× Logo Mobil

Medien in Serbien

Radio
RÖI
Berichte Serbien
Unter Slobodan Milosevic waren das staatliche Fernsehen ein Instrument der Propaganda und die oppositionellen Medien in Serbien Repressionen und Schikanen ausgesetzt. Mehr als zwei Jahre nach Milosevics hat sich das Bild deutlich gewandelt, doch viele Probleme sind geblieben und neue hinzugekommen. Zu den Problemen zählt etwa die große Medienviel-falt, das mediale Chaus, denn in Serbien gibt es mehr als 300 TV-Stationen und weit mehr als 1000 Radiosender. Die überwiegende Mehrheit hat keine Lizenz. Um diesen rechtlosen Zustand zu beenden hat das serbische Parlament vor sechs Monaten ein Gesetz über die Verbreitung von Radio und Fernsehen verabschiedet. Doch die Kommission, die über die Lizenz- und Frequenzvergabe entscheiden soll ist bisher nicht gebildet worden. Unser Balkankorrespondent Christian Wehrschütz verfolgt die Lage der Medien in Serbien bereits seit mehr als drei Jahren und hat folgenden Bericht gestaltet:

Bei der Revolution am fünften Oktober 2000 stürmten Demonstranten nicht nur das Bundes-parlament, sondern auch das staatliche serbische Fernsehen RTS. RTS war das Propaganda-instrument von Slobodan Milosevic; trotzdem oder vielleicht gerade deswegen wurde das staatliche Fernsehen von den Folgen von Milosevics Politik und Niedergang massiv ge-troffen, wie die Bilanz des amtierenden RTS-Direktors Alexander Crkvenjakov zeigt: (1)

„In die Fernsehtechnik wurde zehn Jahre nichts investiert; da sie sich alle zwei bis drei Jahre ändert, haben wir drei Generationen verloren. Durch die Nato-Bombenangriffe 1999 hatten wir 16 Tote und materiellen Schäden von 500 Millionen Dollar. Im Jahre 2000 bei der Revolution am 5. Oktober wurde Ausrüstung im Ausmaß von 2,5 Millionen Euro gestohlen. Gemessen an unseren derzeitigen monatlichen Einnahmen von 3,5 bis 4 Millionen Dollar heißt das, daß der Umfang der Schäden Einnahmen von 100 bis 120 Monaten entspricht.“

Hinzu kam der massive Vertrauensverlust, die Abwanderung der besten Mitarbeiter und der Verfall des journalistischen Niveau. Mit dieser Entwicklung war auch das Flaggschiff unter den Printmedien, die Tageszeitung „Politika“ konfrontiert. Herausgeber Darko Ribnikar sagt zu den Folgen der Ära Milosevic (2):

„In der Ära Milosevic ist der Journalismus nicht nur bei der „Politika“, sondern in ganz Serbien verkommen. Artikel wurden auf Anweisung geschrieben, Herausgeber wurden angerufen oder sie bekamen einfach den Befehl, was und wie zu schreiben sei. Reden von Politikern wurden einfach abgeschrieben, so daß eine ganze Generation junger Journalisten verkommen ist. In der Politika haben wir große Anstrengungen unternommen, sie zu retten und zu guten Journalisten zu machen und wir waren wirklich erfolgreich damit. Jene die zu weit gegangen sind, üble Kommentare, Artikel oder Lügen geschrieben haben, zogen sich langsam aus dem Journalismus zurück und bei uns gibt es sie nicht mehr.“

Die Kurzsichtigkeit der Politik Milosevics zeigt sich auch daran, daß sein Regime die spärlichen Mittel nicht dazu nutze, um wenigstens die gleichgeschalteten Medien vor dem Niedergang zu bewahren. Dazu zählte auch die Tageszeitung Vecernje Novosti. Deren Chef-redakteur, Manojlo Vukotic, beschreibt die Ausgangslage nach der Revolution und die Ent-wicklung der vergangenen zwei Jahre so: (2)

