× Logo Mobil

Lage der Frauen und der Bevölkerung in Serbien

Radio
Europajournal
Berichte Serbien
Das medizinische und mediale Rennen um das erste Klon-Baby der Welt hat im Dezember auch Serbien erfaßt. Nach der Behauptung der amerikanischen Raelianer-Sekte, das erste derartige Baby mit Namen Eva sei geboren, meldete sich bei einem Kongreß in Belgrad der italienische Fortpflanzungsmediziner Severino Antinori zu Wort. Antinori gab an, er betreue drei schwangere Frauen, darunter angeblich auch eine Serbin, die ein Klon-Baby austragen würden. Einen Geburtstermin nannte er nicht und ebenso wie die Raelianer-Sekte blieb auch Antinori einen Beweis für seine Behauptungen schuldig. Trotzdem titelte das serbische Wochenmagazin „NIN“ : „Das neue Menschengeschlecht, Severino Antinori auf dem Weg nach Belgrad“. Dort ist Antinori bisher nicht wieder aufgetaucht, dafür wurden in Belgrad erste aussagekräftige Daten der jüngsten Volkszählung veröffentlicht. Das veranlaßte das Magazin „Reporter“ zur Titelgeschichte: „Serbien, ein Land ohne Nachkommen“; denn Serbien leidet an massiver Überalterung und Geburtenschwund. Hoch ist gleichzeitig auch die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche, denn moderne Methoden der Empfängnisverhütung sind in Serbien nicht sehr verbreitet und so ist der Abortus, das gängigste Mittel der individuellen Geburtenkontrolle. Unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz hat sich in Belgrad auf die Spuren Antinoris gesetzt, mit Frauen, Ärzten, Demographen und dem UNO-Kinder-hilfswerk UNICEF gesprochen. Sein folgender Beitrag zeigt ein Serbien zwischen Klon-hysterie, und patriarchalischer Gesellschaft, in der Sex und Aufklärung noch immer Tabu-themen sind:

Text:

Fast zeitgleich mit dem Besuch des umstrittenen italienischen Arztes Severino Antinori An-fang Dezember in Belgrad fand in Serbien auch die Premiere der Krieg der Sterne-Episode „Der Angriff der Klonkrieger“ statt. Darin zeigt Regisseur George Lukas auch eine Armee, die aus dem Erbgut eines Auftragsmörders geklont wurde und schließlich der Dunklen Seite der Macht in die Hände fällt. Doch Serbien ist von einer Klonarmee Lichtjahre entfernt; nicht nur, weil der Gesundheitsminister das Klonen von Menschen Ende Dezember per Verordnung verbot, bis das Parlament ein entsprechendes Gesetz verabschiedet haben wird. Vielmehr be-tont die Ärzteschaft übereinstimmend, daß in Serbien die technische Basis für das Klonen nicht gegeben sei. Doch das Klonen von Menschen wird auch als unerlaubtes Experiment am Menschen betrachtet. In dem Zusammenhang verweist der Gynäkologe Aleksandar Ljubic auf die Erkenntnisse mit dem britischen Klonschaf Dolli:

„Dieses Schaf hatte ein viel größeres Gewicht, es hatte Veränderungen im Gehirn und man fand auch andere Anomalien, die gerade mit dem Prozeß des Klonens zusammenhingen. Das heißt, die technische Methode des Klonens ist noch nicht völlig ausgereift bei Tieren, geschweige denn beim Menschen.“

Massive Zweifel haben die Ärzte nicht nur an der Möglichkeit des Klonens eines Menschen, sondern auch an der Seriosität von Severino Antinori. Nach Belgrad eingeladen wurde der italienische Fortpflanzungsmediziner von Dr. Drazen Milacic, der Antinoris Auftritt so be-schreibt:

„Der Auftritt von Prof. Antinori war kein fachmännischer und seriöser. Über das menschliche Klonen haben wir nichts gehört außer dem ständigen Beharren darauf, daß dieses Verfahren ungefährlich sei, eine Aussage, die ebenfalls nicht durch Fakten untermauert wurde. Auf die Frage, wie er die Geburt des ersten menschlichen Klons beweisen werde, sagt Antinori, die Eltern wollten nicht wissen, daß das Baby geklont sei, und daß das nicht bewiesen würde. Seine Antwort entsprach dem Stil des gesamten Vortrages.“

