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Interview Sandjak Mufti

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Der Sandjak zählt zu den besonders schönen aber auch kulturgeschichtlich besonders interes-santen Region Jugoslawien. der Sandjak ist zwischen Serbien und Montenegro geteilt und grenzt außerdem noch an Bosnien-Herzegowina, Albanien und den Kosovo. Das Gebiet mit der Hauptstadt Novi Pazar ist etwas kleiner als Kärnten und zählt zwischen 440.000 und 600.000 Einwohner. Zwischen 60 und 65 Prozent von ihnen sind Muslime. Genauere Zahlen gibt es nicht, denn die bisher letzte Volkszählung fand vor zehn Jahren statt. Der blutige Zerfall des alten Jugoslawien hat auch die Bevölkerungsstruktur des Sandjak verändert, denn Tausende Muslime wanderten aus. Der Vorsitzende der muslimischen Gemeinschaft des Sandjak ist Muamer Efendi Zukorlic. Der Mufti ist 31 Jahre alt und hat seinen Sitz in Novi Pazar, der Hauptstadt der Provinz. Mit ihm hat unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz in Novi Pazar das folgende Gespräch geführt:

Muamer Efendi Zukorlic hat sein Studium des islamischen Rechts in Algier im Jahre 1993 abgeschlossen. Trotz seiner erst 31 Jahre ist der Mufti eine Mann mit Ausstrahlung, groß-gewachsen, mit ruhiger Stimme und klaren Aussagen. Die Änderungen des religösen Klimas seit dem Surtz von Slobdan Milosevic bewertet Zukorlic positiv. Trotzdem leide auch die islamische Gemeinschaft des Sandjak noch immer unter den Folgen nicht nur der Ära von Slobodan Milsoevic sondern auch des Tito-Kommunismus. Negativ sieht der Mufti in diesem Zusammenhang nicht nur das atheistische Erbe; auch die Mischehen aus dieser Zeit, die auch im Westen als Zeichen des Ausgleichs verstanden wurden, bewertet Muamer Efendi Zukorlic anders:

1) Mischehen waren vor allem eine Praxis des Kommunismus; das negative an derartigen Ehen war, daß sie politisch forciert wurden. Das waren keine natürlichen Ehen zwischen zwei Menschen, die entschieden eine Ehe zu schließen, sondern das war ein Trend der von der Politik und den Medien gewollt wurde. Wenn ein Muslim politisch vorwärts kommen wollte, so konnte dessen Fortkommen mit einem Fragezeichen versehen sein, denn eine gewisse unterbewußte Angst vor Muslimen bestand. Wenn dieser Muslim dann beweisen wollte, daß er nicht gefährlich für die Gesellschaft war, dann heiratete er eine serbische oder montenegrinische Frau und das erleichterte sein Karriere. Doch offensichtlich war das etwas Nicht-natürliches und viele dieser Ehen dauerten nicht lange.

Zu den grundlegenden Veränderungen nach dem Ende des Kommunismus und des Sturzes von Slobodan Milosevic zählen nicht nur ein viel freieres religiöses Klima, sondern auch die Wiedereinführung des Religionsunterrichtes in Serbien, der im Herbst an den Grundschulen beginnen wird. Zum Verhältnis zwischen Religionsgemeinschaft und serbischen Unterrichts-ministerium sagt der Mufti:

2) Die religiösen Gemeinschaften schlagen das Personal, die Lehrer, die Unterrichtsprogram-me und natürlich auch die Religionsbücher vor. Das Unterrichtsministerium hat diese dann zu bestätigen. Natürlich kann das Ministerium im Rahmen seiner Zuständigkeiten, wie etwa bei pädagogischen Fragen Vorschläge machen, doch es kann sich nicht in religiöse Belange einmischen, für die die Religionsgemeinschaften ausschließlich zuständig sind.

Bedarf hat auch die islamische Religionsgemeinschaft noch an Religionslehrern:

2) Mit dem Lehrpersonal das wir haben, werden wir die Bedürnisse für dieses Jahr decken können. In den kommenden Jahre wird unsere Islamische Pädagogische Akademie, bei der die Ausbildung zwei Jahre dauert, die erste Generation an Religionslehrern hervor-bringen. Und auch bereits jetzt kommen Studenten zurück, die wir an verschiedene Universitäten, vor allem aber nach Sarajevo geschickt haben. So werden wir den Bedarf decken können.

Die Beziehung zwischen Novi Pazar und Sarajevo sind erst seit drei Jahren wieder aufgebaut worden. Denn der Zerfall des alten Jugoslawien und die Kriege führten auch dazu, daß die engen Bindungen zu der islamischen Gemeinschaft in Bosnien unterbrochen wurden. Zum Verhältnis zwischen Novi Pazar und Sarajevo sagt Muamer Efendi Zukorlic:

2) Wir sind in gewisser Weise eine islamische Gemeinschaft innerhalb der islamischen Gemeinschaft mit dem Zentrum in Sarajevo, zu der auch die Muslime aus Kroatien und Slowenien gehören. Doch wir haben ein hohes Maß an Autonomie, vor allem was unsere innere Organisation und unsere Arbeit betrifft. Der Reis Ulema in Sarajevo repräsentiert für uns daher die höchste religiöse Autorität und ist für uns das höchste geistige Symbol, während Fragen wie die Erziehung, humanitäre und zeremonielle Arbeit in unsere Zuständigkeit in Novi Pazar fallen.

