Nord-Mazedonien, der Westbalkan und das Virus
Die ersten Monate der Corona-Pandemie hat der Westbalkan für viele überraschend gut überstanden. Die Bevölkerung befolgte die Einschränkungen ohne Widerspruch, obwohl die Maßnahmen in einigen Staaten weit restriktiver waren als in Österreich und vielen anderen Staaten der EU. Doch als dann im Juni das Ärgste überstanden schien, Wahlen in einigen Ländern bevorstanden, stiegen die Zahlen der Neuinfektionen in Serbien, in Nord-Mazedonien und in Bosnien und Herzegowina stark an; eine Folge davon ist, dass etwa Österreich für alle Länder des Westbalkan die höchste Reisewarnstufe erlassen und alle Flugverbindungen jüngst eingestellt hat. Gewählt wir heute in Nord-Mazedonien das Parlament. Auch aus diesem Anlass hat unser Balkan-Korrespondent mit einem Epidemieologen in Skope darüber gesprochen, warum sich nun das Virus so stark in der Region ausgebreitet hat.
20 Tage dauerte in Nord-Mazedonien der Wahlkampf. In dieser Zeit verzeichnete das Land, das mit zwei Millionen Einwohnern etwa so groß ist wie Niederösterreich, an einzelnen Tagen bis zu 200 Infizierungen mit dem Corona-Virus. Den Hauptgrund sieht Dragan Danilovski, Professor für Epidemieologie an der medizinischen Fakultät in Skopje, darin dass die Einschränkungen nicht schrittweise gelockert, sondern von einem Tag auf den anderen aufgehoben wurden. Dragan Danilovski:
„Dazu zählten das Ende der Ausgangssperre, die Öffnung von Gaststätten, die Maturafeiern, Hochzeiten und auch Gottesdienste. Hinzu kommt die Mentalität; so glaubt ein guter Teil bis heute nicht, dass es das Virus und eine Gefahr wirklich gibt; das geht bis dahin, dass die 5G-Netze das Virus verursacht haben. Außerdem fehlt die Disziplin bei den Bürgern; zu nennen ist aber auch der Wahlkampf, wobei ich mich als Epidemieologe frage, was uns dann nach den Wahlen erwarten wird; möglich ist ein ähnliches Szenario wie in Serbien."
Infiziert haben sich mit dem Virus nun vor allem jüngere Altersgruppen; zum Glück sei der Krankheitsverlauf weit weniger schlimm als bei älteren Menschen, betont Danilowksi. Anderseits verlauf die Verbreitung nicht mehr in Clustern, sondern über das ganze Land verteilt. Das größte Problem in Nord-Mazedonien sei, dass Ärzte, Krankenschwestern und anderes medizinisches Personal nun seit vier bis fünf Monaten im Dauereinsatz stünden, erläutert der Epidemieologe:
"Alle sind an der Grenze ihrer körperlichen und geistigen Kräfte. Ein Lichtblick in der ganzen Katastrophe besteht darin, dass jüngst die Zahl der Personen, die ins Krankenhaus eingeliefert werden musste, leicht gesunken ist. Somit haben wir noch genügend Platz in den COVID-Krankenhäusern und Reserven. Das größte Problem ist die Überbelastung des medizinischen Personals. Wenn das noch so weitergeht, weiß ich nicht wie das bei Ärzten und Krankenschwestern aussehen wird.
Danilowski befürchtet, dass ein kompletter Lock-down in Nordmazedonien ähnliche Proteste wie in Serbien hervorrufen könnte. Trotzdem befürwortet der Arzt deutliche Einschränkungen, um das Virus wieder in den Griff zu bekommen. Dragan Danilowski nennt folgende Maßnahmen:
"Solange es keine Impfung oder Heilmittel gibt, bleibt nur eine Kombination mehrerer Maßnahmen übrig. Das sind Restriktionen, um die Bewegungsfreiheit einzuschränken, und das Bestehen auf Maßnahmen zum persönlichen Schutz; das betrifft das Tragen von Masken, aber auch im Freien, und die Einhaltung der sozialen Distanz von mindestens zwei Metern. Notwendig ist auch eine nächtliche Ausgangssperre, um die sozialen Kontakte Jugendlicher einzuschränken; hinzukommt, dass all diese Maßnahmen kontrolliert und ihre Nichteinhaltung drakonisch bestraft werden müssen. Denn bisher gab es bei uns de facto keine Kontrollen und bestenfalls selektive Bestrafungen."