Ist Ratko Mladic der Nächste?
Fernsehen
Weltjournal
Berichte Serbien
Berichtsinsert: Christian Wehrschütz
Kamera: Almir Causevic / Radul Radovanovic / Predrag Crvenkovic
Schnitt: Mica Vasiljevic
Insert1: General Ratko Mladic
Insert2: Ljubodrag Stojadinovic, Militärexperte
Insert3: Ljubodrag Stojadinovic, Militärexperte
Insert4: Michajlo Mladic, Schulfreund
Insert5: Mile Mladic, Verwandter
Insert6: Beba Popovic, Pressechef der Regierung Zoran Djindjic
Insert7: Srdjan Bogosavljevic, Meinungsforscher in Belgrad
A – B (Karadzic)
Während des Krieges in Bosnien war Radovan Karadzic der unbestrittene Führer der bosnischen Serben. Jahrelang spielte er mit dem Westen Katz und Maus, unterzeichnete Abkommen, die wenig später wieder gebrochen wurde. Nach dem Krieg reichte es dem Westen, und 1996 musste Karadzic untertauchen. Auf seine Ergreifung setzten die USA ein Kopfgeld von fünf Millionen Dollar aus, doch alle Versuche scheiterten, ihn zu verhaften. Karadzics Ende kam in Belgrad 12 Jahre später. Dort wirkte der gelernte Psychiater als Alternativmediziner; aus dem Serben-Führer wurde eine Art Guru, der öffentlich auftrat, für ein Gesundheitsmagazin Beiträge schrieb, und eine eigene Webseite hatte, auf der er seine Heilmethoden feil bot. Doch schließlich klickten in einem Autobus die Handschellen, und in diesem Gebäude wartet Karadzic nun auf die Auslieferung an das Haager Tribunal.
B – C (Srebrenica)
Vor allem die Verantwortung für das Massaker in Srebrenica wird Karadzic zur Last gelegt. Etwa 8.000 Bosnjaken wurden hier im Sommer 1995 von Soldaten der bosnischen Serben ermordet; niederländische UNO-Truppen vermochten sie nicht zu schützen. …..
Doch im Einsatz in Srebrenica war nicht Karadzic, sondern Ratko Mladic, der General der bosnischen Serben. Er ist nun der meistgesuchte mutmaßliche Kriegsverbrecher. Nach der Eroberung der Stadt gab sich Mladic vor der Kamera leutselig:
„Bitte seit sehr geduldig; alle die bleiben wollen, können bleiben. Alle, die dieses Territorium verlassen wollen, können gehen. Wir haben auch genügend Autobusse und LKW, die Euch wegbringen werden.“
Doch für die Masse erfüllten sich die Versprechungen nicht, nur Frauen und Kleinkinder wurden verschont. Viele Opfer wurden in Massengräbern verscharrt und immer wieder umgebettet, um Spuren zu verwischen. An ihrer Identifizierung arbeiten nach wie vor forensische Pathologen. Ihre Arbeit soll den Angehörigen Gewissheit bringen. …..
C – D (Mladic)
Doch der Hass, der zu diesen Verbrechen führte, war Ratko Mladic nicht in die Wiege gelegt. In seinem militärischen Stammdatenblatt gab er als Nationalität Jugoslawe und nicht Serbe an. Diese Einstellung dürfte noch zu Kriegsbeginn bestanden haben:
13’53 – 14’23:
„Ich glaube, Mladic wollte Jugoslawien aufrichtig bewahren; doch dann kam es irgendwann zur tragischen Erkenntnis, dass es zum Zerfall kommt und dass der Schuldige dafür nur auf der anderen Seite zu finden sei. Das war diese Parteilichkeit, die den Schuldigen immer woanders suchte, war es, die zur Tragödie führte; und dieser Parteilichkeit ist Mladic nicht entgangen. Das war seine persönliche Kopernikanische Wende.“
Was zu dieser Wende führte ist unklar; sicher ist, dass Mladic kein General mit beschränktem Weltbild war, der nicht nur befahl, sondern auch gegenüber Vorgesetzten seine Meinung vertrat:
5’21 – 5’40
„Er war ein sehr gebildeter Offizier, mit sehr ausgeprägter militärischer Intelligenz und viel Geist, denn er hatte eine gute Allgemeinbildung, hat sehr viel Belletristik und militärische Literatur gelesen.“
Auch die Bewohner von Kalinovik erinnern sich an diesen Bildungshunger. In diesem Dorf in Bosnien wurde Mladic im März 1942 geboren:
10’27 – 10’56:
