Nachruf auf Patriarch Pavle
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Berichte Serbien
Berichtsinsert: Christian Wehrschütz aus Serbien
Insert: Patriarch Pavle
Gesamtlänge: 4’06
In Belgrad sind die vielen Namen für ein und dieselbe Straße ein deutliches Zeichen für die geistigen und politischen Umbrüche, die Serbien erlebt hat. Wie ein Fels in der Brandung wirkt da die Kathedrale des Heiligen Sava, die größte Kirche der serbischen Orthodoxie.
Ihre Autorität verdankt die Kirche diesem kleinen Mönch, der als Patriarch für viele Serben ein Heiliger war. Auch daher ist die Kirche die einzige Institution, der viele Serben vertrauen, obwohl die Zahl der Gläubigen klein ist. Patriarch Pavle war bestrebt, die Kirche aus der Tagespolitik herauszuhalten und ausgleichend zu wirken. In der Ära Milosevic war ihr Einfluss gering aber nicht vernachlässigbar. Daher bemühte sich Milosevics Herausforderer, Vojilsav Kostunica, im Jahre 2000 um die Unterstützung der Kirche. Nach der Revolte am 5. Oktober unterstützte auch sie die siegreiche demokratische Opposition.
Diesem Ziel diente ein Friedensgebet in Belgrad am 6. Oktober - in derselben Nacht gestand Milosevic seine Niederlage ein. Seit damals sind mehr als neun Jahre vergangen; in dieser Zeit hat die Kirche verstärkt politisch Stellung bezogen. So befürwortete sie etwa den Boykott der Parlamentswahlen im Kosovo durch die serbische Minderheit, zu dem Ministerpräsident Vojislav Kostunica aufgerufen hatte. Ihr größter Erfolg fällt jedoch in die Ära des ermordeten Ministerpräsidenten Zoran Djindjic, denn im Herbst 2001 wurde der Religionsunterricht wieder eingeführt. An diesem Projekt wirkten alle Kirchen mit:
„Unsere Beziehungen zu den traditionellen Religionsgemeinschaften wie den Katholiken, den Protestanten, den Muslimen und der jüdischen Gemeinde sind traditionell gut. Besonders in der Frage des Religionsunterrichtes kamen die Vertreter dieser Religionsgemeinschaften zusammen und wir hatten völlig identische Positionen.“
Trotzdem ist die Ökumene ein langwieriger Prozess. Darum bemühte sich Kardinal Franz König bereits 1996; sieben Jahre später war auch Erzbischof Jean-Louis Tauran, der Außenminister des Vatikan, in Belgrad. Doch trotz gemeinsamer Gottesdienste ist der Weg zu einem Papstbesuch in Serbien noch weit.
Doch noch viele andere offene Fragen hat Patriarch Pavle seinem Nachfolger hinterlassen. Dazu zählt der Konflikt mit der mazedonischen Autokephalie; er dauert bereits 40 Jahre und belastet die politischen Beziehungen zwischen Belgrad und Skopje. Noch emotioneller ist der Konflikt in Montenegro. Im Zuge der Unabhängigkeit ist eine montenegrinische autokephale Kirche wieder erstanden. Sie wird von der serbischen Orthodoxie als Sekte betrachtet und eine Lösung ist auch in Montenegro nicht in Sicht.
Am schmerzlichsten ist jedoch das Kosovo-Problem. Noch bei den Unruhen im März 2004 zerstörten albanische Extremisten serbische Kirchen. Sie gelten als Symbole des serbischen Nationalismus. Im Gegenzug hat sich die Orthodoxie auch unter Patriarch Pavle nie klar von den Verbrechen distanziert, die unter Milosevic im Kosovo begangen wurden. Zur Aussöhnung zwischen Serben und Albanern hat die Kirche daher kaum beigetragen. Noch nicht begonnen hat auch die Aufarbeitung der zweifelhaften Rolle, die Geistliche während der Zerfallskriege im ehemaligen Jugoslawien gespielt haben.
Weit besser ist jedoch das Erbe, das Patriarch Pavle in Serbien selbst hinterlässt. An der theologischen Fakultät in Belgrad studieren mehr als 1000 Studenten und die Zahl der Priester steigt. Sie und Pavles Nachfolger werden ihren geistigen Beitrag dazu leisten müssen, damit Serbien die schwierige Rückkehr nach Europa erfolgreich bewältigen kann.