„Als ich am fünften Oktober hierher kam hatte Vecernje Novosti keine 15 Computer. Heute hatt das ganze Unternehmen mit seinen 500 Mitarbeitern ein Computersystem, Foto-apparate, Kameras etc und wir haben viel Geld investiert. Wir hatten Erfolg mit Hilfe von Krediten, doch wir können wirklich von unseren Einnahmen leben und daher haben wir die Chance, eine unabhängige Zeitung zu sein. Wir Fragen nicht nach Spenden, Budget oder Geld.“

Vecernje Novosti und Politika zählen zu den wenigen Medien in Serbien, die das Schlimmste hinter sich haben. Beide Zeitungen haben das Vertrauen der Leser weitgehend zurückgewon-nen. Vecernje Novosti ist mit 300.000 Exemplaren täglich die auflagenstärkste Tageszeitung, die Einnahmen aus Werbung und Anzeigen decken bereits wieder ein Drittel der Kosten. Noch rosiger ist die Zukunft der Politika, die kommendes Jahr ihr einhundertjähriges Be-stehen feiern wird. Denn bereits vor einem Jahr hat die WAZ, die Westdeutsche Allgemeine Zeitung, beim Verlag Politika 50 der Anteile übernommen. Das Erscheinungsbild der Qualitätszeitung wurde verbessert, in Druckerei und Technik wurde investiert, die Verluste drastisch gesenkt und das Anzeigengeschäft nimmt stark zu. Politika liegt mit einer Auflage von mehr als 100.000 Stück hinter Vecernje Novosti und der Tageszeitung Blic an dritter Stelle. Zur Lage dieser beiden Zeitungen sagt Serbobran Brankovic vom Meinungsforschungsinstitut Gallup:

„Am meisten gelesen wird Blic, das etwa ein Viertel der Serben lesen. An zweiter Stelle liegt Vecernje Novosti. Diese Zeitung hat zwar die höchste verkaufte Auflage, wird also stärker gekauft als Blic, doch Blic wird mehr gelesen. Das heißt. Blic ist näher dem Konzept einer Familienzeitung, einer kauft sie, doch zu Hause lesen sie auch alle anderen.“

Blic wahrte in der Ära Milosevic politische Distanz, profitierte vom Niedergang von Vecernje Novosti, hat aber nun mit rückläufiger Auflage zu kämpfen. Trotzdem ist Blic die einzige, einstmals regimekritische Tageszeitung, deren Zukunft gesichert sein dürfte, denn auch bei Blic ist deutsches Kapital präsent. Doch dem Markt mit seinen etwa zehn Tages-zeitungen steht ein massiver Konzentrationsprozeß bevor, der durch die schwierige soziale Lage noch beschleunigt wird. Tageszeitungen kosten 15 Dinar, das sind etwa 25 Cent. Doch mit diesem Preis können nur auflagenstarke Medien leben. Unter die Räder kommen könnte so manches Milosevic-kritisches Medium, das in dessen Ära kaum Entwicklungschancen hatte und von ausländischer Unterstützung lebte, die nun immer geringer wird. Dazu könnte auch die linksliberale Tageszeitung Danas zählen, deren Auflage bei 35.000 Stück liegt. Ihr Herausgeber Radomir Licina sagt zu den Folgen der Marktkräfte: (3)

„Die Einnahmen durch Zeitungsverkauf und Werbung sind vier bis fünf Mal kleiner als in Europa, während die Kosten, abgesehen von den Gehältern, gewöhnlich fast an europäisches Niveau heranreichen. Am meisten sagt die Tatsache aus, daß Zeitungen die viel größer als Danas sind, bereits zwei bis drei Monaten vergeblich versuchen, sich auf eine gemeinsame Preiserhöhung auf 20 Dinar zu einigen. Doch die gibt es nicht, weil es keine wagt, wissend, daß sich das auf die Auflage niederschlagen würde, die nicht so groß ist und bei praktisch allen Zeitungen fällt. Denn eine große Zahl von Bürgern wird ärmer und ist vielleicht übersättigt mit all dem, was in den vergangenen 10 Jahren geschehen ist.“

