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Serbien ein Jahr nach Auslieferung

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Berichte Serbien
Über die Auslieferung von Slobodan Milosevic an das Haager Tribunal wurde in Serbien monatelang gestritten. Allen voran der jugoslawische Präsident Vojislav Kostunica, ein serbischer Nationalist, lehnte die Auslieferung als verfassungswidrig ab. Doch sein Gegen-spieler, der serbische Ministerpräsident Zoran Djindjic, entschloß sich schließlich unter dem massiven Druck des Westens zur Auslieferung, um die Finanzhilfe für Serbien nicht zu gefährden. Trotzdem ging die Debatte in Serbien weiter; entschärft werden konnte sie erst mit der Verabschiedung eines Gesetzes über die Zusammenarbeit mit dem Tribunal im Frühling dieses Jahres, dem weitere Auslieferungen folgten. Nicht entschärft hat sich dadurch jedoch der Machtkampf zwischen Kostunica und Djindjic, der Serbien so rasch wie möglich an die EU heranführen will. Dieser Prozeß wird weit länger dauern als die Umwandlung Jugosla-wiens in die „Union Serbien und Montenegro“, die nun bis Jahresende abgeschlossen sein soll. Djindjic drängt auch in diesem Fall auf eine rasche Lösung; denn er weiß, daß politische Unsicherheiten abschreckend auf ausländische Investoren wirken, die Serbien dringend braucht. Doch was hat Djindjic selbst in dem Jahr in Serbien erreicht, das seit Milosevics Auslieferung vergangen ist ? Dazu hat unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz folgenden Bericht gestaltet:

Text:

Der 28. Juni des Jahres 2002, der Veitstag, der größte serbische Feiertag, bestätigte nur das Fiasko, in das die SPS, die Sozialistische Partei von Slobodan Milosevic, seit dessen Sturz unaufhörlich geschlittert ist. Zur Demonstration für ihr in Den Haag sitzendes Idol kam ins Belgrader Stadtzentrum nur ein kleines Häuflein letzter Getreuer. Auch die Lautstärke der Demonstranten konnte nicht darüber hinweg täuschen, daß Milosevic Geschichte ist; zwar hat ihm seine Haltung vor dem Tribunal unter den Serben Sympathien eingebracht, politisches Kapital daraus, kann die SPS nicht schlagen. Denn die Partei ist gespalten, orientierungslos und die Bevölkerung will nach Europa und vor allem besser Leben. Vom himmlischen Ser-bien, das Milosevic vor hunderttausenden Anhängern 1989 am Amselfeld im Kosovo be-schwor, hat sie genug. Auf diese Rede bezog sich am 28 Juni vor einem Jahr auch der ser-bische Ministerpräsident Zoran Djindjic. Die Auslieferung von Milosevic begründete Djindjic damals so:

„Genau vor 12 Jahren an diesem Tag, dem Veitstag, dem größten serbischen Feiertag rief Slobodan Milosevic unser Volk auf das zu verwirklichen, was er die Ideale des himmlischen Serbiens nannte. Das führte zu 12 Jahren Krieg, Katastrophen und zum Niedergang unseres Landes. Die Regierung Serbiens hat sich heute verpflichtet, die Ideale des irdischen Serbiens zu verwirklichen; und zwar nicht so sehr wegen uns, sondern wegen unserer Kinder. Denn mit diesen Entschlüssen retten wir die Zukunft unserer Kinder.“

