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Vor Referendum in Mazedonien

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Berichte Nord-Mazedonien

In Mazedonien findet am Sonntag eine Volksabstimmung statt, die von großer Bedeutung für die Stabilität des Balkan ist. Abstimmen werden die 1,8 Millionen Bürger Mazedoniens über die Vereinbarung, mit der Skopje und Athen den Streit um den Staatsnamen beigelegt haben, der bereits mehr als 25 Jahre dauert. Der Kompromiss sieht unter anderem vor, dass Mazedonien künftig NORD-Mazedonien heißt; wird die Vereinbarung umgesetzt, soll Griechenland im Gegenzug seine bereits 10 Jahre dauernde Blockade der Aufnahme Mazedoniens in die NATO aufgeben und auch die Beitrittsverhandlungen mit der EU könnten dann im Sommer nächsten Jahres beginnen. Für diesen Kompromiss wirbt nicht zur die sozialdemokratisch geführte Regierung in Skopje, auch Spitzenpolitiker aus der EU und der NATO sowie die USA haben die Mazedonier aufgerufen, für den Kompromiss zu stimmen. Wie wichtig dem Westen dieses Referendum ist, zeigt der Umstand, dass sowohl die deutsche Bundeskanzlerin Angelika Merkel als auch der amerikanische Verteidigungsminister James Mattis in Skopje waren, um für ein Ja zu werben. In Mazedonien hat unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz die Referendums-Kampagne verfolgt, hier sein Bericht:

Boykott steht groß auf dem Autobus, mit dem die Partei "Einiges Mazedonien“ durch das Land zieht und Kundgebungen veranstaltet; diese außerparlamentarische Partei ist die einzige politische Gruppe in Mazedonien, die kompromisslos für den Boykott des Referendums eintritt. „Einiges Mazedonien“ ist gegen einen Beitritt zu EU und NATO und befürwortet stattdessen eine strategische Allianz mit Russland. Die geplante Lösung im Namensstreit mit Griechenland wird als Kapitulation empfunden; nach Ansicht des Parteivorsitzenden Janko Bacev ist diese Vereinbarung nur Teil eines langfristigen griechischen Plans; ihn skizziert Janko Bacev so:

"Die Griechen wollen alles vernichten, was mazedonisch ist, damit es keine Mazedonier mehr gibt. 1913 wurde Mazedonien in Bukarest geteilt. Der ägäische Teil kam an Griechenland und einen anderen Teil bekam Bulgarien. Im ägäischen Teil verüben die Griechen sein 100 Jahren Völkermord; sie änderten die Ortsnamen und die Familiennamen der Mazedonier; nach dem Bürgerkrieg in Griechenland im Jahre 1948 wurden 100.000 Mazedonier vertrieben, doch noch immer gibt es Mazedonier, die dort leben. Daher wollen die Griechen alles auslöschen, was Mazedonisch ist."

Das Mißtrauen gegen Griechenland sitzt tief in Mazedonien. Trotzdem hat sich nur noch Staatspräsident Djordje Iwanov klar zum Boykott des Referendums bekannt. Iwanov hält die Vereinbarung mit Athen für verfassungswidrig. Einen politischen Slalom fährt dagegen die nationalkonservative Partei VMRO-DPMNE; sie regierte das Land zwischen 2006 und 2016 und trug mit ihrem Kult um Alexander den Großen maßgeblich zur massiven Belastung der Beziehungen mit Griechenland bei. Doch VMRO-DPMNE ist für einen Beitritt zu NATO und EU; außerdem steht die Partei unter massivem Druck ihrer konservativen Schwesterparteien aus der EU, die für den Kompromiss sind. VMRO-DPMNE gab daher die Abstimmung frei, obwohl ihr Vorsitzender Christian Mickoski, die Vereinbarung ebenfalls als Kapitulation bewertet:

„Wir als Mazedonier verlieren unsere institutionelle Identität, die ein Teil unserer nationalen Identität ist. Denn es gibt weder eine mazedonische Regierung, weder eine mazedonische Akademie der Wissenschaften mehr noch eine mazedonische Polizei oder Armee. All diese Institutionen müssen nun die Bezeichnung nordmazedonisch tragen. Hinzu kommt, dass Artikel acht der Vereinbarung vorsieht, dass eine gemischte Kommission aus mazedonischen und griechischen Experten gebildet wird. Sie sollen sich mit der Revision der mazedonischen Geschichte, Archäologie und Bildung befassen. Damit hat Griechenland die Möglichkeit, unsere Beitrittsgespräche mit der EU auch weiter zu blockieren, selbst wenn Mazedonien alle nötigen Reformen durchführen sollte.“

Diese Darstellung weist die sozialdemokratische Politikerin und amtierende Verteidigungsministerin Radmila Sekerinska entschieden zurück:

"Das ist der erste internationale Vertrag, in dem wir unsere mazedonische Sprache und unsere Identität und Besonderheit als mazedonisches Volk bestätigen. Für Zweifler müsste es reichen, die Kritik der griechischen Opposition zu hören, die die Regierung Tsipras beschuldigt, dass sie uns das Recht auf Sprache, Volk und Identität gegeben hat. Diese Kritiker sind Politiker vom alten Schlag; die Regierungen in Athen und Skopje zeigen, dass sie einer neuen Politiker-Generation angehören wollen, die nach vorne schaut, und Freunde und Verbündete in der Nachbarschaft sucht."

