× Logo Mobil

Seselj stellt sich Den Haag

Radio
Früh Journal
Berichte Serbien
Der serbische Ultranationalist Vojislav Seselj stellt sich heute freiwillig dem Kriegsverbrecher Tribunal in Den Haag. Wenn die jugoslawische Fluglinie JAT pünktlich ist, müßte Seselj bereits in der Maschine sitzen, die wochentags um drei Viertel sieben von Belgrad in die Niederlande fliegt. Seselj wird vom Tribunal unter anderem der Beteiligung an Kriegsverbrechen angeklagt. Gestern abend hat Seselj in Belgrad noch ein Mal die Anhänger seiner Radikalen Partei zu einer Kundgebung aufgerufen. Von dieser Versammlung und über die Bedeutung des Abgangs von Vojislav Seselj berichtet aus Belgrad Christian Wehrschütz:

Seine Abschiedskundgebung in Belgrad nutze der Ultranationalist Vojislav Seselj, um seine Radikale Partei zur Geschlossenheit aufzurufen. Bieten doch die gespaltenen Sozialisten von Slobodan Milosevic ein Beispiel dafür, was das Haager Exil eines Parteiführers für dessen Partei bedeuten kann. Seselj betonte, er stelle sich, um die Ehre jener zu verteidigen, die in seinen Milizen in Bosnien und Koratien gekämpft hätten. Nach Ansicht des Tribunals haben diese Milizen hunderte Menschen auf dem Gewissen. Der Ultranationalist weist diese Vor-würfe zurück. Seseljs Gang nach Den Haag erfolgt heute tatsächlich freiwillig. Das etwa ein Jahr alte Gesetz über die Zusammenarbeit mit dem Tribunal ermöglicht nur die Auslieferung der Serben, die zum Zeitpunkt des Gesetzesbeschlusses angeklagt waren. Dazu zählt Seselj nicht, doch wäre er nach der zu erwarteten Änderung des Gesetzes zweifellos ausgeliefert worden. Trotzdem hat sich bisher keine Serbe so schnell gestellt. Der Ultranationalist wurde erst vor einer Woche angeklagt und bereits heute kann ihn das Tribunal in Empfang nehmen. Seselj will den Prozeß nutzen, um in Serbien zu punkten. Der Ultranationalist hat bei den gescheiterten Präsidentenwahlen bis zu dreißig Prozent der Stimmen erzielt. Ministerpräsident Zoran Djindjic kommt Seseljs Abgang gelegen; dessen innenpolitische Rolle wird zwangs-läufig gering sein und die soziale Lage ist noch immer sehr schwierig. Außerdem hat Djindjic selbst begonnen, die nationale Karte zu spielen; er will gemäßigte Nationalisten gewinnen, die bisher seinen Hauptgegner Vojislav Kostunica gewählt haben. Kostunica wiederum dürfte den Abgang Seseljs nutzen, um in dessen Wählerreservoir zu fischen; in Serbien könnten somit verstärkt nationalistische Töne zu hören sein. Außenpolitisch bedeutet Seseljs Gang nach Den Haag für Zoran Djindjic keinen Punktegewinn. Das Tribunal und die USA sehen in Seselj nur einen kleinen Fisch; da weit prominenterer Kriegsverbrecher noch nicht gefaßt sind, haben die USA bis Mitte Juni jede Unterstützung für Serbien eingestellt.

Facebook Facebook