Doch auch die Ideale des irdischen Serbien sind nicht leicht zu verwirklichen, obwohl Serbien seit dem Sturz von Milosevic 1,2 Milliarden Euro vom Westen, vor allem von der EU, erhal-ten hat. Denn die Ära Milosevic wiegt schwer und der Niedergang hat alle Lebensbereiche erfaßt. Verwendet wurde das erhaltene Geld vor allem für die Verbesserung der Infrastruktur, vom Kraftwerk über das Strom- bis hin zum Verkehrsnetz und zu den Krankenhäusern. Doch der Finanzbedarf ist noch immer gewaltig, denn etwa bei der Elektrizitätsversorgung konnten bisher nur die gröbsten Mängel beseitigt werden. Trotzdem sind die Reformerfolge der serbi-schen Regierung beim Aufbau der Marktwirtschaft am deutlichsten. Die Währung ist stabil, die Inflationsrate niedriger als erwartet, soziale Unruhen wurden bisher vermieden, die Um-schuldungsverhandlungen mit dem Pariser Klub wurden erfolgreich abgeschlossen, die Banken wurden ebenso reformiert wie das Steuersystem, das Arbeitsrecht und das Gesetz über die Privatisierung. Doch die Privatisierung verläuft weit langsamer als erhofft, denn viele Betriebe sind ebenfalls veraltet, nicht konkurrenzfähig und haben viel zu viele Mitarbeiter; die Arbeitslosigkeit ist hoch und das durchschnittliche Monatsgehalt liegt offiziell bei 150 Euro im Monat, während für die Deckung der Bedürfnisse eines Vier-Personen-Haushalts etwa der doppelte Betrag erforderlich ist. Doch die Serben haben gelernt zu überleben. Als Beispiel für das konkrete Überleben der Serben nennt der Ökonom Nebojsa Savic:

Es darf nicht vergessen werden, daß die Städte in Serbien einen starken Rückhalt in den landwirtschaftlichen Regionen haben. Viele werden von ihren Eltern am Land unterstützt und bekommen auf diese Weise landwirtschaftliche Produkte, die Teil ihrer Versorgung mit Lebensmittel sind. Das Verhältnis zwischen dem offiziellen Warenkorb und den Löhnen zeigt daher nicht die wirkliche Lage.

Die wirkliche Lage sieht nach Savics Ansicht so aus:

Serbien steht heute zwischen der Realität eines in den vergangenen 12 Jahren zerstörten Landes, inklusive Sanktionen und Bombenangriffen und anderseits dem Wunsch, zu jener Realität zurückzukehren, wie sie vor 15 bis 20 Jahren herrschte. Damals wurden hier die ersten marktwirtschaftlichen Reformen im Osten eingeleitet. Hier wissen die Menschen, was ein Markt ist. Sie hatten und haben große Erwartungen und wollen zu dem Lebensniveau zurückkehren, das sie hatten. Ich denke, wir sind auf dem richtigen Weg, die Reformen gehen in die richtige Richtung; Natürlich ist noch viel mehr Arbeit notwendig und etwas mehr Geduld.

Daher glaubt Nebojsa Savic auch weiter an die Geduld der Serben und bezweifelt die offiziellen Angaben über Armut und Einkommen:

Ich bin nicht sicher, daß die offizielle Statistik die reale Lage widerspiegelt. In ganz Serbien und in Belgrad gibt es viele, die formell einen Arbeitsplatz haben, aber von anderen Dingen leben. Dort, wo sie angestellt sind, arbeiten sie nicht, bekommen aber einen minimalen Lohn oder sind auf Zwangsurlaub. Doch sie haben ihr Leben selbst in die Hand genommen und leben von anderen Geschäften, legalen oder in der Schattenwirtschaft. Die Aufgabe der Regierung und einer guten Wirtschaftspolitik ist es zu versuchen, diese Schattenwirtschaft in die offizielle Wirtschaft zu integrieren.

Doch diese Integration ist bestenfalls in Ansätzen gelungen. Korruption und Rechtsunsicher-heit sind noch immer weit verbreitet, eine grundlegende Reform der Streitkräfte, des Polizei- und Justizapparates hat bisher nicht stattgefunden. Kein einziger spektakulärer Mordfall aus der Ära Milosevic konnte bisher aufgeklärt werden, im Gegenteil. Erst vor wenigen Wochen wurde einer der höchsten serbischen Polizeioffiziere in der Nacht am Parkplatz vor einem Hotel in Belgrad von zwei gedungenen Mördern erschossen. Das Attentat in Mafia-Manier erregte großes Aufsehen, doch Täter und Hintermänner wurden nicht gefaßt. Der Vorsitzende des Justizausschusses im serbischen Parlament, Dragor Hiber, beschreibt die Lage in Serbien so:

Ich sage gewöhnlich, daß Serbien in Richtung Slowenien und Ungarn unterwegs ist, doch es hat diesen Weg noch nicht wirklich erreicht und steht noch immer an einer Weggabelung. Ich denke, daß es das Ziel der politischen Elite und der Parteien ist, eine rechtsstaatlichen Über-gang nach Europa einzuschlagen und keine von der Mafia geprägte Transition zu zulassen wie in Südost- oder in Osteuropa.

