. Ich glaube nicht an eine Schließung; wir sind härter; das was Kolubara hat ist Kohle, diese Kohle

gab es vor 50 Jahren und die Kohlereserven reichen noch für 50 Jahre. Daher werden auch wir weiter bestehen.“

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