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Porträt Karadzic

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Berichte Serbien
In Belgrad ist gestern Nacht einer der meistgesuchtesten mutmaßlichen Kriegsverbrecher der Welt verhaftet worden. Nach 12 Jahren auf der Flucht ging der Polizei Radovan Karadzic, der frühere Führer der bosnischen Serben ins Netz. Mehr als ein halbes Jahr lebte Karadzic mit völlig verändertem Aussehen in Belgrad, wo er als Arzt arbeitete und auch öffentlich auftrat. Karadzic und der noch flüchtige Ratko Mladic sollen für das Massaker an 8.000 Bosnjaken in Srebrenica verantwortlich sein. Wer ist nun dieser Radovan Karadzic, der vor dem Krieg als Psychiater und hochgebildeter Mann hohes Ansehen genoss? Ein Porträt des serbischen Ultranationalisten hat in Belgrad unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz gezeichnet.

Berichtsinsert: Christian Wehrschütz aus Belgrad

Insert1: Srdjan Bogosavljevic, Meinungsforscher in Belgrad

Gesamtlänge: 2’45

Radovan Karadzic stammt - wie so viele serbische Ultranationalisten – gar nicht aus Serbien. So wurde der einstige Führer der bosnischen Serben in Montenegro geboren. Karadzic, den traditionellen Werten des Serbentums eng verbunden, stammt aus dem Dorf Petnica bei Niksic. Von seiner Mutter Jovanka wurde Radovan im Juni 1944 auf diesem Hang geboren; karge Umgebung und patriarchalische Erziehung prägten Karadzic, dessen Vater als Antikommunist fünf Jahre unter Tito im Gefängnis saß. Dieser dörflichen Enge konnte der Sohn entfliehen, der Psychiater wurde. Karadzic politische Stunde schlug 1990 als er zum Führer der bosnischen Serben aufstieg. Während des Krieges spielte er jahrelang Katz und Maus mit dem Westen, unterzeichnete Abkommen, die wenig später wieder gebrochen wurden. Schließlich riss dem Westen die Geduld und im Juni 1996 tauchte Karadzic unter. Wegen Kriegsverbrechen, vor allem wegen des Massakers in Srebrenica gesucht, setzten die USA ein Kopfgeld von fünf Millionen Dollar auf ihn aus. Für die Bosnjaken in Sarajewo und ganz Bosnien war der freie Radovan Karadzic ein Ärgernis und ein Symbol für Hass, Vertreibung und Verbrechen. Doch alle Versuche, ihn zu verhaften, scheiterten, denn die bosnischen Serben standen und stehen weiter zu ihm. Sympathien genoss und genießt Karadzic auf in Belgrad. Als Autor eines Kinderbuches wurde er präsentiert, auch ein Theaterstück aus seiner Feder wurde publiziert. Verkauft wurden Devotionalien von Karadzic und dem ehemaligen bosnischen Serben-General Ratko Mladic vor allem bei Kundgebungen nationalistischer Parteien. Trotzdem sorgt sich die Masse der Serben weit mehr um ihre Alltagsprobleme als um Karadzic und Mladic; das gilt auch für die Auslieferung an das Haager Tribunal:

„Die Haltung gegenüber dem Haager Tribunal ist ziemlich stabil: großes Misstrauen, wenig positive Einstellungen, doch kein Widerstand gegen die Zusammenarbeit. Sie wird als nötig als Schlüssel für die tiefere Zusammenarbeit Serbiens mit Europa empfunden. Daher ist ganz klar, dass es nur wenige ernst zunehmende Proteste im Falle einer Verhaftung gegeben würde.“

Diese Einschätzung ist bereits fünf Jahre alt; heute bestätigte sie die Verhaftung von Radovan Karadzic; mit völlig verändertem Aussehen trat er in Serbien sogar öffentlich auf; unter falschem Namen arbeitete er in Belgrad mindestens sechs Monate als Arzt. Für Karadzic gingen heute nur wenige auf die Straße. Doch diese geringe Zahl darf nicht täuschen. Die Masse der Serben sieht das Haager Tribunal als poltische Gericht, und der Weg zur Aussöhnung am Balkan ist daher noch weit.

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