Drazen Milacic ist nicht nur Präsident der jugoslawischen Gesellschaft für Fertilität und Steri-lität, sondern auch ein Spezialist für künstliche Befruchtung. Deren Zahl schätzt das Gesund-heitsministerium pro Jahr auf einige hundert Fälle, doch genaue Statistiken gibt es nicht. Drazen Milacic schätzt, daß es vor einigen Jahren in Serbien etwa 400.000 kinderlose Ehe-paare gab, wobei bei einem Drittel eine Schwangerschaft nur durch künstliche Befruchtung möglich war. Auf diesem Weg und unter Betreuung von Dr. Milacic hat auch die Belgrader Familie Popovic im Vorjahr Drillinge bekommen. Obrad und Dejana Popovic sind 36, bzw. 37 Jahre alt. Obrad ist Cutter bei einem TV-Sender, hat aber auch eine eigene Firma, bei der Ehefrau Dejana bis zur Geburt ihrer drei Kinder gearbeitet. Acht Jahre haben beide vergebens auf Nachwuchs gewartet und für Therapien etwa 5000 Euro ausgegeben. Die künstliche Be-fruchtung kostete 2500 Euro und war beim ersten Mal erfolgreich. Klonen als Mittel zur Be-kämpfung der Kinderlosigkeit lehnt Dejana jedoch ab:

„Alle anderen Methoden entsprechen in gewisser Weise der Natur, sind nur eine Hilfe für die Natur, während das Klonen eine völlig andere Sache ist mit wahrscheinlich auch anderen Zielen. So habe ich nie daran gedacht, daß das im täglichen Leben annehmbar sein könnte als Lösung etwa für die Sterilität.“

Die fünf Personen umfassende Familie lebt noch in der 60 Quadratmeter Wohnung des Vaters. Finanziell unterstützt wurde und wird die Familie von Verwandten im Ausland. Dejana Popvic:

„Unser Haushaltsbudget geht in der einen oder anderen Weise völlig für die Kinder auf. Es gibt keine Ausgaben für andere Ansprüche. Doch wir haben große Unterstützung von der Tante meines Mannes im Ausland. Das betrifft Babykleidung und deren Ausstattung. Doch allein die Babynahrung, Windeln, und die Kosten für Wasser, Strom usw. sind nun größer und erhöhen somit die gesamten Ausgaben.“

Doch diese hohen Ausgaben kann sich nur eine Minderheit leisten, während die Masse der Serben von der umfassenden Krise der Gesellschaft in der Ära Milosevic massiv getroffen wurde; hinzu kommen nun die Opfer, die die Reformpolitik fordert; all das spiegelt auch die Volkszählung des Jahres 2002 wieder. In den vergangenen 10 Jahren wanderten 400.000 Bürger aus; daß die Bevölkerung mit 7,5 Millionen gegenüber 1991 trotzdem nur geringfügig zurückging, liegt am Zustrom von 580.000 Flüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien und aus dem Kosovo. Mit einem Durchschnittsalter von 40 Jahren liegt Serbien in der weltweiten Altersstatistik auf Platz 10. Jeder vierte Bürger ist bereits älter als 65 Jahre, ein Umstand, der sich in den kommenden 10 Jahren massiv auf Gesundheitswesen, Arbeitsmarkt und Sozialsystem auswirken wird, denn die Tendenz ist steigend. Gesunken sind dagegen die Geburten; sie waren zwischen 1991 und 2002 um 170.000 geringer als die Zahl der Todesfälle. Diesem Trend versucht die Regierung durch Kindergeld entgegen zu wirken. 1000 Euro werden für das zweite und sogar 2000 Euro für das vierte Kind bezahlt. Doch Kinder sind eine lebenslange Investitition und ein Schwangerschaftsabbruch kosten in Serbien 150 Euro. Hoch ist daher in diesen schwierigen Zeiten die Zahl an Abtreibungen, die Mirjana Rasevic vom Institut für Demographie auf 200.000 pro Jahr schätzt:

