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Der neue Patriarch und seine Herausforderungen

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Im November 2009 verstarb der serbische Patriarch Pavle. Zwei Jahre hatte er in einem Militärkrankenhaus in Belgrad verbracht, so dass die serbisch orthodoxe Kirche weitgehend ohne klare Führung war. Nun hat die Orthodoxie am vergangenen Freitag sogar erstaunlich schnell einen Nachfolger für Pavle gewählt. Es ist dies der Bischof von Nis, Irinej. Trotz seiner fast 80 Jahre gilt er als rüstig und trotz klarer konservativer Ansichten zum Dialog bereit. Auch dem Besuch des Papstes in Serbien steht Irinej positiv gegenüber, wobei der neue Patriarch eine große Zahl an innerkirchlichen Problemen und Herausforderungen geerbt hat. Sie reichen von der Frage der europäischen Integration und dem Kosovo bis hin zur Liturgiereform und zur territorialen Reform der Diözesen. In Belgrad hat unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz folgendes Bild der Orthodoxen Kirchen und ihres neuen Patriarchen gezeichnet.

Berichtsinsert: Christian Wehrschütz

Insert1: 1’22 Patriarch Irinej

Insert 2: 3’02 Patriarch Irinej

Insert 3: 3’40 Zivica Tucic. Christlicher Publizist

Insert 4: 4’31 Patriarch Irinej

Insert 5: 5’15 Patriarch Irinej

Insert 6: 6’04 Patriarch Irinej

Gesamtlänge: 6’49

Kamera: Predrag Crvenkovic

Schnitt: Mica Vasiljevic

Die Inthronisierung von Patriarch Irinej war in Belgrad nicht nur ein religiöses und kirchenpolitisches, sondern ein staatspolitisches Ereignis. Neben allen Religionsgemeinschaften waren der serbische Regierungschef und andere führende Politiker vertreten. 85 Prozent der Bewohner Serbiens sind orthodox, unter den Serben sind es sogar mehr als 97 Prozent. Die Orthodoxie ist der Träger der serbischen Identität, eine Rolle die in Zeiten der Krise besonders wichtig ist. Der neue Patriarch hat daher großes politisches Gewicht. Durch das apostolische Los von einem Mönch aus einem Dreiervorschlag gezogen, gilt Irinej als Mann des Ausgleichs. Sollte tatsächlich nur der Heilige Geist die Hand des Mönchs geführt haben, so hat er wohl die beste Wahl getroffen. Denn Irinej könnte in der Lage sein, zwischen sehr konservativen und reformbereiteren Strömungen zu vermitteln; sie sollen die beiden anderen Kandidaten repräsentiert haben. Offen ist Irinej für Neuerungen. So gab er sogar eine Pressekonferenz, die erste, die je ein Patriarch nach seiner Wahl abgehalten hat. Dabei betonte Irinej seine Rolle als erster unter gleichberechtigten Bischöfen:

„Ich vermag und will nichts an der Kirche vorbei tun. Wir haben erstens die Bischofskonferenz, das ist der Ort für Vereinbarungen und für das Gespräch über alles, was in der Kirche geschieht. Dann haben wir den Synod, der in allen Fragen unmittelbar mit dem Patriarchen zusammenarbeitet. Mehrere Augen sehen die Probleme sicher besser und finden die angemessenste Lösung.“

In Serbien sind Kirche und Staat formell getrennt, doch der Staat unterstützt die Orthodoxie auch finanziell und bezahlt etwa die Religionslehrer an den Schulen. Der Religionsunterricht wurde vor neun Jahren wieder eingeführt, die Zahl der Anmeldungen steigt stetig an. Hinzu kommt die Restitution. So hat etwa das Kloster Kovilj in der Vojvodina 100 Hektar an Wald und Ackerland zurückerhalten; die Sozialversicherung der Mönche wird ebenso vom Staat bezahlt, der auch die Fertigstellung der Kirche des Heiligen Sava in Belgrad finanziell unterstützt. Andererseits braucht die politische Führung die moralische Unterstützung der Kirche. Die Beziehungen sind eng, und ein erstes Treffen zwischen Irinej und Staatspräsident Boris Tadic fand bereits statt. Dabei kamen der Kosovo und ein Besuch des Papstes zur Sprache. Serbien hat die Unabhängigkeit des albanisch dominierten Kosovo nicht anerkannt; diese Position deckt sich völlig mit der Orthodoxie; denn im Kosovo liegen die größten kirchlichen Heiligtümer und viele weiter kleinere religiöse Objekte:

„Der ganze Kosovo ist mit serbischem Blut getränkt, beginnend mit der Schlacht auf dem Amselfeld; leider hat sich das auch später fortgesetzt; in allem gehört dieses Land uns. Uns stört es nicht, das Schicksal mit den Völkern zu teilen, die dort lebten, doch wir müssen einen modus vivendi finden, damit auch wir und sie dort bestehen bleiben können.“

Vorbehalte gibt es in der Orthodoxie gegen den Papst-Besuch, während Präsident Boris Tadic Papst Benedikt. bereits nach Serbien eingeladen hat. Diese Widerstände hängen aber nicht nur mit der Kirchenspaltung zusammen:

„Bei Katholiken denkt der Serbe zuerst an den Kroaten, und dann kommen alle historischen Gegensätze hervor, die bestanden haben. Doch auch in der orthodoxen Kirche wird wahrgenommen, dass Widerstände gegen den Papst-Besuch sinnlos sind. In Serbien gibt es fünf Prozent Katholiken, und die haben das Rechts, dass sie ihr Oberhaupt besucht.“

In Nis könnte der Besuch in drei Jahren stattfinden. In dieser südserbischen Stadt wurde der römische Kaiser Konstantin geboren. Dieser erließ im Jahre 313 das sogenannte Mailänder Toleranzedikts Darin gewährte er auch dem Christentum religiöse Gleichberechtigung. In Nis wirkte Irinej bisher als Bischof, und in Nis soll 2013 des Edikts groß gedacht werden; an diesen Feiern könnte der Papst teilnehmen:

„Das wäre eine Gelegenheit, dass die Vertreter der Kirchen zu jener Periode zurückkehren, in der dieses Edikt erlassen wurde. Da können erste Kontakte geknüpft werden, die dann mit Glück fortgesetzt werden, um das, was sich in der Geschichte ereignet hat, durch einen neuen christlichen Weg zu korrigieren. Doch das muss aufrichtig sein, und vom Wunsch getragen werden, eine Kirche Christi und eine Herde Christi sein zu wollen.“

Vorbehalte haben orthodoxe Bischöfe und Priester auch gegen die EU, die als gottloses Europa kritisiert wird. Doch die EU-Integration ist das wichtigste politische Ziel Serbiens. Auch in dieser Frage signalisiert der Patriarch Kompromissbereitschaft:

„Wir sind der Ansicht, dass wir während unserer gesamten Geschichte Europa angehört haben. Sicherlich wollen wir auch Teil dieser Gemeinschaft der Völkerfamilie. Wir werden daher alles akzeptieren, was unserer kulturellen und historischen Identität nicht schadet. Ich hoffe, dass Europa auch unsere Identität, unsere Kultur und unseren orthodoxen Glauben achten wird. Wenn dem so ist, werden wir uns vor der Europäischen Union nicht scheuen.“

Weniger diplomatisch war Irinej in seinen Aussagen zum Islam. In einem Zeitungsinterview warf er mit Blick auf dem Kosovo dem Islam mangelnde Toleranz vor, sobald er in einer Bevölkerung in der Mehrheit sei. Diese Aussage löste in Serbien unter der islamischen Geistlichkeit massive Kritik aus. In seiner Pressekonferenz sagt Irinej zum Islam:

„Unsere Kirche war immer tolerant und hat jede Religion geachtet. Das ist ihr Glaube, und warum sollten wir uns da einmischen und irgendeine Meinung abgeben. Wir achten sie als religiöse Gemeinschaft, und das haben wir immer getan.“

In Bosnien sehen das die Moslems kaum so, hat doch die serbische Orthodoxie während der Zerfallskriege im ehemaligen Jugoslawien eine durchaus anfechtbare Rolle gespielt. Eine Aufarbeitung ihrer nationalistischen Verirrungen ist auch unter Patriarch Irinej nicht zu erwarten. Doch der Weg zur Vergangenheitsbewältigung ist mühsam, nicht nur am Balkan und nicht nur in der Orthodoxie, die jedenfalls ihren Beitrag zur Aussöhnung noch zu leisten haben wird.

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