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Milosevic Strategie in Den Haag

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Drei Wochen dauert nun bereits der Prozeß gegen Slobodan Milosevic in Den Haag. Obwohl Milosevic das Tribunal nicht anerkennt und angeblich auch keine Dokumente des Tribunals liest, hat sich der ehemalige jugoslawische Präsident als außerordentlich gut informiert gezeigt. Auch persönliche Details über Zeugen der Anklage waren Milosevic bekannt. Wie kommt nun Milosevic an seine Informationen, wer bereitet sie für ihn auf und welche Möglichkeiten hat er als Häftling des Tribunals? Zu diesen Fragen hat unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz in Belgrad folgenden Beitrag verfaßt:

„Angriff ist die beste Verteidigung“, nach diesem Motto hat Slobodan Milosevic in Den Haag seine Verteidigungsstrategie bisher gestaltet. Während albanische Zeugen von Vertreibungen und Morden im Kosovo berichten, stellt Milosevic die Ereignisse im Kosovo als Kampf gegen den Terrorismus dar. Dieses Verhaltensmuster ist nicht neu. Neu ist jedoch, mit welchem Detailwissen Milosevic die Zeugen der Anklage zu erschüttern versucht. So fragte Milosevic einen Albaner:

„Ich erhielt gestern Informationen als das Telefon funktionierte, daß zwischen Ihrem Haus und der Bushaltestelle Gebäude des Unternehmens Kosovo-Wein und eine Polizeistation sind, und daß sie von Ihrem Haus die Haltestelle überhaupt nicht sehen können. Ist das wahr ?“

Auch über die Familienverhältnisse der Zeugen zeigte sich Milosevic bisher sehr gut informiert, wie folgendes Beispiel zeigt:

„Wissen Sie, daß der ermordete Polizist Vranovci, den ich gestern erwähnt habe, ebenfalls ein Albaner und auch der Onkel Ihres Verwandten, Naim Berisha, war.“

Klar ist, daß Milosevic allein das umfassende Material des Tribunals nicht bewältigen könnte, um derart vorbereitet zu sein. So sagt der ehemalige Belgrader Richter: Jovan Buturovic:

„Das Material ist so groß, daß, selbst wenn er ein Genie als Anwalt wäre, er das rein physisch nicht bewältigen könnte; denn er kann einfach nicht Zehntausende von Seiten lesen oder sie nur auswählen, oder auf alle Herausforderungen und Beweise antworten, die die Anklage gegen ihn vorlegt.“

Jim Landale, der Sprecher des Tribunals wollte Milosevics Wissen und Strategie nicht kommentieren. Zu seinen Kommunikationsmöglichkeiten sagt Landale:

„Milosevic darf das Telefon benutzen, um mit seinen Mitarbeitern in Belgrad zu sprechen. Er darf Unterlagen erhalten, er kann Dokumente per Fax erhalten oder die an ihn geschickt werden. Sie werden kontrolliert, doch er kann sie erhalten und zur Vorbereitung des Kreuzverhörs verwenden.“

Doch wer schickt Milosevic die Faxe? Milosevic hat sechs Anwälte als Rechtsberater. Hinzu kommt in Belgrad ein Komitee für die Freiheit von Milosevic, das von Mitgliedern seiner Sozialistischen Partei, SPS, geleitet wird. Viele ihrer Funktionäre könnten an der Sichtung von Materialien und an der Sammlung von Informationen beteiligt sein. So sagt der serbische Journalist Nenad Stefanovic:

„Wie ich in der SPS gehört habe, ist versucht worden alle früheren Bürgermeister im Kosovo zu engagieren, die diesen Prozeß mit offenen Augen verfolgen. Sie haben möglicherweise zeitgerecht Kopien der Anklage erhalten. Diese Bürgermeister können ihm helfen, wenn sie erwähnte Namenslisten durchsehen, damit er auf einige Anklagepunkte oder Zeugen reagieren kann.“

Auch in den Niederlanden soll Milosevic über ein Expertenteam verfügen, das alle Papiere sichtet. Die Arbeit dieses Teams soll der flüchtige Sohn Marko Milosevic von Kasachstan aus finanzieren; doch eine Bestätigung dafür gibt es nicht. Auch über die Herkunft der Informa-tionen gibt es nur Spekulationen. So schreibt die Wochenzeitung „Nedeljni Telegraf“ daß Milosevic bereits Ende 1999 noch als Präsident verlangt habe, daß ihm das gesamte Militärarchiv zum Kosovo-Krieg übergeben werde. Von diesen Tausenden Seiten fehlt nun angeblich jede Spur. Außerdem soll Milosevic auf CD ein Kopie des Archivs des serbischen Innenministeriums über die albanische Befreiungsbewegung UCK erhalten haben. Weiters soll Milosevic auch eine 6.000 Seiten umfassende Dokumentation über Verbrechen der UCK verwenden, die Belgrad nach dem Machtwechsel dem Tribunal übergeben hat. Belgrad bestreitet all diese Spekulationen, doch an Milosevics ausgezeichneten Quelle ändert das Dementi natürlich nichts.
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