Faktum ist, dass der Namensstreit mit Griechenland auch ein Symbol für historisch belastete Beziehungen ist. 1912 und 1913 führten die Balkan-Kriege zum Ende der osmanischen Herrschaft am Balkan. Die geographische Region Mazedonien wurde zwischen Griechenland, Bulgarien und Serbien geteilt, dem das heutige Mazedonien zugeschlagen wurde. Am Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die Sozialistische Republik Mazedonien eine von sechs Gründungsrepubliken des kommunistischen Jugoslawien. Mit dem Zerfall des Tito-Staates im Jahre 1991 flammte sofort der Konflikt mit Griechenland auf. Mazedonien musste seine staatlichen Symbole ändern und wurde 1993 unter der Bezeichnung „Frühere Jugoslawische Republik Mazedonien“ in die UNO aufgenommen. 2001 drohte dem Land wegen bürgerkriegsähnlicher Kämpfe mit der albanischen Volksgruppe der Zerfall, der durch den Friedensvertrag von Ohrid abgewendet werden konnte. 2005 erhielt Mazedonien unter sozialdemokratischer Führung den Status eines EU-Beitrittskandidaten; doch 2006 kam es zum Machtwechsel zur nationalkonservativen VMRO-DPMNE, der sich auch auf die Beziehungen zu Griechenland auswirkte. Diese Folgen beschreibt Radmila Sekerinska, die bis 2005 bereits Ministerin für die EU-Integration war, so:  

"Die Politik zwischen Mazedonien und Griechenland war lange dadurch geprägt, dass man nicht zulassen wollte, dass dieses große Problem alle jene Bereiche zerstört, wo eine Zusammenarbeit möglich war. Ich denke, dass die Jahre 2007 und 2008 den Wendepunkt bedeuteten. Mazedonien blieb ohne Einladung zum NATO-Beitritt; den Vorwand, den Griechenland zu seinem Veto nutzte, war die Umbenennung des Flughafens in Skopje in "Alexander Makedonski". Es ist schwer zu sagen, ob das nur ein Vorwand war oder nicht. Faktum ist aber, dass damals diese historische Chance vertan wurde; das bedeutete zehn verlorene Jahre. Daher dürfen wir jetzt beim Referendum nicht zulassen, dass wir noch einmal diese Chance verstreichen lassen."

Das Referendum am Sonntag hat zwar nur konsultativen Charakter, trotzdem aber große politische Bedeutung; damit es gültig ist, muß mehr als die Hälfte der 1,8 Millionen Wahlberechtigten teilnehmen. Das ist eine große Hürde, weil viele Bürger im Ausland arbeiten. Das gilt insbesondere für die albanische Volksgruppe, deren politische Führer eindeutig für den Kompromiss im Namensstreit sind. Massiv für eine Teilnahme am Referendum wirb die Albaner-Partei DUI, die mit den Sozialdemokraten die Regierung bildet. Zur Stimmbeteiligung der Albaner sagt DUI-Vorsitzender Ali Achmeti:

"Es gibt eine große Bereitschaft unter der albanischen Diaspora nach Mazedonien zu kommen; viele treffe ich, die bereits gekommen sind. In der Diaspora selbst wird nur eine symbolische Zahl abstimmen; leider fand die Registrierung dafür im Sommer statt als viele Albaner auf Urlaub waren. Doch es gibt in der Diaspora eine Organisation, die die Wähler nach Mazedonien bringt, damit sie an der Abstimmung teilnehmen können."

Um die Bevölkerung für eine Teilnahme und für ein Ja zu gewinnen, wurde die Referendums-Frage mit dem Beitritt Mazedoniens zu EU und NATO verknüpft. Mit diesem Argument wirbt auch der sozialdemokratische Ministerpräsident Zoran Zajev bei seinen Kundgebungen:

"Das ganze Volk weiß, dass es keine Alternative und keinen Plan B zur Integration von Mazedonien in EU und NATO gibt. Daher trägt ihr, geschätzte Jugend, die größte Verantwortung. Geschätzte Eltern! Unsere Pflicht ist die Pflicht aller Eltern, dass wir den Kindern eine gute Zukunft sichern. denn die einzigen Argumente, die am Tisch liegen, sind der Vertrag mit Griechenland und unsere Integration in die EU."  

Selbst wenn das Referendum gültig ist, muss noch das Parlament in Skopje mit Zwei-Drittelmehrheit die Vereinbarung absegnen und vier Artikel der mazedonischen Verfassung ändern. Diese Zwei-Drittelmehrheit fehlt der Regierung derzeit, ist aber nicht außer Reichweite. Für die endgültige Beilegung des Namensstreits muss dann noch das Parlament in Griechenland den Kompromiss absegnen; eine Mehrheit dafür ist derzeit gegeben, doch ob sie hält bleibt abzuwarten.

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