„Von 400 Schülern war Mladic der beste Schüler, das Beispiel für die Schule. Obwohl er Kriegsweise war, war er ein super Schüler; denn er verstand, dass er ohne Vater für sich selbst sorgen und sich zu Recht finden und eine Schule beenden musste, um ein Mann zu werden.“
Das kleine Dorf Kalinovik ist bäuerlich geprägt; die traditionelle Lebensweise wurde hier bewahrt, Nachbarschaftshilfe ist selbstverständlich. … Ebenso selbstverständlich ist, dass für die Bewohner und Verwandten Ratko Mladic kein Kriegsverbrecher ist:
41’23 – 41’45
„Keinem hat er geschadet, keinem Serben, Kroaten oder Bosnjaken, nicht ein Mal einem Zigeuner, denn er kann keiner Fliege etwa zuleide tun. Wenn er ihnen schon nicht Gutes getan hat, so hat er sicherlich nichts Böses getan, darauf verwette ich meinen Kopf.“
Auf Unterstützung zählen konnte Mladic auch in Belgrad, wo er sich nach dem Bosnien-Krieg niederließ. 1996 nahm er am Begräbnis eines Generals teil, doch Mladic blieb nicht nur unter Slobodan Milosevic unbehelligt. Auch nach dessen Sturz lebte er weiter sorglos in seinem Haus; das neue Führungsduo, Serbiens Ministerpräsident Zoran Djindjic und der jugoslawische Präsident Vojislav Kostunica, konnten sich nicht über eine Auslieferung einigen:
(9’47 – 10’31)
„Vor der Reise von Zoran Djindjic in die USA zu Präsident George Bush im November 2001 hatten wir klare Angaben nicht nur aus den USA, sondern auch vom Haager Tribunal und aus Europa, dass Ratko Mladic von den Streitkräften geschützt wird. Das bestätigten auch unsere Leute im Geheimdienst. Vor dieser USA-Reise hatte daher Zoran Djindjic ein Gespräch mit Vojislav Kostunica, bei dem er Kostunica fragte, ob er wisse, dass wir Mladic ausliefern müssten. Warum wartest Du, fragte Djindjic. Kostunicas Antwort war, das können wir nicht machen, es kommt zum Aufstand der Streitkräfte und zu einem Putsch.“
E – F (Reaktionen in Serbien)
Doch der Druck des Haager Tribunals und des Westens wurde immer stärker und schließlich tauchte Mladic unter. Vermutet wurde er in geheimen Anlagen der Streitkräfte, doch bisher blieb die Fahndung erfolglos. …
Von Mladic gab es aber offensichtlich Spuren, nicht aber von Radovan Karadzic, der gar nicht in Serbien vermutet wurde. Auf der Suche nach Mladic stießen die Fahnder vielleicht zufällig auf Karadzic, der nun Schach Matt gesetzt wurde. Seine Verhaftung rief keine großen Demonstrationen hervor, trotzdem fehlt es nicht an Ablehnung:
9’52:
„Das ist eine Schande für Serbien, Ich weiß nicht, was ich sagen soll, traurig ist das.“
10’08:
„Das ist die größte Dummheit, die das serbische Volk begehen konnte; warum verhaftet man nicht Albaner und Bosnjaken, sondern nur Serben.“
F-G (Ausblick)
Denn in Serbien dominiert das Gefühl, dass das Haager Tribunal ein antiserbisches Gericht ist. Dazu beigetragen hat das Tribunal selbst, und zwar durch Urteile, die unter Richtern des Tribunals selbst umstritten sind. Dazu zählt der Freispruch für Naser Oric, der zwischen 1992 und 1995 die bosnjakischen Truppen im Raum Srebrenica führte. Belgrad macht Oric für den Mord an etwa 3.000 Serben im Raum Srebrenica verantwortlich. …. Die Erbitterung über den Freispruch war und ist nach wie vor groß. Trotzdem wird das Haager Tribunal in Serbien als notwendiges Übel akzeptiert:
„Die Haltung gegenüber dem Haager Tribunal ist ziemlich stabil: großes Misstrauen, wenig positive Einstellungen, doch kein Widerstand gegen die Zusammenarbeit. Sie wird als nötig als Schlüssel für die tiefere Zusammenarbeit Serbiens mit Europa empfunden.
Doch mit einer Aufarbeitung der Vergangenheit hat das nichts zu tun; dazu wird auch der Prozess gegen Radovan Karadzic kaum etwas beitragen; und selbst wenn Ratko Mladic bald vor dem Tribunal stehen sollte, ist das ehemalige Jugoslawien von einer Aussöhnung noch weit entfernt, die mit juristischen Mitteln jedenfalls nicht zu erreichen sein wird.