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Nicht nur in der Opposition, auch in der Bevölkerung herrscht Unklarheit über die Entscheidung des Bundesverfassungsge-richtes, wie folgende Reaktionen exemplarisch zeigen:
Der Verfassungsgerichtshof hat den ersten Durchgang der Wahl annuliert, das ist soeben in Belgrad im Rsdio bekanntgeben worden. Noch vor dieser Bekanntgabe hat der russischen Außenminister Igor Iwanow; er sagte, der Beschluß gebe dem russischen Präsidenten Putin mehr Zeit, um zwischen Regierung und Opposition zu vermitteln, den nun sei der Zeitfaktor nicht mehr von entscheidender Bedeutung.
Mit dieser letzten Variante rechnet auch ein führender Politiker der Opposition, doch Klarheit gibt es nicht. Die Opposition hatte vor allem die 142.000 Stimmen der Kosovo-Albaner für Milosevic sowie Unregelmäßigkeiten in zwei südserbischen Wahlkreisen beanstandet. Mit Massenkundgebungen, Blockaden und Streiks versucht die Opposition seit Tagen, Slobodan Milosevic zur Anerkennung des Sieges von Vojislav Kostunica zu zwingen. Genau in diesem Punkt setzten die Befürchtngen der Opposition ein; sie sieht in der Gerichts-entscheidung eine mögliche Falle und einen Versuch von Slobodan Milosevic, wieder ein Mal auf Zeit zu spielen, um den Schwung der Demonstrationen zu brechen. Außerdem befürchtet die Opposition, daß die Entscheidung des Gerichts nicht nur zur Beseitigung der nachträglichen Manipulationen, sondern auch zur Aufhebung der Wahl selbst führen könnte, die Kostunica gewonnen habe. Eine Annullierung der Wahl hat die Opposition vom Gerichtshof aber gar nicht beantragt.
Daß die Vorbehalte der Opposition nicht unbegründet sein könnten, dafür gibt es zwei Hinweise: so haben das staatliche serbische Fernsehen RTS und die sozialistische Parteizeitung Politika in großer Aufmachung über die Entscheidung des Ver-fassungsgerichts berichtet. Beide Medien stehen unter der Kontrolle von Slobodan Milosevic.
Gerade die statliche Medien bilden aber auch ein Indiz für die inner Schwäche der politischen Führung des Landes. Bei der Agentur Tanjug unterschrieben 70 Journalisten einen Aufruf für für eine objektive und wahrheitsgemäße Berichterstattung, drei von ihnen wurden suspendiert; Widerstand regt sich auch in jenen Medien, die die politische Führung erst in diesem Jahr wieder unter ihre Kontrolle gestellt hat. Bei der Tageszeitung Vecernje Novosti fordern die Mitarbeiter eine Änderung der Blattlinie und auch beim Belgrader TV-Sender Studio B regt sich Widerstand. Daß die politische Führung ihren Kampf derzeit noch nicht verloren gibt, zeigt wiederum der Umstand, daß der Regierungs-kritische Radiosender Pancevo, den auch Belgrader empfangen können, weiter gestört wird. Außerdem hat die jugoslawische Regierung unabhängigen und oppositionellen Zeitungen vorgeworfen, sie würden Aufrufe zum Umsturz ver-breiten und mit Bestrafung gedroht.
Nicht aufgegeben haben dürfte Milosevic auch den Kampf um den bestreikten Kohletagbau Kolubara südlich von Belgrad. Ein Streikführer wurde in der Nacht festgenommen und heute früh wurde weitere Polizeikräfte Richtung Kolbara in Marsch gesetzt. Die Minenarbeiter sollen mit der Polizei allerdings eine Bannmeile vereinbart haben. Bisher ist die politische Führung vor einem Polizeieinsatz zurückgeschreckt. Denn wie Reaktionen einzelner Polizisten auf und während der Demon-strationen zeigen, kann sich Milosevic der Loyalität der Exekutive nicht wirklich sicher sein. Somit wird auch in dieser Situation sehr viel von der weiteren Reaktion der Bevölkerung nicht zuletzt auf die endgültige Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes abhängen. Die Opposition hat für Nachmittag zu einer Großkundgebung in Belgrad aufgerufen. Aus dem ganzen Land sind bereits Autobuskolonnen nach Belgrad unterwegs. Die Kraftprobe zwischen Regierung und Opposition nähert sich einer entscheidenden Phase.