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Religionsunterricht in Serbien

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Der Sturz von Slobodan Milosevic vor einem Jahr hat in Serbien auch das Verhältnis zwischen dem Staat und den religiösen Gemeinschaften verändert. Das Klima hat sich ent-spannt, die Demokratisierung hat auch diese Beziehungen verbessert. Sichtbarstes Zeichen dafür ist die Wiedereinführung des Religionsunterrichtes in Serbien, während in Montenegro diese Frage nach wie vor ungelöst ist. Doch auch in Serbien war die Einführung des Reli-gionsunterrichts an den ersten Klassen der Grund- und der Mittelschulen von sehr emotio-nalen Diskussionen begleitet. Unter dieser Debatte litt auch die Organisation des Unterrichts selbst, die nicht nur die serbische Orthodoxie sondern auch die kleineren religiösen Gemein-schaften vor beachtliche Probleme stellt:

Berichtsinsert: Christian Wehrschütz Belgrad

Insert 1: 0’46: Zoran Djindjic, Ministerpräsident Serbiens

Insert 2: 1’17: Vojislav Milovanovic, Religionsminister Serbiens

Insert 3: 2’42: Branislav Nenadovic, Religionslehrer

Insert 4: 3,31: Maja Vasiljevic, Mutter

Insert 5: 4,00: Mica Vasiljevic, Vater

Insert 6: 4,22: Vojislav Milovanovic, Religionsminister

Insert 7: 5,24: Jusuf Spahic, Mufti

Insert 8: 6,11: Rabbi Isaak Asiel

Insert 9: 6,59: Erzbischof Stanislav Hocevar

Insert 10: 7,56: Ivica Pavlovic, Religionslehrer

Insert 11: 8,31: Ivica Pavlovic, Religionslehrer

Insert 12 9,02: Vlada Mirkonic, Vater

Insert 13: 9,49: Vojislav Milovanovic, Religionsminister

Gesamtlänge: 11,09

Am sechsten Oktober vergangenen Jahres kamen Zehntausende Serben zur Kirche des Heiligen Sava, um Gott für den unblutigen Sturz von Slobodan Milosevic zu danken. Partiarch Pavle hatte das demokratische Oppositionsbündnis DOS ebenfalls unterstützt. Zoran Djindjic, der nunmehrige serbische Ministerpräsident, und die anderen DOS-Führer dankten es der orthodoxen Kirche wenige Monate später mit der Wiedereinführung des Religions-unterrichtes in Serbien. Zur ersten Stunden in einer Belgrader Schule kamen die Vertreter aller Religionsgemeinschaften und Zoran Djindjic sagte:

„Niemand ist gezwungen, seine Kinder in den Religionsunterricht zu schicken, aber man soll Eltern nicht mit Gewalt abhalten, ihre Kinder in den Unterricht zu schicken.“

Die Debatte über den Religionsunterricht war sehr hitzig und kontroversiell. Die Gegner sahen darin das Ende der Trennung von Kirche und Staat, die Befürworter sprachen von einem Menschenrecht. Vojislav Milovanovic, der serbische Religionsminister, ist daher mit dem Zustrom der Kinder zum Unterricht durchaus zufrieden.

„Wir haben in Serbien etwa 80.000 Schüler, die den Religionsunterricht besuchen; das heißt, etwa 50 Prozent der Kinder in der Grundschule und 25 Prozent in der Mittelschule gehen in den Religionsunterricht. Angesichts der Negativkampagne ist das eine äußerst zufrieden-stellende Zahl an Schülern. Wir erwarten, daß im kommenden Jahr diese Zahl größer sein wird, weil die Religionslehrer dann bereits in der Schule präsent sind.“

Dieses Zahlenverhältnis trifft auch auf die Belgrader Grundschule Vlada Aksentievic zu. Benannt ist die Schule noch nach einem kommunistischen Helden des Zweiten Weltkrieges, doch auch in dieser Schule haben die Kinder nun eine Stunde pro Woche Religion. Von den 54 Erstklasslern besucht knapp die Hälfte den Unterricht; knapp ein Drittel hat den Alternativ-gegenstand Bürgerkunde belegt; einige Kinder besuchen sogar beide Fächer, doch es gibt auch Schüler, die weder das eine noch das andere Fach gewählt haben. Die Note aus Religion hat keinen Einfluß auf die Leistungsbeurteilung.

