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Serbien vor der Stichwahl

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In Serbien findet morgen die Stichwahl um das Amt des Präsidenten statt. Zur Wahl antreten der jugoslawische Präsident Vojislav Kostunica und der Reformpolitiker Miroljub Labus. Sie haben im ersten Wahlgang vor zwei Wochen die meisten Stimmen erhalten. Während nach Meinungsumfragen praktisch kein Zweifel am sicheren Sieg von Kostunica besteht ist es zweifelhaft, ob der zweite Wahlgang gültig sein wird. Dazu müssen mehr als die Hälfte aller Wahlberechtigten zu den Urnen gehen. Im ersten Durchgang und bei 11 Kandidaten lag die Wahlbeteiligung nur bei 55 Prozent. Aus Belgrad berichtet unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz:

Am sicheren Sieg von Vojislav Kostunica bei der Stichwahl besteht deshalb kein Zweifel, weil er weit mehr Wählerreserven hat als der Reformpolitiker Miroljub Labus. Kostunica kann auch auf Wähler zählen, die vor zwei Wochen für nationalistische Kandidaten gestimmt haben, die nicht in die Stichwahl gekommen sind. Besonders umworben hat Kostunica die Wähler von Vojsilav Seselj, der mit 23 Prozent nur knapp hinter Labus am dritten Platz lag. Das Verhalten dieser Wähler ist unklar. Denn Seselj hat zum Boykott des zweiten Wahlgangs aufgerufen und seine Wählerschaft ist an sich sehr diszipliniert. Doch der Widerstand gegen eine Wiederholung der Wahl und nicht zuletzt der Aufruf der orthodoxen Kirche, doch zur Wahl zu gehen, könnte auch auf Seseljs Wählerschaft seine Wirkung nicht verfehlen. Unklar ist auch das Verhalten der reformorientierten Labus-Wähler. Labus selbst hat für die Stich-wahl praktisch keinen Wahlkampf geführt; auch Ministerpräsident Zoran Djindjic hat mit mehreren Aussagen indirekt eher zum Wahlboykott aufgerufen. Scheitert die Wahl an der zu geringen Wahlbeteiligung gewänne Djindjic Zeit, denn dann müßte die gesamte Wahl wieder-holt werden. Ist die Wahl gültig und siegt wie erwartet Vojislav Kostunica, so will dieser seinen Hauptgegner Djindjic stürzen und vorgezogene Parlamentswahlen herbeiführen. Daß die Gültigkeit der Stichwahl überhaupt in Frage steht liegt am schlechten Wahlgesetz. Es sieht vor, daß mehr als die Hälfte aller Wahlberechtigten abstimmen müssen, damit die Wahl gültig ist. Von der Wahl praktisch ausgeschlossen sind jedoch Studenten, deren Studienort nicht dem Wohnort entspricht, die vielen Auslandsserben, Diplomaten, Insassen von Kranken-häusern, Bewohner von Pensionistenheimen, viele Invalide und Häftlinge. Denn es gibt weder Wahlkarten noch fliegende Wahlkommissionen. Die auf Wahlbeobachtung spezialisierte Nicht-Regierungsorganisation CESID schätzt diese Zahl auf 500 bis 600.000. CESID-Presse-sprecher Marko Blagojevic nennt jedoch noch ein anderes Manko der Wählerlisten:

„Es ist unmöglich zu schätzen, wie viele Personen von einer in die andere Gemeinde umge-zogen sind, deren Umzug jedoch statistisch nicht bereinigt wurde und die daher in den Wählerlisten beider Gemeinden aufscheinen. Gäbe es eine Kommunikation zwischen den Gemeinden und ein zentrales Wählerverzeichnis, wäre das einfach und das Problem gelöst.“

Das gleiche Problem stellt sich bei Verstorbenen oder Namensänderungen im Falle von Eheschließungen. Selbst nach einer ersten Bereinigung der Wählerlisten sind darin 6,5 Millionen Serben als Wahlberechtigt eingetragen. Die Volkszählung in diesem Jahr ergab jedoch nur knapp sechs Millionen Einwohner in Serbien im wahlfähigen Alter über 18 Jahren. Nicht-Bereinigte Wählerlisten und ein schlechtes Wahlgesetz könnten somit dazu führen, daß Serbien eine Wiederholung der Präsidentenwahl, weitere Monate des Wahlkampf und eine weitere Verzögerung der Reformen bevorstehen.
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