× Logo Mobil

Milosevic und Den Haag

Radio
Mittags Journal
Berichte Serbien
Beim Kriegsverbrechertribunal in Den Haag wird bereits alles vorbereitet, um für die Auslieferung von Slobodan Milosevic gerüstet zu sein. Beträchtliche Umbauarbeiten sollen in dem Zellentrakt vorgenommen worden sein, der Milosevic beherbergen soll. Das Tribunal könnten tatsächlich unmittelbar vor der Erfüllung seines größten Traums stehen, denn die Führung in Belgrad hat am Samstag eine Verordnung beschlossen, mit der Milosevics Auslieferung möglich wird. Seine Anwälte in Belgrad sprechen von „Rechtspiraterie“, denn ihrer Ansicht nach ist diese Verordnung verfassungs- und gesetzwidrig. Was denkt nun die Bevölkerung darüber und welche Entwicklung ist in den kommenden Tagen u erwarten. Dazu hat Christian Wehrschütz in Belgrad folgenden Beitrag gestaltet:

Text:

Unsicher und unwissend, ablehnend und hilflos aber auch zustimmend, so reagieren Belgrad auf die Frage nach der bevorstehenden Auslieferung von Slobodan Milosevic an das Kriegsverbrechertribunal:

1) „Das ist eine sehr schwierige Frage. Ich bin gegen die Auslieferung an Den Haag, aber wenn einen die großen Mächte unter Druck setzen, dann gibt es kaum einen Ausweg.“

2) „Die einen Juristen sagen, das ist völlig verfassungswidrig, die anderen sagen es ist verfassungskonform; was soll ich da als Laie sagen.

Vor allem die Objektivität des Tribunals bezweifeln viele Serben noch immer:

3) „Ich hätte lieber, daß unsere Leute bei uns vor Gericht stehen und nicht in Den Haag. Das Tribunal hat nichts für uns getan. Sie haben uns bombardiert und zerstört, das ist alles.“

5)„Ich bin nicht für die Auslieferung unserer Leute nach Den Haag, denn das sollte für alle gelten, auch für Kroaten und Slowenen. Es gibt nicht nur einen, der allein an allem schuld ist, was geschah.“

Die Befürworter eine Auslieferung argumentieren so:

4) „Die Auslieferung hätte schon früher erfolgen sollen aber auf andere Weise. Denn jetzt haben wir nur Probleme. Sie erpressen uns damit und wenn wir ausliefern werden sie uns wieder erpressen und alles bleibt beim Alten. Hätten wir das frühere erledigt, so hätten wir auch keine Probleme mit der Bundesre-gierung und der Staat würde normal funktionieren.“

6) „Die Auslieferung muß erfolgen; wir akzeptierten die Verpflichtungen der internationalen Gemeinschaft in dem Augenblick als wir der UNO beitraten; damit akzeptieren wir all das, was mit Den Haag zusammenhängt.“

Gemeinsam ist den meisten Serben jedoch, daß sie nicht bereit sind, für Slobo-dan Milosevic auf die Straße zu gehen. Sie haben andere Sorgen als das Schicksal ihres früheren Präsidenten, der das Land nach mehr als zehn Jahren in katastrophalem Zustand hinterlassen hat. Die Zahl seiner Anhänger, die gegen Haft und Auslieferung protestieren, erreichte bisher bestenfalls einige Tausend und ist somit auf jeden Fall weit geringer als der Bedarf Serbiens an westlicher Finanzhilfe.

Somit bleibt nur mehr der Kampf mit juristischen Mitteln; bereits zehn Anwalts-kanzleien hat Milosevic zu seiner Verteidigung engagiert. Wie Milosevic, der angeblich nur von seiner schmalen Pension als jugoslawischer und serbischer Präsident lebt, diese Rechtsanwälte bezahlen kann, ist offen. Sie haben jeden-falls gegen die Verordnung der Bundesregierung Beschwerde bei Bundesver-fassungsgericht eingereicht. Doch man braucht kein Prophet zu sein, um die Erfolglosigkeit dieser Beschwerde vorherzusehen. Was dann geschieht, dazu sagt, Zdenko Tomanovic, einer von Milosevics Rechtsanwälten:

„Sollte das Bundesverfassungsgericht unsere Verfassungsbeschwerde abweisen, dann haben wir nach dieser Verordnung, die unserer Ansicht nach verfassungs- und gesetzwidrig ist, die Möglichkeit einer weiteren Berufung; und zwar können wir gegen die Entscheidung des Kollegiums aus drei Richtern, berufen, das für die Frage der Auslieferung selbst zuständig ist; dann müssen wir hoffen, daß der Oberste Gerichtshof unsere Beschwere akzeptiert.“

Doch die Rechtsanwälte stehen wohl auf verlorenem Posten und so wird Slobodan Milosevic nach Ablauf aller Fristen, die das Auslieferungsverfahren vorsieht, wohl in spätestens vier Wochen seine Zelle in Den Haag beziehen. Ob damit auch der Aufarbeitung der serbischen Rolle beim blutigen Zerfall Jugo-slawiens gedient wird, steht auf einem anderen Blatt. Denn es ist nicht auszu-schließen, daß das Gefühl der nationalen Schmach überwiegt, oder daß mit der Auslieferung von Milosevic auch die Aufarbeitung der Vergangenheit an Den Haag abgeschoben wird.
Facebook Facebook