Gelehrt werden zunächst das orthodoxe Kreuzzeichen und das Vater unser. Berücksichtigen muß der 25-jährige Religionslehrer Branislav Nenadovic vor allem, daß der Wissensstand der Schüler sehr verschieden ist:

„Es gibt Kinder, die bereits eine gewisse Ahnung von Religion haben und Kinder denen dieses Wissen überhaupt fehlt. Der Lehrplan des ersten Jahres sieht eine gewisse Nivellierung vor, das bedeutet, daß Kinder ein gleiches Niveau bekommen sollen über die Kenntnis von Kirche, Glauben und Gott.“

Schulbücher gibt es noch nicht in allen Schulen, denn die Einführung der Religionsunterrichts war von organisatorischen Problemen begleitet.

Das Ehepaar Maja und Mica Vasiljevic ist trotzdem zufrieden. Ihr Sohn Nicola besucht nun in dieser Schule den Religionsunterricht, den er bisher nur in der Kirche erhalten hat. In der Rückkehr des Religionsunterrichts sieht die Mutter auch ein politisches Signal:

„Ich denke, daß die Rückkehr der religiösen Erziehung in unsere Schulen in gewisser Weise auch eine mögliche Stärkung für die Demokratie bedeutet, die für uns nun erst ein wenig spürbar ist. Für mich ist der Religionsunterricht ein notwendiger Bestandteil der Erziehung und der Kultur eines jeden Menschen und ist außerdem ein wesentlicher Bestandteil unseres Lebens.“

Zum Fehlen der Schulbücher sagt der Vater:

„Ich denke, daß das Fehlen von Büchern in der Grundschule ein geringeres Problem ist als in der Mittelschule. Denn dort müssen die Kinder einen besser organisierten Unterricht haben.“

Religionsminister Vojislav Milovanovic gesteht bürokratische Fehler ein. Zum komplizierten Werden der Lehrbücher sagt er:

„Wenn die Kirchen sich untereinander über die Lehrbücher einigen, dann hat der Erziehungs-minister nur die Verordnung zum Druck der Bücher zu unterschreiben. Das heißt, die erste Korrektur der Lehrbücher erfolgt durch die Übereinstimmung der Kirchen und Religions-gemeinschaften im vom Religionsministerium vorgegebenen Rahmen. Wir sind sehr zufrieden, daß die Bücher, die nun gedruckt werden, weder von den Kirchen noch vom Religionsministerium beanstandet wurden.“

Die anderen Religionsgemeinschaften haben neben der Bürokratie auch noch mit anderen Problemen zu kämpfen. In Belgrad gibt es nur eine Moschee, obwohl die Muslime mit sieben Prozent der Bevölkerung die zweitstärkste religiöse Gruppe sind. Eine Schule wo künftige Imame studieren können, wird gerade gebaut, obwohl die Ausbildung bereits vor einem Jahr begonnen hat. Religionslehrer sind ebenso knapp wie die Lehrbücher. Zum Religionsunter-richt sagt der Mufti, Jusuf Spahic

„In Belgrad leben etwa 200.000 Muslime und wie viele davon nun in die Schule gehen, darüber haben wir noch keine Daten. Aber es gibt sehr viele Kinder, etwa sieben Prozent der Kinder in der ersten Klasse der Grundschulen stammen aus muslimischen Familien. Doch vom Unterrichtsministerium haben wir noch keine Angaben darüber erhalten wie viele Kinder einen Religionsunterricht besuchen.“

Angesichts dieser Probleme wird daher auch der Unterricht in der Moschee fortgesetzt. Diesen Weg beschreitet auch die jüdische Gemeinde, die kleinste der in Serbien anerkannten serbischen Religionsgemeinschaften. Hinzu kommt im Fall der jüdischen Gemeinde auch das Problem der Überalterung, das Rabbi Isaak Asiel so beschreibt:

„Unsere Gemeinde besteht zu 70 Prozent aus Personen im Alter zwischen 65 und 70 Jahren. Insgesamt haben wir in Belgrad zwischen 100 und 200 Kinder von 7 bis 18 Jahren.“

Wie viele Kinder Religionsunterricht an den Schulen besuchen werden, weiß der Rabbi noch nicht. Derzeit verfügt die Gemeinde jedenfalls nur über eine Religionslehrerin.