Bei dieser Arbeit in Serbien hat die islamische Gemeinschaft auch mit Alltagsproblemen zu kämpfen, denn die Muslime sind eine Minderheit, der Anliegen im täglichen Leben nicht immer ausreichend berücksichtigt werden können. Als ein Beispiel dafür nennt der Mufti etwa den Wehrdienst muslimischer Jugendlicher:

2) In der Armee besteht die Verpflegung möglicherweise aus wirtschaftlichen Gründen zu 90 Prozent aus Schweinefleisch oder aus Nahrungsmitteln, die derartiges Fleisch enthalten. Nach unserer Religion sind derartige Speisen streng verboten. Ein muslimischer Soldat, der seiner Wehrdienstverpflichtung nachkommt, kann somit dieses religöse Gebot nicht befolgen. Das ist ein großes Problem.

Zu den Problemen zählt auch die islamische Kleidung und zwar insbesondere das Kopftuch bei Frauen. Denn das Innenministerium in Belgrad verlangt von allen Staatsbürgern, daß auf Paßbildern das Gesicht klar zu erkennen ist. Das betrifft auch Serben, deren Haartracht bei der Aufnahme des Fotos gewissen Mindestanforderungen entsprechen muß. Bei muslimischen Frauen, kann das bei der Paßkontrolle jedoch zu Problemen führen, sagt der Mufti in Novi Pazar:

3) Frauen, die ein Kopftuch tragen und ein Paßfoto ohne Kopftuch gemacht haben, haben ein Problem an der Grenze. Denn der Beamte hat das Recht zu verlangen, daß die Frau das Kopftuch abnimmt, damit er sie mit dem Foto im Paß vergleichen kann; auch das ist er-niedrigend für den Gläubigen.

In der Ära Milosevic und während des Krieges in Bosnien wurde nicht nur in Serbien die Angst vor einem islamischen Fundamentalismus in Europa geschürt. Der Mufti lehnt diesen Begriff grundsätzlich ab. Zum Verhältnis zwischen der islamischen Welt und Eurpa sagt er:

7) Es ist ein Tatsache daß die Mehrheit der islamischen Welt lange Zeit vom Westen kolonisiert wurde. Das hinterließ schwere Folgen und spaltete die Gesellschaft in zwei Teile. Der eine ist prowestlich, der ohne Zweifel einfach alles akzeptiert was aus dem Westen kommt. Diese Gruppe bezeichnet sich selbst als Säkularisten und vertritt eine extreme Position. Wir haben auch die andere, und zwar jene, die den Westen und alles was er hervorbringt wegen des Kolonialismus ablehnen. Sie repräsentieren das andere Extrem und lehnen am Westen nicht nur seine Mängel sondern auch seine Vorteile ab. Natürlich ist das auch das Ergebnis eines gewissen Minderwertigkeitskomplexes, der ein Ergebnis des Kolonialismus ist. Und daher besteht dieses Gerede vom Wir und Europa.

Dieser Komplex existiere jedoch bei den Muslimen im Sandjak nicht und zwar auch selbst dann nicht, wenn in dieser Region in der politischen Terminologie von Europa als etwas anderem gesprochen werde. Dieser Gegensatz besteht vielleicht in einigen zivilisatorischen Gesichtspunkten, wenn von Demokratie, Wirtschaft und einigen anderen sozialen Bezie-hungen die Rede ist. Doch, so der Mufti:

Aber wir sind Europa, und wir sind in Europa. Möglicherweise sind wir bei der Entwicklung am Balkan oder in Osteuropa zurück; doch das ist ein Erbe des Kommunismus und wir müssen uns beeilen, diesen Rückstand aufzuholen. Aber wir kommen nicht aus dem Nichts. Wir stammen aus diesem Land, wuchsen da hinauf, haben kein anderes und verstehen dieses Land als unser Land. Und wir sind Bürger Europas. Daher schöpfen wir unseren islamischen Glauben ausschließlich aus seinen göttlichen Quellen, dem Koran und der Sunna. Daher sind für uns die traditionellen und kulturellen Werte Saudi-Arbaiens, des Iran, Algeriens und Ägyptens nicht wichtig. Sie sind nur bedeutsam nur im Sinne eines kulturellen Austausches; aber wir haben nicht die Absicht, sie zu oder sie anzuwenden. Wir sind Europäer und daher akzeptieren wir alles, was nicht im Widerspruch zu unseren religiösen und moralischen Prinzipien steht.

Zum Kurs der Muslime im Sandjak sagt Muamer Efendi Zukorlic daher:

Wir steuern einen mittleren Kurs zwischen diesen beiden Extremen, einen Kurs, den ich als Korrekt gegenüber dem Westen bezeichnen möchte. Daher respektieren wir alle Werte, die der Westen repräsentiert. Wir denken sogar, daß technologischer und wissenschaft-licher Fortschritt eine tiefe Grundlage im Koran hat. Denn die erste Sure des Koran, der erste Satz, der von Gott zu den Muslimen kam lautet: Lerne im Namen des Herrn deines Schöpfers. Das ist eine Grundlage für uns alle. Was wir aber als Muslime niemals akzeptieren können, sind Dinge die mit der moralischen Dekadenz des Westens zusammenhängen; sie ist ein Produkt der sexuellen Freizügigkeit zum Beispiel, betreffen aber auch die Breiche Aids und Drogen. Wir denken, daß diese Dinge die westliche Zivilisation in eine Sackgasse geführt haben. Und wir könne niemals zustimmen, daß dies ein positiver Wert ist. Daher steuern wir diesen mittleren Kurs. Das was im Westen gut ist, sollen wir übernehmen als und bewahren als etwas Wertvolles; was gemeinsam ist und gemeinsam sein sollte. Was negativ ist und unseren religiösen und moralische Prinzipien widerspricht, das gehört nicht zu uns, und das werden wir niemals akzeptieren.

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