Während die Zeitungslandschaft in Serbien vor allem mit dem Markt zu kämpfen hat, kämpfen viele elektronische Medien damit, daß die Regierung von Ministerpräsident Zoran Djindjic die Folgen der Ära Milosevic noch nicht beseitigt hat. Das gilt auch für den TV-Sender B-92, dem Vorkämpfer für ausgewogenen Journalismus in Serbien. Von Milosevic massiv schikaniert, kämpft B-92 auch heute noch mit den Folgen dieser Ära, wie dessen Chefredakteur Veran Matic betont:

„Nach dem 5. Oktober wurde der Zustand aus der Ära Milosevic eingefroren Somit sind die Medien, die unter Milosevic privilegiert waren noch immer privilegiert und jene, die be-nachteiligt waren, sind noch immer diskriminiert. Der großen Zahl unabhängiger Medien gab Milosevic keine Lizenz oder Frequenz. Das hat auch das neue Regime nach dem 5. Oktober nicht getan, so daß die Diskriminierung andauert. Andererseits wächst die Zahl der Radio und TV-Stationen täglich. Es gibt mehr als 1200 in Serbien, allein in Belgrad können 85 Radio-Sender empfangen werden. Unter diesen Bedingungen kann man nach keine Regeln funktionieren oder Regeln des Spiels aufstellen. Eine Stadt wie Belgrad braucht nicht mehr als 15 bis 20 Radiosender.“

Zwar hat das serbische Parlament schon vor sechs Monaten ein Gesetz über die Verbreitung von Radio und Fernsehen beschlossen. Zwar ist damit eine völlige Entpolitisierung nicht gelungen, trotzdem ist das Gesetz ein wichtiger Fortschritt in Richtung Demokratisierung. Darin vorgesehenen ist eine vom Parlament zu wählende Kommission, die über die Vergabe von Frequenzen entscheiden soll; doch diese Kommission ist bis heute nicht gebildet. Die Folgen dieses Versäumnisses beschreibt Veran Matic so:

„Wäre die Kommission gebildet und unabhängig, müßten alle Lizenzen wieder hinterfragt werden. Alles würde von Null beginnen und ein wichtiges Kriterium ist das Verhalten der Medien in der Ära Milosevic, das heißt wie viel Medien zur Demokratisierung beigetragen oder in welchem Umfang sie der kriminellen Politik von Milosevic geholfen haben. Daher fürchten viele,sie würden keine Lizenz bekommen und ihnen paßt das Chaos so lange wie möglich. Doch auch den Machthabern kommt die Situation entgegen, in der es leicht ,ist die Medien zu beeinflussen.“

Verzögert wird durch die fehlende Umsetzung des Gesetzes auch die umfassende Reform des staatlichen Fernsehens RTS. Geplant ist, den dritten Kanal zu privatisieren und eine Rund-funkgebühr ein zu heben. Trotzdem steht RTS mit seinen fünf TV- und sechs Radiopro-grammen noch heuer ein massiver Personalabbau bevor. Vor allem durch Ausgliederungen soll die Zahl der Mitarbeiter von derzeit 6900 auf weniger als 4000 bis Jahresende sinken.

Diese schwierige Lage darf nicht darüber hinweg täuschen, daß der journalistische Standard gestiegen ist und die Hauptnachrichtensendung von RTS die meist gesehene Serbiens ist. Neben RTS zählen die Privatsender BK und TV-Pink zu den wichtigsten TV-Sendern des Landes. Deren Eigentümer nutzen ihre politischen Verbindungen in der Ära Milosevic aber auch ihre unternehmerischen Fähigkeiten. Vor allem TV-Pink ist eine hochmoderne Anstalt mit 500 Mitarbeitern. Finanziert wird der Sender fast ausschließlich durch Werbeeinnahmen; sie stammen zu 80 Prozent von ausländischen Firmen, denn in Serbien ist der Werbemarkt wegen der Wirtschaftskrise nach wie vor schwach. TV-Pink ist dabei in die Nachbarstaaten zu expandieren, hat aber auch noch andere Pläne, wie Eigentümer Zeljko Mitrovic betont:

„Derzeit strahlen wir vier Satellitenprogramme über acht verschiedene Satelliten aus und das ist auch eine unserer Hauptstoßrichtungen. Das Zentrum für dieses Geschäft ist aber nicht in Belgrad, sondern in Wien; dort entwickelt die Media-System-Gesellschaft mit unserer Lizenz Satellitenprogramme. Sie versucht so viele Konsumenten wie möglich zum Abonnement unseres Satellitenprogramms zu gewinnen, wobei das Programm speziell auf diese Seher-gruppe abgestimmt ist.“

TV-Pink ist auch der einzige serbische TV-Sender, der eine Lizenz für Montenegro bekom-men hat. Alle anderen Ansuchen serbischer Medien lehnte Montenegro ab, das gemeinsam mit Serbien nach der Umwandlung Jugoslawiens nun einen losen Staatenbund bildet. Haupt-grund für den Widerstand gegen serbische Medien sind Konkurrenzängste. Mit 660.000 Ein-wohnern ist Montenegro sehr klein, hat aber mehrere TV-Sender und Tageszeitungen. Sie werden in Serbien noch weniger zur Kenntnis genommen als serbische Zeitungen in Monte-negro. Zoran Predic, vom Belgrader TV-Sender Politiker, ist jedenfalls skeptisch, was die Bildung eines gemeinsamen Medienraums betrifft:

„Einen gemeinsamen Medienraum wird es erst geben, wenn es einen gemeinsamen Staat geben wird. Doch ich bin Pessimist; denn so wie das geregelt wurde, ist das nicht mit der Absicht geschehen, einen gemeinsamen Staat zu schaffen, sondern in den kommenden zwei, drei Jahren eine friedliche Trennung herbeizuführen. Es liegt nicht im Interesse jener, die die eine oder andere Republik führen, einen gemeinsamen Medienraum oder einen gemeinsamen Staat zu schaffen.“

Pessimist ist Predic auch, was eine rasche Neuregelung der Sendefrequenzen in Serbien betrifft. Er rechnet mit einem langwierigen politischen Tauziehen zwischen den verschie-denen Parteien und auch den Sendeanstalten. Trotzdem hat sich die Lage der Journalisten gegenüber der Ära Mlosevic drastisch verbessert hat. Journalisten werden nicht mehr bedroht, freie Meinungsäußerung ist möglich und das repressive Informationsgesetz wurde abgeschafft. Ausgebaut wurde und wird auch die Berichterstattung in den Sprachen der nationalen Minderheiten. Die Regierung Djindjic hat nun einen Entwurf über ein Informationsgesetz vorgelegt. Nach amerikanischen Muster, sollen Journalisten und Bürger ein Recht haben, von Behörden Auskunft zu verlangen. Doch auch dieses Gesetz wird erst wirken, wenn sich die Mentalität vieler Beamten geändert hat und die derzeit geringe Effizienz der Gerichte beseitigt ist. Somit ist Serbien mit vielen Mühen aber doch auf dem langwierigen Weg zur europäischen Normalität. Darauf verweist auch Alexander Crkvenjakow, der zu politischen Interventionen beim staatlichen Fernsehen RTS sagt:

„Wo immer ich meine Kollegen in Radio- oder Fernsehstationen in Europa besucht habe, kamen wir bei diesem Thema zu denselben Schlußfolgerungen, daß es überall mehr oder weniger dassselbe ist. Bei den einen ist es stärker, bei den anderen schwächer, doch das gehört zum journalistischen Alltag, daß jemand dir Informationen aufdrängen will. Das geschieht in der BBC oder beim ORF oder hier, das ist natürlich, daß Politiker versuchen, Informationen zu verkaufen. Doch es liegt an Herausgebern und Journalisten, damit professionell umzugehen und nur das heraus zu filtern, was wichtig und nützlich für das Programm ist.“

Doch Ausgewogenheit und Objektivität ist nicht nur in Serbien ein mühsames Geschäft, sondern in vielen anderen Ländern auch, die eine weit demokratischere Vergangenheit haben. Das gilt auch für das Verhältnis zwischen Politkern und unabhängigen Journalisten. Denn nicht nur in Serbien sind auch demokratischen Politikern beeinflußbare Journalisten lieber als jene, die in schweren Zeiten Standfestigkeit und Unabhängigkeit bewiesen haben.

Facebook Facebook