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Legija und der Mord an Zoran Djindjic sowie andere Verbrechen

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Weltjournal 13072004 Legija und die Morde Wehrschütz Mod

Die Ermordung des serbischen Ministerpräsidenten Zoran Djindjic in Belgrad im März vergangenen Jahres war der Höhepunkt einer ganzen Serien von spektakulären Verbrechen, die Serbien vor allem in der Ära von Slobodan Milosevic geprägt haben.. Die Schlüsselfigur dieser Verbrechen ist Milorad Lukovic Ulimek. Er war der Führer des Mafiaklans im Belgrader Vorort Zemun und Chef der Polizeisondereinheit mit dem Spitznamen „Rote Barette“, die erst nach dem Mord an Zoran Djindjic aufgelöst wurde. Ulimek und Mitglieder seiner Einheit sollen für das Attentat auf Zoran Djindjic ebenso verantwortlich sein, wie für zwei andere spektakuläre Verbrechen, die sie im Auftrag von Milosevic begangen haben sollen. Für diese drei Verbrechen steht Ulimek derzeit in Belgrad vor Gericht. Er war nach dem Mord an Zoran Djindjic mehr als ein Jahr auf der Flucht, stellte sich aber Ende April in Belgrad der Polizei. In Belgrad hat unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz diese spektakulären Verbrechen ebenso nachgezeichnet wie den Werdegang der Schlüsselfigur Milorad Lukovic Ulimek.

Berichtsinsert: Christian Wehrschütz aus Belgrad

Insert1: Dobrivoje Radovanovic, Institut für sozialkriminologische Untersuchungen

Insert2: Dobrivoje Radovanovic, Institut für sozialkriminologische Untersuchungen

Insert3: Srdjan Bogosavljevic, Meinungsforscher

Insert4: Srdjan Bogosavljevic, Meinungsforscher

Kamera: Predrag Crvenkovic

Ton Dragisa Jelic

Schnitt: Mica Vasiljevic

Gesamtlänge: 8’12

Beim Begräbnis von Zoran Djindjic im März vergangenen Jahres stand eine Nation unter Schock. Hunderttausende Serben trauerten um ihren Ministerpräsidenten, der zu Lebzeiten weit weniger populär gewesen war. Während die Serben trauerten, verhängte die Regierung den Ausnahmezustand.

Im Belgrader Vorort Zemun stürmte die Polizei die Zentrale des größten Mafiaklans, der durch Drogenhandel reich wurde und das Attentat auf Djindjic geplant haben soll. Zwei Führer des Klans erschoss die Polizei auf der Flucht unter nicht völlig geklärten Umständen. Sie wären Zeugen gewesen, die auch über vermeintliche Kontakte einiger Spitzenpolitiker zur Mafia hätten Aufschluss geben können. Aufgelöst wurde die Polizeisondereinheit „Rote Barette“, deren Führung mit dem Mafia-Klan im Bunde stand. Nicht gefasst wurde ihr ehemalige Kommandant und mutmaßliche Drahtzieher des Attentates, Milorad Lukovic Ulimek. Verhaftet wurde jedoch Zvesdan Jovanovic, der den „Roten Baretten ebenfalls angehörte. Von diesem Haus aus, soll er Zoran Djindjic im Hof der Regierung erschossen haben, wobei die Tatmotive noch immer unklar sind:

„Aus zwei Gesprächen mit Djindjic weiß ich zuverlässig, dass er begonnen hatte, die Organisierte Kriminalität, vor allem Drogenringe, in Serbien zu zerschlagen. Das ist ein ausreichender Grund für einen Drogenring, den Ministerpräsidenten zu ermorden. Das zweite mögliche Motiv, den Regierungschef zu ermorden, haben die Gegner des Haager Tribunals. Das dritte Motiv ist ein politisches, das am wenigsten klar definiert ist, das aber nicht ausgeschlossen werden kann.“

Djindjics mutmaßlicher Mörder Zvesdan Jovanovic hat zwar im Polizeiverhör die Tat gestanden, vor Gericht schweigt er jedoch eisern. Entlastet wird er ausgerechnet von Djindjics Leibwächter Milan Verulovic, der beim Attentat schwer verletzt wurde. Verulovic und andere Sicherheitsbeamte sagten aus, dass ein zweiter Schütze Djindjic ermordet habe. Doch in der Umgebung des Tatorts fand die Polizei keine Hinweise und sie schenkte den Aussagen der Leibwächter keinen Glauben. Eine Rekonstruktion der Tat unterblieb bisher, und auch der Prozess hat bisher keine Klarheit gebracht. Verzögert durch viele Verfahrensfragen, stellt er die Schwächen der serbischen Justiz bloß:

„Serbien hat keine besondere Erfahrung mit derartig schweren Straftaten und gigantischen Verfahren und daher werden wahrscheinlich viele Fehler bei diesem Prozess gemacht. Weiters sind die Gesetze völlig neu, die die Organisierte Kriminalität betreffen, und noch immer finden wir uns bei der Anwendung dieser Gesetze nicht zurecht. Unabhängig davon hat Serbien keine rechtliche Tradition bei derartigen Verfahren, die eine gute Durchführung und die vor allem eine völlige Unabhängigkeit der Gerichte und ein korrektes Verfahren garantieren könnte.“

In diesem Haus in einem Belgrader Nobelviertel lebte der Hauptangeklagte im Djindjic-Prozess. Vor seinem Haus stellte er sich nach 14 Monaten Flucht Ende April völlig unerwartet der Polizei. Dieser Mann, Milorad Lukovic Ulimek, begann seine Karriere als Krimineller in Belgrad. In Frankreich ging er zur Fremdenlegion, nachdem er zuvor als Rausschmeißer in einem Lokal gearbeitet hatte. Diesem Gastspiel verdankt er seinen Spitznamen „Legija“ auf deutsch „Legionär“ 1992 kehre er nach Belgrad zurück.

