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Die Folgen der serbischen Instabilität für die Wirtschaft und die Reformen

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Berichte Serbien
Als es in Belgrad nach einer Massendemonstration gegen die Unabhängigkeit des Kosovo zu massiven Ausschreitungen kam, gingen die Bilder der brennenden US-Botschaft sowie zerstörter und geplünderter Geschäfte westlicher Firmen um die Welt. Für zusätzliche Unsicherheit sorgten noch Boykottaufrufe und die Rechtfertigung von Gewalttaten durch Mitglieder der serbischen Regierung. Sie stürzte Anfang März, weil die Gegensätze zwischen Gegnern und Befürwortern einer EU-Annäherung auch nach dem Verlust des Kosovo nicht mehr zu überbrücken waren. Wie gefährlich für Serbien eine Selbstisolation auch wirtschaftlich wäre, zeigt der Umstand, dass bereits 60 Prozent der Exporte des Landes in die EU gehen. Außerdem stammt die Mehrheit der ausländischen Investoren aus der EU; ausländische Firmen beschäftigen bereits mehr als 200.000 Bürger Serbiens. Viele arbeiten auch bei Firmen aus Österreich, denn bereits etwa 250 heimische Unternehmen sind in Serbien tätig. Seit dem Jahre 2000 kamen durch Privatisierungen und ausländische Investitionen insgesamt 14 Milliarden US-Dollar nach Serbien, und Österreich zählt zu den führenden Investoren. Wie es ihnen geht, wie sie den serbischen Markt sehen, und was in Serbien zu erwarten ist, darüber hat unserer Balkan-Korrespondent den folgenden Beitrag für das Wirtschaftsmagazin ECO gestaltet.

Berichtsinsert: Christian Wehrschütz aus Serbien

Kamera: Predrag Crvenkovic

Schnitt: Mica Vasiljevic

Insert1: 0’51 Oliver Rögl, Raiffeisen Serbien

Insert2: 1’45 Oliver Rögl, Raiffeisen Serbien

Insert3: 2’55 Dejan Eric, Wirtschaftsexperte

Insert4: 3’59 Heinz Dei-Michei

Insert5: 5’17 Paul Hercfeld, Casinos Austria

Insert6: 5’42 Dejan Eric, Wirtschaftsexperte

Insert7: 6’19 Christoph Rath, Wiener Städtische, Serbien

Insert8: 6’46 Christoph Rath, Wiener Städtische, Serbien

Insert9: 7’02 Heinz Dei-Michei

Gesamtlänge: 7’37

In Belgrad geriet Ende Februar eine Kundgebung gegen die Unabhängigkeit des Kosovo außer Kontrolle. Die Polizei wurde zu spät eingesetzt, und vor allem vor der Botschaft der USA hatten Randalierer zunächst frei Hand.

Doch es kam auch zu Plünderungen westlicher Geschäfte.

Angegriffen wurden auch acht von insgesamt 90 Filialen von Raiffeisen, der größten Bank Serbiens. Die Schäden betrugen zwischen 10.000 und 15.000 Euro. Sie wurden rasch beseitigt, der Arbeitsausfall war gering. Pro-europäische Politiker, verurteilten die Angriffe und vereinzelte Boykottaufrufe:

„Es wurde auch darauf hingewiesen, dass die Auslandunternehmen hier natürlich ein starker Faktor bezüglich Arbeitskräfte sind. Allein Raiffeisen, zum Beispiel, wir beschäftigen mehr als 2000 Mitarbeiter in Serbien; es ist auch nicht damit zu rechnen, dass Boykottmaßnahmen im Lauf der nächsten Wochen und Monate erfolgreich sein werden. Wir rechnen nicht damit.“

Nicht damit rechnen auch andere österreichische Firmen, die ebenfalls wichtige Arbeitgeber sind. Seit dem Jahre 2000 hat Österreich mehr als zwei Milliarden Euro investiert und zählt damit in Serbien zu den größten Investoren. So hat die OMV etwa 55 Tankstellen und beschäftigt mehr als 1.300 serbische Mitarbeiter. Die meisten österreichischen Firmen wollen trotz der poltischen Krise weiter expandieren, aber …

„Aber es ist natürlich damit zu rechnen, dass in den nächsten Wochen und Monaten zu einer Beeinträchtigung des Investitionsklimas kommen wird, weil natürlich die Frage der EU-Annäherung derzeit in den Schatten gestellt wurde. Das Thema Kosovo dominiert derzeit die Wirtschaft, dominiert derzeit die Politik; Auslandsinvestitionen suchen Sicherheit, suchen Stabilität, suchen auch Perspektiven, diese Perspektive ist derzeit nicht gegeben.“

Auf Eis liegen bereits geplante Investitionen westlicher Firmen im Wert von mehr als 500 Millionen Euro. Zusätzlich geschädigt haben die Wirtschaft der Sturz der Regierung und die Auflösung des Parlaments. Kreditvereinbarungen in Höhe von 400 Millionen Euro wurden nicht mehr ratifiziert. Dazu zählen Gelder zur Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur oder zur künstlichen Bewässerung in der Landwirtschaft. Doch für Firmen ist die Infrastruktur ein wichtiger Investitionsanreiz

