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Serbien und Wirtschaft

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Morgen vor einem Jahr beendete der Sturm auf das Bundesparlament in Belgrad die mehr als zehnjährige Herrschaft von Slobodan Milosevic in Serbien und Jugoslawien. Während Slobodan Milosevic bereits seit Ende Juni in einer Zelle im Haager Kriegsverbrechertribunal sitzt, hat die nicht mehr ganz so neue demokratische Führung in Belgrad sein Erbe zu bewältigen. Neben den vielen Opfern der Kriege zählt das wirtschaftliche Erbe zur schwierigsten Hinter-lassenschaft der Ära Milosevic. Der serbische Ministerpräsident Zoran Djindjic und seine Regierung haben dieses Erbe vor allem zu bewältigen, denn in Jugoslawien liegt die Macht bei den beiden Teilrepubliken und nicht beim Bund. Über Erfolge, Mißerfolge in Serbien, sowie über die internationale Hilfe seit der Wende hat in Belgrad unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz folgenden Bericht gestaltet:

Ein Jahr nach dem Sturz von Slobodan Milosevic wächst in Serbien die Unzu-friedenheit mit der demokratischen Führung, obwohl die große Mehrheit der Serben keine Alternativen zu schmerzlichen Reformen sieht. So sagt dieser Arbeiter im Braunkohletagbau Kolubara, der vergangenes Jahr gegen Milosevic streikte:

Finanziell ist die Lage gegenüber dem vergangenen Jahr nicht besser aber wir hoffen, daß sie mit der Zeit besser wird. Aber politisch ist es besser, was die menschliche Freiheit und Sicherheit sowie Hilfe und Investitionen betrifft, denn das Land hat sich zur Welt geöffnet. Nichts geht über Nacht.

Doch Wunsch nach rascher Besserung wächst, denn der Arbeiter verdient mit 3500 Schilling im Monat zwar mehr als früher, doch die Teuerungsrate von bis zu 40 Prozent haben die Gehaltserhöhung wettgemacht. Die statistische Wahr-heit in Serbien erläutert Dragi Stojiljkovic vom Statistischen Zentralamt in Belgrad am Beispiel des Warenkorbes, den eine Familie monatlich finanzieren muß, so:

Im Juli betrugen die Kosten für den Warenkorb 11240 Dinar und das Monatsgehalt lag bei etwa 6.000 Dinar. So brauchte man für den Warenkorb etwa zwei Monatsgehälter.

Mit anderen Worten: das offizielle monatliche Durchschnittseinkommen liegt in Serbien bei 1400 Schilling; zum Leben braucht man aber 2.800 Schilling. Ob-wohl Pensionisten und Familien mit mehreren Kindern ein schweres Leben haben, sind die Einkommen vieler Serben weit höher als die Statistik besagt. Warum das so ist, erklärt der Wirtschaftswissenschafter Juri Bajec so:

Unsere Bürger haben einfach zusätzliche Einnahmequellen. Jedes Monat kommen aus Österreich, Deutschland und anderen Ländern große Summen durch Überweisungen von Verwandten und Freunden. Das ist viel Geld. Unsere Schätzungen sagen, daß zwischen 100 und 200 Millionen DM pro Monat als Bargeld kommen. Das ist eine wichtige Quelle zusätzlichen Einkommens.

Hinzu kommen die vielen Verwandten am Land, die ihre Verwandten in der Stadt regelmäßig mit Lebensmittel versorgen. Als weitere Einnahmequelle nennt Juri Bajec:

Die dritte Quelle ist der enorme Umfang der Schattenwirtschaft. Analysen unseres Instituts haben ergeben, daß der Anteil der Schattenwirtschaft am Brutoinlandsprodukt zwischen 35 und 40 Prozent beträgt. Dieser Anteil ist natürlich nicht statistisch erfaßt und wird natürlich auch nicht versteuert.

Die Schattenwirtschaft einzudämmen, zählt zum Programm der serbischen Regierung. Der Kampf gegen den Schmuggel von Treibstoff und Zigaretten zeigt auch bereits Wirkung. Positiv bewerten die Ökonomen auch Budget-disziplin, Privatisierungsgesetz, Steuerreform und Währungsstabilität, die nicht zuletzt durch ausländische Hilfe bewahrt wird. Allein die EU-Kommission hat Serbien seit der Revolution mit mehr als 340 Millionen Euro unterstützt. Jan William Blankert von der EU-Vertretung in Belgrad veranschaulicht diese Summe so:

Als einfache Regel kann man sagen, daß die Hilfe der EU pro Tag und Ein-wohner eine Million Euro beträgt, das sind etwa 14 Millionen Schilling. Ge-leistet wurde diese Hilfe in Form von direkten Energieimporten, Brennstoffe für Strom und Heizung, Ersatzteile für die E-wirtschaft, in Form von Lebensmitteln, Bargeld, Medikamente. Dünger usw.

Bis zum Jahr 2006 soll Serbien pro Jahr von der EU 200 Millionen Euro er-halten; hinzu kommen noch bilaterale Hilfen und Programme der UNO. Doch diese Unterstützung wird nur die gewünschte Wirkung zeigen, wenn der Machtkampf zwischen Präsident Vojislav Kostunica und Ministerpräsident Zoran Djindjic ebenso rasch geklärt wird wie die Frage, ob Montenegro bei Serbien bleibt oder nicht. Als dritten und wichtigsten Faktor, der die Reformen in Serbien hemmt und die Reformbilanz trübt, nennt der Wirtschaftswissen-schafter Juri Bajec

Was uns Ökonomen am meisten stört ist, daß die DOS-Führung das Thema der Wirtschaftsreformen in den vergangenen acht Monaten noch nicht ernsthaft auf die Tagesordnung gesetzt hat Es gibt natürlich einzelne Aktivitäten der serbi-schen Regierung, der Bundesregierung und der Nationalbank. Aber eine einheit-liche Plattform, eine Reformstrategie oder ein Plan, der festlegt, was wann ge-macht wird, fehlen.
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