Dieses Ziel und die gemeinsame Position in der Frage der Umwandlung Jugoslawiens in die Union Serbien und Montenegro dürfte der kleinste gemeinsame Nenner sein, der in Belgrad zwischen dem jugoslawischen Präsidenten Vojislav Kostunica und Zoran Djindjic, dem ser-bischen Ministerpräsidenten, noch besteht. Denn die Koalition zwischen den beiden gegen Milosevic, zerbrach endgültig mit dessen Auslieferung. Zwar konnte im Frühsommer beim Gesetz über die Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal ein Kompromiß erzielt werden, dem weitere Auslieferungen folgten; der Konflikt zwischen dem demokratischen Nationa-listen Vojislav Kostunica und dem ungestümen serbischen Reformer Zoran Djindjic verlor dadurch aber nicht an Schärfe, denn trotz aller ideologischen Rhetorik geht es weit weniger um unterschiedliche Reformstrategien, sondern viel mehr um die Macht in Serbien.

Djindjic ist es gelungen den Kontrahenten und seine Partei im serbischen Parlament unter Anwendung höchst fragwürdiger Mittel weitgehend zu entmachten und die Kontrolle über sein heterogenes Parteienbündnis zu behalten. Sein Schicksal werden Erfolg oder Mißerfolg der Reformen in Serbien entscheiden. Djindjic ist weit weniger beliebt als Kostunica, der nach wie vor der populärste Politiker Serbiens ist. Doch auch Kostunica ist im Machtkampf nicht zimperlich. So pensionierte Kostunica in einer handstreichartigen Aktion den Generalstabs-chef der jugoslawischen Streitkräfte, weil dieser zu Djindjic übergelaufen war. Der Macht-kampf ist nicht nur kein Lehrbeispiel in Sachen Demokratie, sondern belastet zunehmend auch die Reformen. Doch es gibt auch einen Bereich, der von der Auseinandersetzung bisher nicht erfaßt wurde, wie Dragor Hiber, Vorsitzender des Justizausschusses im serbischen Parlament, betont:

Es ist war, daß die politische Lage in Serbien immer stürmischer wird. Und es ist wahr, daß Serbien zumindest vor Präsidentenwahlen und möglicherweise auch vor anderen Wahlen steht. Doch bis jetzt ist die Frage der Beziehungen zwischen Serbien und Montenegro, d.h., die Frage des gemeinsamen Staates nicht als Waffe im Kampf zwischen Parteien genutzt worden, die früher die Koalition DOS gebildet haben; und das dürfte auch so bleiben.

Doch selbst wenn diese Umwandlung unter dem Druck der EU gelingt, ist klar, daß nicht nur die Anpassung der serbischen Verfassung an diesen neuen Staat eine sehr langwierige und schwierige Angelegenheit sein wird. Dragor Hiber sieht daher mit gemischten Gefühlen in die Zukunft. Trotzdem zieht Hiber eine im Grunde positive Bilanz:

Ich glaube, daß wir einen unumkehrbaren Prozeß eingeleitet haben, so daß eine Rückkehr zur Vergangenheit unmöglich ist. Natürlich kann über Tempo, über den Weg und Fehler beim Übergang diskutiert werden, doch eine Rückkehr zum früheren Serbien ist gibt es nicht. Das ist wichtig für die Wirtschaft, obwohl wir den Geist der Vergangenheit noch nicht geschlagen haben. Die Vergangenheitsbewältigung ist noch nicht weit genug fortgeschritten und im Be-wußtsein vieler Menschen gibt es noch viele falsche Werte aus der Ära Milosevic.

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