Mit einem Mangel an Religionslehrern hat die katholische Kirche in Jugoslawien weniger zu kämpfen. Geleitet wird sie seit April von Stanislav Hocevar, einem slowenischen Salesianer. Die katholische Kirche ist eine Kirche der nationalen Minderheiten, ein Umstand, der sich auch auf den Religionsunterricht auswirkt. Erzbischof Stanislav Hocevar:

„Die Katholiken in Jugoslawien stammen aus sehr unterschiedlichen Nationen und Natio-nalitäten. Es gibt Ungarn, Kroaten, Tschechen, Slowaken, Slowenen und dann Griechisch-Orthodoxe, die Russen oder Ukrainer sind, währen es sich im Kosovo und in Montenegro um Albaner und Kroaten handelt. Diese Tatsache muß die Kirche berücksichtigen. Insgesamt gibt es ungefähr 600.000 Katholiken in Jugoslawien. Wir haben 15.000 Religionsbücher für die erste Klasse der Grundschule vorbereitet und zwar natürlich in all diesen Sprachen.“

Trotzdem wir jeden Sonntag in Belgrad auch bei den Katholiken in dieser Kirche Religions-unterricht abgehalten. Denn auch die katholische Kirche weiß noch nicht genau, wie das organisatorische Problem des Unterrichts gelöst werden kann. Der Religionslehrer und Franziskaner Ivica Pavlovic sagt dazu:

„Derzeit haben wir noch keine genauen Angaben über die Zahl der Kinder, die in der Schule den Religionsunterricht besuchen. Daher wissen wir auch noch nicht genau, wie wir den Unterricht halten werden. Das heißt, wird es genügend Kinder geben, zwischen sieben und acht pro Klasse, oder werden wir Blockunterricht durchführen müssen und Schüler von einigen Schulen zusammenfassen und gemeinsam an einem Ort unterrichten müssen.“

Probleme bei der Entscheidung für oder gegen Religion sieht der Franziskaner nicht nur bei den Eltern, sondern auch bei den Schülern:

„Für die Schüler in den mittleren Schulen ist das eine komplexere Frage, denn sie können die Entscheidung selbst treffen und sie denken über ihr Verhältnis zu Religion und Glauben nach. Und speziell in diesen Schulen gibt es auch Gruppen, die geschlossen entscheiden den Unter-richt in Bürgerkunde zu wählen. Hier ist der Gruppendruck sehr groß und es ist schwer, ihm zu entkommen.“

Einen Gruppendruck anderer Art befürchtet, Vlada Mirkonic, ebenfalls ein Katholik:

„Die Kinder können auch in der Schule normal den Religionsunterricht besuchen; doch wäre dieser Unterricht mehr als Religionsgeschichte organisiert, würde er zu einer weniger großen Trennung unter den Kindern führen. Denn es besteht ein Problem der Minderheiten in den Schulen, wenn es nur zwei oder drei katholische oder jüdische Kinder gibt; was macht man dann mit ihnen.“

Seine beiden Töchter besuchen daher nur den Religionsunterricht in der Kirche, nicht aber in der Schule.

Trotz aller Vorbehalte und Probleme hat sich nach dem Sturz von Slobodan Milosevic vor einem Jahr das Verhältnis zwischen Kirchen und Staat spürbar verbessert. Zur Lage der Orhtodoxie sagt Serbiens Religionsminister Vojislav Milovanovic

„Nun gibt es weit mehr Taufen und Hochzeiten in den Kirchen. Aber die Zahl derer, die regelmäßig in die Kirche gehen ist gleich geblieben wie früher; vielleicht sind es nicht 15 Prozent, sondern etwas mehr als in Österreich. Aber die Zeit des großen Drucks auf die Kirche ist ebenso vorbei wie die Zeit der nationalen Euphorie in den 80iger und zu Beginn der 90iger Jahre, als in einem Augenblick alle nationalbewußt wurden oder es so aussah, als wäre plötzlich jeder ein Christ; diese Zeit führte durch Milosevics Manipulation zum Desaster und jene Serben sind wieder weg. Was nun in der Kirche geschieht, ist etwas völlig Normales, das sehr ähnlich ist wie in anderen europäischen Staaten auch.“

Doch diese Entwicklung wird dauern, denn am Balkan geht nichts schnell. Die Kirche des Heiligen Sava ist ein Beweis dafür. Patriarch Pavle weihte jüngst die 49 Glocken, die die Innsbrucker Firma Grassmayr gegossen hat. Die Kirche selbst ist mehr als ein Jahrhundert-projekt, denn erste Baupläne stammen bereits aus dem Jahre 1885. Der Bau soll nun im kommenden Jahr vollendet werden. Bis der Religionsunterricht in Serben selbstverständlich und das Verhältnis zwischen Kirchen und Staat geordnet sein wird, wird wohl noch weit mehr Zeit vergehen.

Christian Wehrschütz

Kameramann: Pedrag Zrvenkovic

Schnitt: Mica Vasiljevic

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