„Serbien kann kein rasches Wachstum erwarten, solange die ausländischen Investitionen pro Kopf nicht etwa 1000 Euro erreicht haben, wie das in Ungarn, Tschechien, Polen, Rumänien und Bulgarien der Fall ist. In Serbien beläuft sich der Betrag auf 200 bis 300 Euro pro Kopf, so dass wir davon noch weit entfernt sind. Ich fürchte, dass in diesem Jahr dieser Wert angesichts der herrschenden Lage sogar niedriger sein wird.“

Wie gewinnbringend Investitionen für alle Beteiligten sind, zeigt die Gemeinde Koceljeva. Die 16.000 Einwohner dieser landwirtschaftlich geprägten Gegend sind froh, dass ein österreichischer Konzern ihren Fruchtsafthersteller übernommen hat. Einst wurden dort 270 Mitarbeiter beschäftigt, dann stand das Werk jahrelang still, die veralteten Anlagen verfielen. Nun haben wieder 100 Menschen Arbeit und Brot, und der Betrieb ist der einzige größere Arbeitgeber der Gemeinde. Doch auch für den Investor lohn sich der Standort:

„Wir haben in der Vergangenheit als wir noch Ware aus Österreich und Ungarn geliefert haben etwa 30 Prozent Importzoll bezahlt. Wenn wir nun noch die Transportkosten, höhere Produktionskosten nehmen, haben wir sicher eine Kostenersparnis in die Richtung von 40 bis 50 Prozent.“

25 LKW-Ladungen an Fruchtsäften produziert das Werk täglich. Ein Drittel davon für den serbischen Markt, der Rest wird in den Kosovo, nach Bosnien, Mazedonien und Kroatien exportiert. Rauch brauchte mehrere Jahre, ehe ein geeigneter Standort übernommen werden konnte. Die serbische Bürokratie arbeitet langsam, Genehmigungen dauern lange, und die Widerstände der qualitätsmäßig schwächeren Konkurrenten waren groß.

Damit zu kämpfen hatten auch die Casinos Austria; die Lizenz erhielten sie im Dezember 2005, doch das Grand Casino Belgrad konnte erst im Februar 2008 eröffnet werden.

Mehr als 85 Millionen Euro wurden investiert; investiert wurde auch in die Ausbildung, und die Mitarbeiter haben nun ganz neue Perspektive:

„Sie wurden hier vor Ort trainiert, aber von unserem internationalen Mitarbeitern, die natürlich die Erfahrung mitbringen, und in weiterer Folgen stehen ihnen auch Karrierewege in unsere anderen internationalen Betriebe offen, was vielleicht auch ganz interessant sein kann.“

Doch nicht nur wegen der arbeitswilligen und an sich gut ausgebildeten Arbeitskräfte ist der serbische Markt für Ausländer mehr als nur ein Glückspiel:

„Viel getan hat Serbien bei den Steuern und bei der Registrierung von Unternehmen, die von 55 auf 20 Tage verkürzt wurde. Außerdem ist die Gewinnsteuer für Unternehmen auf 10 Prozent gesenkt worden und damit die niedrigste in diesem Teil Europas.“

Ein weiterer Anreiz ist der enorme Nachholbedarf. Haushaltsversicherungen sind nicht vorhanden, in Österreich haben 90 Prozent der Haushalte eine derartige Versicherung. Auch bei anderen Versicherungen sind die 7,5 Millionen Serben ein lohnender Markt:

„Im gesamten Serbien wird es etwa 140.000 Lebensversicherungsverträge geben; in Österreich gibt es etwa 11 Millionen Verträge; Differenz Österreich 11 Millionen Verträge, Serbien 140.000 Verträge ist noch signifikant hoch.“

Bei den Lebensversicherungen ist die Wiener Städtische mit 30 Prozent Marktführer; Investitionen von 45 Millionen Euro sind geplant:

„Wir haben derzeit 35 Filialen und 800 Mitarbeiter; in den nächsten drei Jahren werden wir zwischen 50 und 55 Filialen haben und zirka 1.500 bis 2.000 Mitarbeiter.“

Doch große Investitionen setzen Vertrauen in politische Stabilität voraus:

„Ich erwarte mir gewisse Probleme in der nächsten Zeit, gehe aber davon aus, dass mittelfristig Serbien ein sicherer Standort sein wird.“

Wie lang mittelfristig sein kann, werden die Wahlen im Mai zeigen. Fraglich ist nicht nur, ob Serbien eine pro-westliche, sondern auch eine stabile Regierung bekommt, die zu Reformen fähig ist. Das Kabinett Kostunica war nur zehn Monate im Amt, und politische Instabilität war bisher das Grundübel, das Serbien nicht zu beseitigen vermochte.

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