„Diese 200.000 Abtreibungen pro Jahr bedeuten, daß 150.000 Frauen bereits zum zweiten Mal oder öfter pro Jahr abtreiben. Gleichzeitung bedeuten die 200.000 Abtreibungen auch, daß jede 10. Frau im gebärfähigen Alter jedes Jahr eine Schwangerschaftsunterbrechung durchführt. Der gemeinsame Faktor der hohen Zahl an Abtreibungen in allen ehemals sozialistischen Ländern liegt darin, daß die Liberalisierung des Schwangerschaftsabbruches Mitte der 50iger Jahre erfolgte als es noch keine Antibabypille oder Spirale gab. So wurde die Abtreibung für die Frauen ein Mittel zur Geburtenkontrolle. Hinzu kommt, daß die Trägheit bei uns ein wichtiger Faktor ist gerade beim Fortpflanzungsverhalten. Offensichtlich war es viel schwieriger Pille oder Spirale einzuführen gerade in diesen Ländern.“

Doch nicht nur die soziale Akzeptanz der Abtreibung ist hoch, sondern auch die Unwissenheit über Verhütungsmethoden, wie Mirjana Rasevic betont:

„Ich habe eine Umfrage unter Frauen gemacht, die sehr offen gesagt haben, daß sie 16 oder 30 Abtreibungen hinter sich haben. Sie sehen das als normales Verhalten und als rationale Wahl an, gerade deshalb, weil sie nicht wissen, daß eine moderne, effiziente Verhütung für die Gesundheit unproblematisch ist und daß das die richtige Form der Verhütung ist. Wir haben keinen Sexualunterricht an den Schulen und dieses Thema ist kein Thema im Eltern-haus. Bei uns ist das noch immer ein Tabu. So sind zunächst die weiblichen Jugendlichen und dann auch die Frauen sich selbst überlassen und denken in diesen traditionellen, konserva-tiven Bahnen.“

Diese konservativen Bahnen werden durch den patriarchalischen Charakter der serbischen Gesellschaft verstärkt und gelten auch für das Thema Sex in der Partnerschaft Mirjana Rasevic:

„Die Männer wollen über dieses Thema überhaupt nicht reden. Es ist leichter eine sexuelle Beziehung zu beginnen als über dieses Thema zu sprechen, das ein wesentliche Bestandteil dieser Beziehung ist.“

All diese Faktoren schlagen sich auch im Ergebnis einer Studie nieder, die das UNO-Kinder-hilfswerks UNICEF im August vergangenen Jahres veröffentlicht hat. Überhaupt keine Ver-hütungsmittel verwenden demnach 60 Prozent der 15 bis 19-jährigen und 45 Prozent der 20 bis 24-jährigen Serben. Auch das Wissen über Aids ist gering. Weniger als ein Viertel dieser beiden Altersgruppen gab an, ausreichend über Aids informiert zu sein. Gemeinsam mit UNICEF versucht die Regierung auch hier gegen zu steuern, wie Gesundheitsminister Tomica Milosavljevic betont:

„Wir werden in diesem Jahre intensiv an Beratungszentren für Jugendliche arbeiten, die in den lokalen Gesundheitszentren in den Bezirken untergebracht sein werden und eng mit den Schulen zusammenarbeiten werden. Das ist ein Versuch, einen Ort zu schaffen, wo Jugend-liche Informationen zu Themen bekommen können, die sie bewegen und die sie woanders nicht bekommen können. Dort sollen Jugendliche in dieser empfindlichen Zeit der Pubertät Unterstützung bekommen. Es gibt auch Vorschläge einzelner Parteien, Gesundheitserziehung als eigenen Unterrichtsgegenstand an den Schulen einzuführen. Darunter fiele natürlich zu einem großen Teil auch Aufklärungsunterricht. Doch der erste Schritt werden die Beratungs-zentren für Jugendliche gemeinsam mit UNICEF sein.“

Der Weg zur Änderung der serbischen Gesellschaft wird auch auf diesem Gebiet ein langer sein; einen Anstoß dazu hat auch der Italiener Severino Antinori gegeben. Mit seinem Auf-tritt in Belgrad hat er dafür gesorgt, daß über ein Thema diskutiert wurde, daß sonst in den meisten serbischen Boulevardzeitung nur auf Seite fünf und in halbnackter Form abgehandelt wird.

Facebook Facebook