Die Kriege im ehemaligen Jugoslawien nutzen Kriminelle, um unter dem Deckmantel des Patrioten Beute zu machen und reich zu werden. Dazu zählte Legija. Er kämpfte unter Arkan, dem Führer der Tiger-Milizen und mutmaßlichen Kriegsverbrecher, in Kroatien und Bosnien und hatte sogar einen Diplomatenpass. Auch an Arkans Hochzeit mit der berühmtesten serbischen Folk-Sängerin Ceca nahm Legija teil. Er wurde Chef eine Sonderpolizeitruppe, die später im Kosovo im Einsatz war, während Arkan seinen Geschäften nachging. Im Februar 2000 wurde Arkan in einem Hotel in Belgrad erschossen. In ihrer Belgrader Villa, lebte seit damals Witwe Ceca eher zurückgezogen. Nach dem Mord an Zoran Djindjic, wurde Ceca verhaftet, einige Monate später aber wieder freigelassen. Ceca ist in Serbien nach wie vor sehr populär. Keineswegs von allen Serben negativ bewertet werden auch Arkan und Legija, dessen „Rote Barette“ als Milosevics eiserne Garde galten. Bei dessen Sturz am fünften Oktober 2000 blieben sie jedoch neutral und trugen so zu einem weitgehend unblutigen Machtwechsel bei. Zoran Djindjic würdigte dieses Verhalten und beteiligte sich damit an der Legendbildung um Legija, der vom Wertesystem profitiert, das die Ära Milosevic prägte:

„Das Wertesystem in Serbien ist nicht nur verfault, sondern wurde in die Richtung eines sehr negativen Wertesystems gelenkt, in dem Banditen Helden wurden, und zwar vor allem im Jahre 1993. Dann haben wir eine lange Phase der Isolation, in der sich diese Wertesystem verfestigte. Am wichtigsten ist, dass wir bei jungen Mitbürgern das größte Problem mit den Wertesystemen haben. Das sind ganze Generationen, die in der Ära Milosevic aufgewachsen sind. Sie sind gegenüber Albanern und Kroaten sehr ablehnend eingestellt, denn sie waren nie in Kroatien und hatte keine Kontakte mit Albanern und sind auch nicht in der Welt herumgekommen. Entweder hatten sie kein Geld, oder sie bekamen kein Visum, um zu reisen, um ihr eigenes Wertesystem mit anderen zu konfrontieren, die für die Welt annehmbarer sind.“

Nicht annehmbar sind für reformorientierte Serben jedenfalls Legijas Aussagen vor Gericht. Er bestritt jede Beteiligung am Mord an Zoran Djindjic und sagte aus, er habe im Auftrag der Regierung Djindjic 600 Kilogramm Drogen nach Westeuropa geschmuggelt. Das Rauschgift hatte die Polizei in einem Banksafe des Geheim-dienstes nach dem Sturz von Milosevic gefunden und anschließend verbrannt. Trotzdem griffen viele Boulevarde-Medien diesen Vorwurf ungeprüft auf. Zugute kam ihnen dabei, dass zu Djindjics Sargträgern und damit zu seiner nächsten Um-gebung Personen zählten, die in Affären verstrickt und auf zweifelhafte Weise reich geworden sind. Außerdem sind vor allem die Wähler der Milosevic-Sozialisten und der Ultranationalisten, der stärksten Kraft im Parlament, besonders anfällig für Verschwörungstheorien:

„Sie sind bereit riesige Lügen für wahr zu halten, einfach, weil es für alles, ein Gegenargument gab, das mit der Verschwörungstheorie verbunden war. Dieses Denken in Verschwörungstheorien, wonach es große Interessen internationaler Geheimdienste gab, Serbien ins Chaos zu stürzen, ist nicht nur unter Milosevic unterstützt worden, sondern wird auch von breiten Kreisen der Medien unterstützt, die nach Milosevics Sturz erschienen sind.“

Trotz massiver Medienpräsenz steht Legija eine lange Haftstrafe bevor. Denn er steht auch wegen Verbrechen aus der Ära Milosevic vor Gericht. Dazu zählt der Anschlag auf den Oppositionsführer Vuk Draskovic im Herbst 1999. Auf einer Straße stieß ein LkW mit dessen Autokolonnen zusammen. Vier Personen starben, doch Draskovic überlebte. Der Fahrer des LkW gehörte den Roten Baretten an. Obwohl Lukovic alles bestreitet, ist die Beweislage vor allem im Fall Iwan Stambolic sehr klar. Stambolic war Milosevics Amtsvorgänger als serbischer Präsident und dessen scharfer Kritiker. Beim Waldlauf in Belgrad verschwand Stambolic vor vier Jahren spurlos. Seine Leiche fand die Polizei im Vorjahr, nachdem Legijas früherer Sicherheitschef den Status eines geschützten Zeugen erhalten hatte. Denn Mann führte die Polizei zum Waldstück, wo Stambolic erschossen und verscharrt worden war.

Stambolics Sohn Vejlko ist sicher, daß die roten Barette in Milosevics Auftrag seinen Vater ermordet haben. Doch wie so viele Serben fragt auch er, warum erst Zoran Djindjic sterben mußte, ehe die Polizei mit dem Kampf gegen die Organisierte Kriminalität ernst gemacht hat.

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